Keine Zukunft für den Obstbau?
Das Wildbienen-Video von Thomas Bröcker und Claudia Schernus ging durch „Bauer Willi“ viral. Für die Obstbauern ist Regionalität der Trend. Dennoch fahren sie den Betrieb zurück.
Das Gespräch führte Heike Mildner
Thomas Bröcker fing nach dem Studium 1980 in Frankfurt (Oder) als Technologe im Obstbau an und leitete den Bereich bis zur Wende. Er war federführend an der Privatisierung des Betriebes beteiligt. Damals gründeten 17 Wiedereinrichter die Vermarktungsgenossenschaft Markendorf Ost eG. Bröcker war in den ersten vier Jahren Vorstandsvorsitzender, bevor er sich auf den eigenen Betrieb konzentrierte.
Bauernzeitung: Wieviel Mitglieder hat die Genossenschaft heute?
Thomas Bröcker: Es sind noch zehn produzierende Betriebe in Markendorf, dazu kommen drei große Gemüsebaubetriebe aus dem Spreewald. Unsere Genossenschaft agiert nicht selbstständig, sondern ist seit 1996 Gesellschafter der VEOS (Vertriebsgesellschaft für Obst mbH mit Sitz in Dresden) – gemeinsam mit Obsterzeugern in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. In Frankfurt haben wir ein Kühllager für 6.000 Tonnen, Sortierung und Disposition, der Verkauf erfolgt über Dresden.
Virales Video: Mauerbienen einer Obstbäuerin
Die Wildbienen von Obstbäuerin Claudia Schernus aus Frankfurt (Oder) wurden durch einen Beitrag von “Bauer Willi” von Tausenden bei ihrem Ausmarsch aus dem Lagerhaus bestaunt. Knapp drei Wochen später haben sie ihren Job im Obstbau fast erledigt. mehr
Sie bauen Ihren Betrieb zurück. Wo stehen Sie und wie kommen Sie damit zurecht?
Wir haben einmal 80 Hektar bewirtschaftet und sind jetzt bei 32. Ich bin 62. Wenn keiner weitermacht, muss ich zurückbauen. Ich sehe das nüchtern, denn es ist kein über Generationen gewachsener Betrieb. Allerdings möchte ich dafür sorgen, dass die Genossenschaft erhalten bleibt, dass die übrigen Betriebe groß genug sind, um das Lager zu füllen. Die frei gewordenen Flächen haben wir teils an Ackerbaubetriebe verpachtet, teils an Leute, die sich ausprobieren wollen. Etwa eine Solawi, also eine solidarische Landwirtschaft (Judith Ruland war bei „Wir müssen reden!“ vom rbb Fernsehen, Thema Landwirtschaft, am 13. Februar, www.plantage.farm – Anm. der Red.).
Bedingung war, dass die Zahlen auf den Tisch gelegt werden. Wir haben eine Kooperationsvereinbarung, ein gemeinsames Projekt, mit dem wir verifizieren wollen: Was kostet es? Was geht an Arbeitskraft und Material rein? Was kommt an Produkten runter? Und was passiert mit Bodenfruchtbarkeit und Insekten? Ich begleite das ökonomisch, für Boden und Insekten haben wir uns Partner gesucht. Das Projekt „Obstbau im Diskurs“ hat 2019 begonnen, läuft über fünf Jahre und wird über die Förderung „Zusammenarbeit für Landbewirtschaftung und klimaschonende Landnutzung“ finanziert. Der zweite Teil, das Insektenmonitoring, ist noch nicht bewilligt. Ich hoffe, dass das trotz Corona bald passiert. Es wird aufschlussreich.
Wer wird das Insektenmonitoring machen, eine Naturschutzorganisation?
Der Nabu ist mit an Bord, aber die Insektenerfassung soll über unabhängige private Firmen erfolgen. Wir wollen die Daten in jedem Fall auswerten, nennen und publizieren können – egal, was dabei herauskommt.
