Das Stetige ist der Wandel
Vor über 30 Jahren wurde der Biohof Scharf im thüringischen Ollendorf aus der Taufe gehoben und ist mit den Jahren zu einem großen Familienbetrieb geworden. Von der Oma bis zum Enkel sind alle mit an Bord und arbeiten Hand in Hand.
Von Birgitt Schunk
In der Winterzeit werden meist die besten Ideen geboren. Wenn täglich um halb vier nachmittags zu Hause bei Liane Scharf die Familie zu Kaffee und Kuchen zusammenkommt, ist derzeit schließlich mehr Zeit als in den übrigen Monaten des Jahres. Den festen Termin am Nachmittag gibt es zwar das ganze Jahr über, doch im Frühling, Sommer und Herbst hat man auf dem Biohof im thüringischen Ollendorf alle Hände voll zu tun – dann bleibt weniger Muße für einen Plausch.
Ein großer Schritt nach der Wiedervereinigung
Chefin Liane Scharf hat gerne alle um sich herum. Es sind nicht nur ihre Liebsten, die sie bewirtet, es sind sozusagen auch ihre Kollegen. Denn die ganze Familie arbeitet mit im Betrieb, der sich von Jahr zu Jahr immer wieder verändert hat. Das Stetige ist beim Biohof Scharf der Wandel. In der kalten Jahreszeit wird dafür oft der Grundstein gelegt – wie am Kaffeetisch. „Da haben wir dann auch mal Zeit, um Ideen fürs neue Jahr zu spinnen“, sagt Tochter Kerstin Scharf-Goldammer. Sie kümmert sich im Unternehmen vor allem um den Gemüseanbau.
Mutter Liane und Vater Gunter sind für den Feldbau zuständig. Ihre Schwester Denise organisiert den Lieferservice „Mein BioKorb“. Bruder Bastian hat sich den Pferden verschrieben. Und da wäre auch noch Marie, die Kindergeburtstage sowie Ferienfreizeiten auf dem Hof organisiert und auch die Eierproduktion gemeinsam mit Bastian in Regie hat. „Sie kam als Letzte hinzu – meine Eltern, ich und meine drei Geschwister sind nun alle hier im Betrieb“, erzählt Kerstin.
Nicht zu vergessen natürlich Oma Christa, die jetzt ihren wohlverdienten Ruhestand genießt. „Mit meinem Großvater hat sie 1991 den ökologischen Landwirtschaftsbetrieb gegründet.“ Ein großer Schritt damals nach der Wiedervereinigung, als Biolandbau hierzulande noch ein Fremdwort war. „Da haben manche die beiden belächelt, als sie ihr Stück Land aus der LPG rauslösten und loslegten.“
erster Biohofladen Thüringens
Anfang der 1990er-Jahre wurde ein neuer Milchviehstall gebaut, doch die Vermarktung hielt dem nicht Schritt. Die Biomilch ging in eine konventionelle Molkerei, weil die Alternative fehlte. Und die Enkelin erzählt vom ersten Biohofladen Thüringens, den ihre Großeltern zudem eröffneten. „Trotz der Nähe zur Stadt hat damals aber noch keinen interessiert, wo das Essen herkommt“, blickt Kerstin zurück. Ihre Mutter Liane übernahm als Agraringenieurin das Unternehmen gemeinsam mit ihrem Mann – das war 2004.
Pferde statt Kühe und Schweine
Die Biomilch-Produktion rechnete sich nicht, der Abschied von den Milchkühen folgte. Stattdessen wurden Fleischrinder gehalten, später dann Schweine. Damit konnte sich Bruder Bastian, der 2013 in den Betrieb einsteigen wollte, nicht so recht anfreunden.
Und so kamen die Schweine raus und die Pferde rein in den Stall. Heute sind auf dem Biohof Scharf 40 Pferde in Pension, die hier unter seiner Regie versorgt und bewegt werden. Zudem werden Reitstunden angeboten.
Bio-Beete zum selberernten
Kerstin selbst stieß 2014 hinzu. Loslegte die Gartenbauingenieurin mit Bio-Beeten fürs Selbsternten. Heute sind es 18 Beete, die so vermietet werden. 15 verschiedene Kulturen wachsen und gedeihen dort. Ab Mai übernehmen die Interessenten die Flächen, die zwischen 25 und 80 Quadratmetern groß sind. Wasser und Werkzeug werden bereitgestellt.
Auch hier gelten die Biorichtlinien. Schneckenkorn auszustreuen, ist tabu. „Die Leute sind stolz, wenn sie ihre Ernte nach Hause tragen“, sagt sie. Dennoch ist die Resonanz übersichtlich, denn das eigene Beet ist natürlich mit Arbeit verbunden – nicht jedermanns Sache also.
