Vor dem Bauerntag in Cottbus

Ernüchternde Bilanz der Bauernproteste: Politiker und Landwirte finden nicht zueinander

Podiumsrunde unter freiem Himmel: Wer zuhört, darf im Schatten stehn, die Diskutanten nicht. (c) Heike Mildner
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Am 26. Januar waren Landwirte aus Brandenburg mit hundert Schleppern in Berlin von einer Parteizentrale zur nächsten gezogen. Sie hatten an Grüne, FDP und SPD sechs Forderungen gestellt. Vor dem Deutschen Bauerntag wollte der Landesbauernverband Brandenburg (LBV) Bilanz ziehen.

Von Heike Mildner

Bevor am Dienstag der Deutsche Bauerntag beginnt, wollen es die Brandenburger wissen: Am 26. Januar waren sie mit hundert Schleppern durch Berlin gezogen, von einer Parteizentrale zur nächsten: Grüne, FDP, SPD. Der Landesbauernverband (LBV) hatte sechs Forderungen formuliert: von der Erhaltung des Agrardiesels über Wettbewerbsgleichheit in der EU, die steuerfreie Risikorücklage und Bürokratieabbau bis zum Lieferkettengesetz. Jetzt wollen sie wissen, was die Ampel seitdem für die Bauern erreicht hat.

Bilanz zu demokratischen Einflussmöglichkeiten

Alles an diesem Montagvormittag in Dissenchen bei Cottbus ist symbolträchtig. Die Zufahrt über den Kreisverkehr mündet in eine Sackgasse, die auf einer Brache endet. Die stehe für Wildwuchs und Vernachlässigung, aber auch für Vielfalt und Gestaltungsspielraum, zeigt sich der LBV in seiner Einladung diskussionsbereit. Mit Maria Noichl (SPD), Karl Bär (Grüne) und Karlheinz Busen (FDP) treffen drei Entsandte ihrer Parteien auf rund 30 Landwirte und den Fuhrpark der Agrargenossenschaft Kahre/Branitz, die dem Aufruf des LBV gefolgt sind. Anderenorts hat die Gerstenernte begonnen, hier soll es um eine Zwischen-Erntebilanz in Sachen demokratischer Einflussmöglichkeiten gehen. Was haben die Proteste gebracht?

An einem Strang ziehen, geht anders

Die Bilanz fällt erwartungsgemäß aus. Die detailreichen und teils provokativen Fragen, die Benny Hecht, Heiko Terno und Christoph Plass vom LBV-Vorstand stellen, machen vor allem eins deutlich: An einem Strang ziehen, weil man die Probleme der Landwirte verstanden hat, sieht anders aus. Oder wie es der LBV in seiner Pressemitteilung formuliert: „Es zeigte sich, dass Maria Noichl, MdEP (SPD), Karl Bär, MdB, (B 90/DIE GRÜNEN) und Karlheinz Busen, MdB (FDP) keine gemeinsame Idee für eine erfolgreiche Landwirtschaft in Deutschland verfolgen. Stattdessen stehen die programmatischen Einzelziele ihrer Parteien im Vordergrund, die vorgeben, welche gesellschaftlichen Leistungen Landwirtschaft zu erbringen hat. Noichl verteidigte den europaweiten Anspruch auf den Mindestlohn in der Saisonarbeit, Bär verteidigte die Notwendigkeit der Stoffstrombilanz, Busen blieb unklar, ob das Dienstwagenprivileg wichtiger sei als der Agrardiesel oder umgekehrt.“

Hinweise für eine angemessene Protestkultur

Maria Noichl (SPD) sitzt seit 2014 für die SPD im EU-Parlament. Das macht es ihr leicht, die Politik auf Bundesebene zu kritisieren. Dafür gibt sie ungefragt Hinweise für eine angemessene Protestkultur (Ampel am Galgen geht gar nicht), und die schroffen Proteste in Brüssel würden eher dafür sorgen, dass Fördermittel künftig an Naturschutzvertreter ausgereicht würden und der Landwirtschaft verloren gingen.

Einigung vielleicht noch möglich

Karlheinz Busen (FDP) kommt mit der Bahn und muss früher wieder weg. Er schimpft auf die EU, die eigentlich anders gedacht war, würde das Geld für Projekte im Ausland und für Soziales lieber für Natur und Landwirtschaft ausgeben, duzt die Landwirte, gibt sich als selbständiger Unternehmer bodenständig, als einer von ihnen. Brache und Photovoltaik findet er schrecklich. Dass die FDP das Lieferkettengesetz blockiert und den Finanzminister stellt, hat er darüber offenbar aus dem Blick verloren.