In Brandenburg soll verstärkt der Bioobstanbau gefördert werden. Ist das keine Alternative für Sie oder einen potenziellen Nachfolger?
Für mich nicht. Ich bin Obstproduzent. In Brandenburg gibt es laut Statistik 270 Hektar Bioäpfel. Mir sind allerdings nur 25 Hektar bekannt, auf denen wirklich produziert wird. Der Rest sind vielleicht Streuobstwiesen, da findet jedenfalls keine nennenswerte Produktion statt. Über den Bioobstanbau in Brandenburg gibt es keine Produktionszahlen, nur Hektarangaben. Auch von daher ist unser Projekt wichtig. Wir haben sieben konventionelle Obstproduzenten, die Solawi und einen Biobetrieb im Boot.
Ihre Nachbarin, die dreimal spritzt, wenn Sie einmal spritzen? Ihre Frau hat das in unserem Gespräch über die Wildbienen erwähnt, auch, wie die Pflanzenschutzmittel, die Bioobstproduzenten einsetzen dürfen, hergestellt werden. Ist es wirklich so absurd?
Mir liegt es fern, Bio- und konventionellen Obstbau gegeneinander auszuspielen. Ernsthafte Produktion von Bioobst ist harte Arbeit und genauso intensiv wie konventioneller Obstbau. Da die Bioanbauer keine speziellen Mittel haben, müssen sie beim Pflanzenschutz öfter ran. Dabei wird beispielsweise im Apfelanbau – der Apfelblütenstecher ist da ein Riesenproblem – das Breitbandinsektizid Pyrethrum angewendet. Der Wirkstoff wird aus Chrysanthemen gewonnen, die in Afrika großflächig und konventionell angebaut werden. Von einem Hektar werden zehn bis zwölf Kilo Wirkstoff extrahiert. Chemisch ist er fast identisch mit Karate.
Zurück zur Hofnachfolge. Ihre Frau sagte, Sie haben als Ausbilder gearbeitet …
Ich habe die Ausbildung organisiert, war und bin prüfungsberechtigt, habe aber Lehrlingsausbildung nie praktiziert. Auch nicht im eigenen Betrieb.
Fällt Ihnen das jetzt auf die Füße, da Sie keinen Nachfolger bekommen?
Gar nicht. Wenn Sie sich die Situation im Obstbau anschauen: Brandenburg hatte in den vergangenen Jahren nur einen einzigen Lehrling im Obstbau. Die Berufsschulklassen im Westen bestehen zu 95 Prozent aus Betriebsnachfolgern, in Südtirol gibt es beispielsweise 300 Auszubildende. Wir haben nur ganz wenige solcher Betriebe. Und die Arbeitskräfte müssen so billig wie möglich sein. Die schlechte Bezahlung verhindert, dass sich deutsche Fachkräfte überhaupt für den Obstbau interessieren.
Im Gartenbausektor ist der Galabau die Wachstumsbranche, da wird auch gut Geld verdient – meist allerdings mit Beton, wie die Galabauer selbst sagen. Der Produktionsgartenbau liegt bei den Löhnen deutlich drunter. Für gutes Geld kriege ich gute Leute, muss dann aber auch einen guten Preis für die Produkte bekommen. Erst recht bei Bio.
Und Ihre Tochter, die in Berlin die Apfelgalerie aufgebaut hat? Hat sie Obstbau gelernt?
Nein, Caty hat Kulturwissenschaften studiert und vor 14 Jahren in Berlin den Laden aufgemacht. Ihre Schwester hat Landwirtschaft studiert, 2009 hier einen Betrieb gegründet und 2014 wieder aufgegeben. Sie hatte mit drei schlechten Jahren richtig Pech: einmal komplett verhagelt, einmal komplett erfroren und ein mal halb erfroren. Dann kam der Mindestlohn, und sie hat die Handbremse gezogen.
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Und will nicht übernehmen?
Sie arbeitet jetzt beim Pflanzenschutzamt. Eine sichere Sache.
