Agrarstrukturgesetz in Thüringen und Sachsen: Weitere offene Fragen und neue Probleme
Die Landesregierungen von Thüringen, Sachsen und Brandenburg wollten Agrarstrukturgesetze verabschieden, zwei Vorlagen sind noch im Rennen. Wo gibt es Unterschiede und wo Gemeinsamkeiten? Wie lassen sich die Mängel reparieren? Sind sie rechtssicher? Expertin Prof. Antje Tölle von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin im Interview
Das Bodenforum der Deutschen Gesellschaft für Agrarrecht hat sich kürzlich intensiv mit den Agrarstrukturgesetzen in Thüringen und Sachsen auseinandergesetzt. Was war die wichtigste Erkenntnis?
Für uns Juristen waren die Erklärungen der beiden Regierungsvertreter aus Thüringen und Sachsen zu ihren Gesetzesvorlagen sehr wichtig, denn wir stellen uns beim Lesen viele Fragen. Deshalb war die Perspektive, was die Länder tatsächlich wollen und warum sie unterschiedlich vorgehen, besonders wichtig. In Workshops haben wir an konkreten Beispielfällen aus der Praxis die beiden Gesetze getestet und festgestellt, dass sie noch nicht durchgehend funktionieren. Es gibt viele Fragen zu den Gesetzestexten. Teilweise sind nach der bisherigen Rechtslage offene Fragen weiterhin unbeantwortet, und neue Probleme sind entstanden.
Agrarstrukturgesetz: Gemeinsamkeiten in den Vorlagen
Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Agrarstrukturgesetzen in den verschiedenen Bundesländern. Ist es aus Ihrer Sicht überhaupt nötig und sinnvoll, den Kauf und Verkauf von Agrarflächen gesetzlich zu regeln?
Wir haben bereits eine solche Kontrolle. Sie ist vorgesehen im Grundstückverkehrsgesetz, das aber meines Erachtens modernisiert werden muss. Insofern ist ein Agrarstrukturgesetz nur ein neuer Begriff, der die Regeln des Grundstücks-, Landpachtverkehrs und des Vorkaufsrechts zusammenfasst. Wir haben sehr unterschiedliche Ideen in den Ländern – aber derzeit kein Land, das sagt: Wir schaffen die Kontrolle ab.
Wo sehen Sie die größten Gemeinsamkeiten zwischen beiden Gesetzesvorlagen?
Sie führen die behördliche Kontrolle von Kauf, Pacht und Vorkaufsrecht – was im Moment in drei Gesetzen verstreut ist – in einem Gesetz zusammen. Beide bleiben dem Gedanken treu, dass man eine Preiskontrolle durchführt und dass Nicht-Landwirte so weit wie möglich nicht erwerben sollen. Sie sehen weiterhin ein Vorkaufsrecht für landwirtschaftlich genutzte Flächen vor. Außerdem gibt es in beiden Gesetzen eine Share-Deal-Kontrolle.
Thüringen und Sachsen: Unterschiede in den Gesetzen
Und was sind die größten Unterschiede?
In der Definition, wer ein Landwirt ist. Dort hat Sachsen auch gemeinwohlorientierte Gesellschaften mit aufgenommen. Weiterhin sieht es eine Konzentrationskontrolle vor, wohingegen Thüringen diesem Kontrollmaßstab eine Absage erteilt. Außerdem sieht Sachsen ein Vorkaufsrecht zugunsten von Landwirten vor – und das sogar preisreduziert. Das heißt, wenn ein Grundstück zu teuer an einen Nicht-Landwirt verkauft wird, kann ein Landwirt zum Marktpreis kaufen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass Sachsen alle Grundstücksgeschäfte innerhalb der Familie freistellt. Sachsen hat außerdem keine Kontrolle über Forstflächen geplant, Thüringen schon.
Ein Rechtsgutachten der Universität Jena hat im Herbst Kritik an dem Thüringer Entwurf geübt. Demnach überschreitet der Freistaat mit der Vorlage seine Gesetzgebungskompetenz. Wie sehen Sie das?