Stehen für die Regierungsparteien in der Sonne: Karlheinz Busen (FDP), Karl Bär (Grüne), Maria Noichl (SPD). (c) Heike Mildner
Stehen für die Regierungsparteien in der Sonne: Karlheinz Busen (FDP), Karl Bär (Grüne), Maria Noichl (SPD). (c) Heike Mildner

Eine Resthoffnung wirft Karl Bär (Grüne) in die Runde: „Gewinnglättung, Lieferketten, Umschichtungen innerhalb der GAP“ – diese Sachen seien noch in der Diskussion, eine Einigung möglich, wenn auch keine schnelle. Er versucht gar nicht erst, sich um die Gunst der Landwirte zu bemühen. Seine Haltung ist klar: Im Bundestag setze er sich für eine ökologische Landwirtschaft ein, die „ohne Gift und Gentechnik, sondern mit der Natur arbeitet“. So steht es auf seiner Website. Praxiserfahrung, wie die von LBV-Vorstand Christoph Plass, dass die Agrardieselbesteuerung ökologische Betriebe in Brandenburg härter trifft – kontert er mit KTBL-Tabellen. Und dass die Grünen an der Stoffstrombilanz festhalten, die dann Nährstoffbilanz heißt, begründet er mit der Verursachergerechtigkeit. Andere Verursacher als Landwirte spielen für ihn keine Rolle. „Ich würde mir an Ihrer Stelle überhaupt keine Hoffnung machen, dass mit einer besseren Datenbasis herauskommt, dass die Landwirtschaft nicht schuld ist.“ Argumente vonseiten der Praktiker scheinen ihm wenig zu gelten.

Bauernproteste: Kleinteiliger Bürokratie-Abbau

Lichtblicke auf Bundesebene? Bär nennt die vereinfachte Ohrmarkenlösung seit Mai. Man gehe in dieser Kleinteiligkeit vor, nennt Hit-Datenbank (Warum dieselben Daten mehrfach eingeben?) und Agroforst (Warum 20 m Abstand zum Rand? Warum Erlaubnis der Unteren Naturschutzbehörde?) als Beispiele. Busen nimmt für die FDP die landwirtschaftsfreundliche Glyphosat-Regelung in Anspruch. Schließlich gebe es „kein einziges Gutachten, dass das schädlich sein soll“. Er würde gern über Wald und Wolf reden, aber dazu wird er nicht gefragt.

LBV-Vizepräsident Christoph Plass resümierte nach der Veranstaltung: „Wir stellen fest, dass die warmen Worte von Jahresanfang sich merklich abgekühlt haben. Warum wir bei der Stoffstrombilanz bleiben, bleibt ein Geheimnis der Grünen. Auch das Argument der angeblich zwingenden Vorgaben Europas kann ich nicht mehr hören, wenn 100 Kilometer weiter östlich unsere polnischen Kollegen ganz andere Rahmenbedingungen haben. Nachdem der Vorschlag der SUR zurückgenommen wurde, haben wir kein Verständnis mehr für nationale Alleingänge.“

Benny Hecht (KBV-Vorsitzender in Teltow-Fläming) und die LBV-Vizepräsidenten Heiko Terno und Christoph Plass wollen wissen, was die Proteste auf Bundesebene bewirkt haben. (c) Heike Mildner
Benny Hecht (KBV-Vorsitzender in Teltow-Fläming) und die LBV-Vizepräsidenten Heiko Terno und Christoph Plass wollen wissen, was die Proteste auf Bundesebene bewirkt haben. (c) Heike Mildner

Heiko Terno, ebenfalls Vizepräsident beim LBV, ergänzt: „Auf Landesebene sind wir da schon viel weiter. Der Ministerpräsident hat als erstes mit dem Erhalt der Ausgleichszulage für benachteiligte Gebiete eine direkt einkommenswirksame Maßnahme ergriffen und dann einen Prozess zum Bürokratieabbau mit der Verwaltung angeschoben. Davon sollte sich der Bund eine Scheibe abschneiden und liefern. Als wir in Berlin waren, wurden uns Entlastungen zugesichert. Wir haben der Politik geglaubt und nun drohen wir enttäuscht zu werden.“

Nähe kann man nicht herbeireden

Nähe kann man nicht herbeireden. Weder die der Vertreter der Regierungsparteien untereinander, noch deren Nähe zu den Vertretern des landwirtschaftlichen Berufsstandes. Er sehe sich nach der gestrigen Zwischenbilanz weiterhin in der Pflicht, die Forderungen zur Entlastung und Stärkung der Landwirtschaft an die Bundesregierung mit Nachdruck zu verfolgen, teilt der LBV mit.

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Schröder in Cottbus 1999
Kanzler Gerhard Schröder 1999 beim Deutschen Bauerntag in Cottbus. Als Antwort auf die Sparpläne der Bundesregierung reichten ihm Delegierte symbolisch ihr letztes Hemd. Es gab die Bilder, die der gewiefte SPD-Politiker offenbar wollte: als eiserner Spar-Kanzler, der selbst dem Druck der Bauern nicht nachgibt. (c) Wolfgang Herklotz

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