Erntekönigin Pauline Hirschberg: Wann ist endlich Schluss mit frauenfeindlichen Pöbeleien?
Die amtierende Brandenburger Erntekönigin Pauline Hirschberg hat ihre Erfahrungen auf der Grünen Woche in einem Text zusammengefasst, der am Internationalen Frauentag die Frage aufwirft, wo unsere Gesellschaft in puncto Gleichberechtigung wirklich steht.
Von Pauline Hirschberg, amtierende Brandenburger Erntekönigin
Berlin, 25. Januar 2024, Messegelände. Die Grüne Woche läuft seit dem 19.01., und seit diesem Tag bin ich fast durchgängig in der Brandenburg-Halle unterwegs. Kein Tag vergeht ohne Termine, heute steht der Havelland-Tag auf dem Plan. Als gebürtige Havelländerin bin ich selbstverständlich dabei. Gemeinsam mit dem Landrat, dem Landwirtschaftsdezernenten, Bürgermeistern, Abgeordneten, weiteren Havelländer Hoheiten und Pressevertretern mache ich mich auf zum Rundgang durch die Halle, geführt vom Tourismusverband.
Einige Stände und Kostproben später stehen wir zusammen und besprechen den weiteren Tagesablauf, da tritt aus der Menge ein Herr mittleren Alters an mich heran. Nichts ungewöhnliches, vielleicht möchte er ein Bild machen, eine Autogrammkarte haben oder auch nur eine Frage stellen. Aber nichts dergleichen passiert. „Mensch, du bist aber ein fettes Mädel, Rotkäppchen!“, sagt er mir ins Gesicht, dreht sich zu seinem Begleiter um, lacht dreckig und geht weiter durch die Halle. Ich stehe völlig perplex da und versuche zu realisieren, was da gerade passiert ist. Aber viel Zeit bleibt mir nicht, der Tross zieht weiter zum nächsten Stand.
Pauline Hirschberg: Der Satz lässt mich den ganzen Tag nicht los
Dieser Satz lässt mich den ganzen Tag nicht mehr los, ich ertappe mich öfter bei der Frage, was für einen Anreiz ich dem Herrn möglicherweise gegeben haben könnte: War es das Kleid ? Liegt es an dem Körbchen gefüllt mit Süßigkeiten, Aufklebern, Autogrammkarten usw.? Oder bin ich vielleicht wirklich „zu dick“?
Dieser Vorfall war nur die Spitze des Eisbergs, seit Beginn der Grünen Woche habe ich jeden Tag solche Situationen erlebt: anzügliche Sprüche, plumpe Anmachen, Beleidigungen, frauenfeindliche Kommentare, Beschimpfungen, ungebetene Berührungen. Letztlich habe ich an den letzten beiden Tagen das Kleid im Schrank gelassen und bin in Jeans & Poloshirt erschienen.
Gleichberechtigung und Respekt für alle
Im Nachgang der Messe ist mir erst richtig klar geworden, dass ich an keinem dieser Vorfälle eine Mitschuld trage, nichts, was ich getan habe, rechtfertigt so etwas; kein Kleid, kein Blick, keine Tätigkeit. Einzig die „Kommentatoren“ tragen die Verantwortung für ihre Aussagen. Trotzdem macht es mich nachdenklich: Sollte unsere Gesellschaft nicht mittlerweile an einem Punkt sein, wo Frauen den gleichen Respekt für ihr Tun erhalten wie Männer?
Um Brandenburger Erntekönigin werden zu können, musste ich mein Fachwissen unter Beweis stellen. Eine landwirtschaftliche Ausbildung oder ein Studium sind Voraussetzung. Ich bin Teil der Branche, die ich repräsentiere, bin mit Kenntnissen und Erfahrung ausgestattet. Leider wird mir das immer wieder abgesprochen, für viele bin ich nur ein Mädchen im Dirndl, das für Fotos posiert und Flyer verteilt, nur nettes Beiwerk mit dem man sich schmücken kann.
Das Amt als Erntekönigin ist mehr als nur Kleid, Krone und Schärpe tragen
Doch zu diesem Amt gehört so viel mehr als nur Kleid, Krone und Schärpe tragen. Um möglichst viele Veranstaltungen zu besuchen investiere ich viel Freizeit, muss teilweise Urlaub nehmen. Ich reise fast immer selbst an und bin dafür schon viele hundert Kilometer gefahren. Größere Veranstaltungen müssen oft mehrere Wochen vorher vorbereitet werden, die eigenen Hobbys stehen oft hinten an. Auch solche Dinge wie Interviews geben oder Briefe, Artikel usw. schreiben werden in der Freizeit erledigt.
Das Amt verlangt viel, gibt aber genau so viel zurück. In meiner zweijährigen Amtszeit konnte ich mir ein großes Netzwerk aufbauen, habe viele interessante Menschen kennengelernt und die verschiedensten Ecken unseres Bundeslandes kennengelernt. Ich konnte Dinge erleben, die mir sonst kaum möglich gewesen wären und viele unvergleichliche Erinnerungen sammeln. Ein solches Ehrenamt bietet außerdem eine ganze Menge Chancen für die berufliche Zukunft. Eine tolle Möglichkeit für junge Landwirtinnen!