Das Gutachten befasst sich sowohl mit der Gesetzgebungskompetenz für Share Deals als auch für den Begriff des Landwirts, insbesondere der gemeinwohlorientierten Gemeinschaften. Bei Letzteren fehlt eine Begründung, warum der Landesgesetzgeber keine Gesetzgebungskompetenz besitzen sollte, den Begriff des Landwirts zu definieren, wenn dies eine bevorzugte Käufergruppe sein soll. Bei den Share Deals bin auch ich der Meinung, dass die Länder grundsätzlich im Rahmen des Kompetenztitels „landwirtschaftlicher Grundstücksverkehr“ die Gesetzgebungskompetenz besitzen.
Agrarstrukturgesetz Thüringen: Orientierung an Baden-Württemberg
Der Thüringer Entwurf orientiert sich an dem Gesetz in Baden-Württemberg. Ist das denn rechtssicher?
Baden-Württemberg hat inzwischen seit 14 Jahren ein Gesetz, das auch täglich angewendet wird – das heißt, nach Ablauf dieser Zeit sind die schlimmsten Dinge eigentlich schon beklagt. So wissen wir, dass eine Regelung, die Wettbewerbsverzerrungen entlang der Grenze zur Schweiz entgegenwirken wollte, gerade aufgrund eines Freizügigkeitsabkommens der Europäischen Union mit der Schweiz unwirksam ist. Insgesamt sind die Regeln von Baden-Württemberg nach meiner Einschätzung rechtssicher.
Die Regulierung des Anteilserwerbs und Maßnahmen zum Schutz der Agrarstruktur müssen sehr gut begründet sein, sagte Ihr Göttinger Kollege Prof. José Martínez. Ob die Gesetzentwürfe rechtsicher sind, müssten letztlich die Oberlandesgerichte entscheiden. Sehen Sie das auch so?
Wir müssen bei den Zuständigkeiten der Gerichte unterscheiden. Die Oberlandesgerichte sind die obersten Gerichte in den jeweiligen Bundesländern, die auch die Fälle nach den Agrarstrukturgesetzen entscheiden. Die OLG würden durch die Landesgesetze in jedem Fall an Bedeutung gewinnen. Für beide Gesetze ist der Bundesgerichtshof als dritte Instanz weiterhin zuständig. Allerdings ist er dann für ganz unterschiedliche Gesetze zuständig. Dadurch werden die BGH-Entscheidungen weniger vergleichbar. Ob die Gesetze verfassungsgemäß sind, ist eine Frage für die Landesverfassungsgerichte und das Bundesverfassungsgericht.
Agrarstrukturgesetz: In Sachsen bleiben Fragen offen
Prof. Martínez sprach beim Bodenforum auch von Gefahrenabwehr. Was ist damit gemeint?
Darauf abzustellen, ist komplett richtig. Wir verwenden den Begriff in verschiedenen Zusammenhängen. Beispielsweise beim Polizeirecht, wenn Demonstrationen eskalieren oder wenn Gefahr für Leib und Leben besteht – wie bei Hochwasser. Bei der Agrarstruktur wird es weniger konkret vorstellbar. Hier ist es eine Prognoseentscheidung, wie die Überlegung, ob in der Zukunft Dinge geschehen, die volkswirtschaftlich eine Gefahr darstellen. Wenn etwa die Ernährungssicherheit nicht mehr gewährleistet werden kann, weil die Produktion eingestellt wird oder die kontinuierliche Bewirtschaftung nicht gesichert ist.
Wo sehen Sie zurzeit den größten Nachholbedarf, um die Gesetzesvorlagen rechtssicher zu machen?