Biokorb voller regionaler Produkte
Und so startete der Familienbetrieb selbst den Gemüseanbau auf rund zwei Hektar für Bioläden, größere Mengen gehen an den Großhandel. Mit der Vielfalt reifte auch die Idee, einen eigenen Biokorb an Kunden zu liefern.
Gemeinsam mit Schwester Denise wurden Lieferketten aufgebaut, Tourenpläne organisiert und Kunden geworben. Rund 300 Abnehmer gibt es derzeit, die eine Kiste pro Woche vom Biohof Scharf ordern. Mindestbestellwert sind 15 Euro. Im Angebot ist das, was wächst – von Erdbeeren über Salat bis hin zum Rosenkohl. In sogenannten Regiokisten sind aber auch Brot oder Käse regionaler Anbieter zu finden.
Vielfältige Angebote für Kinder und Schulklassen
Ebenso wurden Bio-Eier mit angeboten. Doch als der Produzent nicht mehr liefern konnte, musste eine Lösung her. „Genau das Richtige für mich“, sagt Schwester Marie. Sie kaufte einen Lkw-Auflieger, der zum Hühnerstall umgebaut wurde. 220 Legehennen hat sie heute. Zuvor hatte sie als Erzieherin im Kindergarten gearbeitet, aber nebenbei auf dem Hof bereits Kindergeburtstage organisiert.
Heute gibt es auch Ferienangebote oder Führungen mit Schulklassen. Die jungen Gäste versorgen dann auf dem Hof die Tiere, kochen auch zusammen, sitzen am Lagerfeuer oder entdecken die Streuobstwiese. Als wegen Corona nichts mehr ging, verschickte Marie in Bauernhof-Kisten Bastelideen für Kinder.
Biohof Scharf: „vier Kinder und sieben Enkel – die ganze Familie ist hier“
Genau genommen sind es heute drei Betriebe, die auf dem Hof der Familie ansässig sind. Doch die Grenzen sind fließend. „Jeder springt dem anderen bei, wenn Hilfe gebraucht wird“, sagt Liane Scharf. Wenn im Sommer die Ernte schnell eingebracht werden muss, sind alle dabei. Die Gemüsefrauen misten im Winter auch mal mit aus, wenn es draußen weniger zu tun gibt. „Da guckt keiner auf die Stunden und schreibt ständig hin und her Rechnungen.“
Sie und ihr Mann Gunter sind heute froh, dass alle im Familienbetrieb angekommen sind. „Wir haben vier Kinder und sieben Enkel – und die ganze Familie ist hier“, sagt sie. „Das hat sich perfekt ergeben, unser Hof ist rund.“ Und so findet man nicht nur zum täglichen Kaffee zusammen, sondern auch zu Geburtstagen, Weihnachten oder Schuleinführung. Was das rein Betriebliche angeht, so gebe es durchaus auch mal Reibungspunkte, aber nie Streit. „Oft geht es drum, was wir noch besser machen könnten, und wo wir hin wollen – unsere Kinder sind sehr kreativ.“
Hofcafé, gemeinschaftsküche oder Eierlikör?
Liane Scharf selbst würde in diesem Jahr gerne etwas den logistischen Aufwand minimieren. Das ständige Umräumen der Technik zwischen Hof und Stall erscheint ihr zu viel. Die Pläne der Kinder gehen da noch ein Stück weiter. Ein Hofcafé könnten sie sich ganz gut vorstellen – ebenso eine große Küche fürs gemeinsame Kochen mit Gruppen. Nudeln oder Eierlikör herzustellen sind noch Zukunftsmusik.
„Wichtig ist derzeit, dass wir uns Gedanken machen über die künftige Struktur, wenn unsere Eltern den Hof irgendwann übergeben wollen“, sagt Kerstin. Sie weiß, dass die Eltern sich natürlich schon wünschen, dass der Feldbau als Rückgrat und Urproduktion erhalten bleibt. 60 Hektar Ackerfläche werden heute mit Weizen, Dinkel, Hafer, Gerste, Roggen, Raps und Erbsen bewirtschaftet.
Doch noch bleibt auch in diesem Winter Zeit, sich die Ideen für die Zukunft des Hofes durch die Köpfe gehen zu lassen. Eines aber wissen die Eltern heute schon: Der Betrieb ist in guten Händen bei der jüngeren Generation, die immer wieder offen ist für Neues. „Die Kinder werden gemeinsam ihr Ding machen“, sind sie sich ganz sicher. Ein gutes Gefühl.