Für das Sächsische Agrarstrukturgesetz habe ich in meiner Stellungnahme im Landtag einigen Reparaturbedarf aufgelistet. Besonders dringlich ist es, einen Zirkelschluss zu streichen: Wenn das Vorkaufsrecht ausgeübt wird, darf nicht gleichzeitig eine Versagung geschehen, weil sonst der Anknüpfungspunkt für den neuen Vertrag entfällt. Außerdem geht es über die verfassungsrechtlichen Grenzen hinaus, dass man einen Vertrag nur deswegen versagen kann, weil Landwirte abstrakt am Erwerb von Grundstücken in der Umgebung interessiert sind, aber das Vorkaufsrecht nicht ausgeübt wird. Weiterhin müsste klargestellt werden, wann die Genehmigungsfrist losgeht und wer welche Erklärung wann beim Vorkaufsrecht abgibt.
Frage bleibt: Wer ist ein Landwirt?
Und in Thüringen?
Unabhängig von den Share Deals – bei der Frage von 50 bis 90 Prozent – habe ich nicht abschließend verstanden: Wer ist Landwirt? Über den Verweis ins Europarecht scheint Kontrollmaßstab zu sein, ob der Erwerber Landwirtschaft betreibt. Ein Beispiel: Wenn eine Stiftung mit einem Share Deal 100 Prozent der Anteile erwirbt und den Betrieb fortsetzen möchte – denn niemand sagt im Vorfeld: Ich kaufe den Betrieb und werde ihn stilllegen –, wird dieser Erwerb genehmigt? Umgekehrt: Welcher Share Deal soll in Thüringen eigentlich versagt werden?
Wie bewerten Sie die Vorlagen sonst in Bezug auf Share Deals?
Wenn man den Verfahrensablauf in Sachsen durchspielt, dann funktionieren sie grundsätzlich. Die sogenannte Dispens-Regelung ist eine wichtige typisierte Härtefallregelung. In der aktuellen Ausgestaltung passt sie jedoch nicht in das behördliche Verfahren und sollte besser integriert werden. Es ist allerdings zuvörderst ein politische Frage, ob es erstrebenswert ist, dass kein Betrieb über 2.500 Hektar groß werden kann. Es bleibt eben unklar, welcher Anteilserwerb missbilligt wird.
Agrarstrukturgesetze: Kritik der Verbände
Die Bauernverbände üben scharfe Kritik an den Gesetzesvorlagen. Ist sie berechtigt?
Es gibt hier nicht die Meinung der Bauernverbände. Sie divergieren innerhalb und zwischen den Verbänden. Deswegen geht die Kritik auch in unterschiedliche Richtungen. Die einen sagen, die Gesetze sind zu streng. Andere sagen, die Gesetze sind zu lasch. Ich habe das Gefühl, dass die Gretchenfrage ist: Machen wir es mit oder ohne Konzentrationskontrolle? Eine Frage, die meines Erachtens noch nicht genügend beleuchtet wird, ist der digitale Vollzug der Gesetze. Daran werden sich künftig Gesetze messen lassen müssen.
Glauben Sie, dass die beiden Gesetze tatsächlich noch dieses Jahr verabschiedet werden?
Wenn ich mir die Zeitpläne in Thüringen realistisch anschaue, wird es bis zur letzten Plenarsitzung im Landtag im Juni schwierig. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, aber man müsste sich wirklich sputen. Man weiß allerdings nie, was mit Blick auf die Minderheitsregierung in Thüringen passiert. Bei den Neuwahlen im September könnten spannende Dinge passieren. Und so natürlich auch in Sachsen. Die Anhörung im Landtag war im Januar. Ich habe aber Zweifel, ob die politischen Lager es im Moment reparieren wollen. Von daher sehe ich es im Moment eher dunkelgrau.
War es richtig, dass Brandenburg das Agrarstrukturgesetz gestoppt hat?
Ich denke, es ist zu viel Zeit ins Land gegangen. Die Ressortabstimmungen hätten viel früher stattfinden müssen – vor allem, wenn man im Koalitionsvertrag vereinbart hat, etwas anzugehen. Jetzt also lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Gute drei Monate vor der letzten Landtagssitzung vor der Wahl es noch in den Landtag einzubringen, wäre auch kein gutes Signal. Aus den Erfahrungen aller drei Bundesländer kann man also resümieren: Rechtzeitig anfangen!
Interview: Claudia Duda
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