Warum ist man in Südtirol erfolgreicher als hierzulande?
Der Hauptgrund ist, dass die Betriebe hier in der Anfangszeit alle zu wenig Kapital hatten. Den Gegenentwurf sieht man in Werneuchen: Das ehemalige VEG Werneuchen wurde von Italienern gekauft. Die haben ihre Technologie und ausreichend Kapital mitgebracht und einen Betrieb mit dem gleichen Produktivitätsniveau wie im Stammbetrieb aufgebaut. Und wenn die Produktion erstmal auf einem niedrigeren Niveau eingefahren ist – wir hatten bekanntlich Dürre und Frost –, fehlt am Schluss das Geld bei den Investitionen.
In unserer Genossenschaft gibt es drei, vier gut aufgestellte Betriebe, die rechtzeitig investiert haben. Wenn wir weg sind, müsste aber wieder ein größerer, mit um die 50 Hektar dazukommen, damit die Genossenschaft gut wirtschaften kann. Ein Betrieb mit 40 bis 50 Hektar – das wäre eine Investition von rund drei Millionen. Wir werden das hier lösen, da sind wir dran. Aber es ist ja ein Grundproblem im Osten, die sogenannte Gerechtigkeitslücke: Die Alten scheiden aus, und das Vermögen bleibt in der Genossenschaft.
Und wenn ein obstbauferner Investor kommt?
Da würd‘ ich sagen: Prima!
Was könnte die Politik tun, um die Strukturen im Obstbau zu stärken?
Nicht viel, denke ich. Vielleicht sollte man den Preiskampf im Lebensmitteleinzelhandels unterbinden. Aber generell? Wir haben starke Differenzen bei den Lebenshaltungskosten in Europa, aber Freizügigkeit für die Ware. Das Einzige, was helfen würde: einheitlicher Lohn, einheitliche soziale Bedingungen und eine einheitliche Bewertung der Lebensumstände in Europa. Das ist aber eigentlich nicht gewollt, weil die Industrie überall ihre Satelliten gebaut hat, ob in Polen oder in Rumänien. So kann sie auf dem Weltmarkt mithalten.
VW hat 400.000 Angestellte, davon sind 300.000 im Ausland – sie produzieren aber deutsche Autos. Wenn ich meine Erdbeeren von zehn Kilometer weiter aus Polen hole, sind es keine deutschen Erdbeeren mehr, selbst wenn ich selbst sie dort produziere. Ich denke, dieser Widerspruch wird bewusst in Kauf genommen, und ich wüsste nicht, wie man es volkswirtschaftlich anders lösen kann. Deutschland lebt nicht von der Landwirtschaft.
Warum haben Sie eigentlich alle diese Zahlen parat?
Ich bin Statistikfan. Zahlen sind hoch spannend: Wenn man sich zum Beispiel die Zeitreihe Wertschöpfung in der Landwirtschaft anschaut, sieht man einen über die Jahre deutlich steigenden Produktionswert, ebenso steigende Vorleistungen – und eine sinkende Bruttowertschöpfung. Das ist so deutlich, und darum ist mein Betriebsrückbau nur folgerichtig. Die Zahlen verfolge ich seit fast 30 Jahren. Offenbar kann oder will man dem nichts entgegensetzen.
Hat der Obstbau in Brandenburg noch eine Chance?
Eine Chance liegt in der Intensivierung – auch so ein verpöntes Wort. In Italien liegt der Ertrag bei 50 Tonnen pro Hektar, hier bei 30. Da ist Luft nach oben. Die Italiener zeigen, dass sie hier die gleichen Erträge hinkriegen. Aber man muss sehr viel investieren: Hagelnetze und Frostschutzberegnung.
In Südtirol hat man so etwas. Dazu noch eine Allgefahrenversicherung, deren Beiträge der Staat dort mit 80 Prozent bezuschusst. Die hohen Hektarumsätze machen Investitionen möglich, die über das Betriebsfondsprogramm der EU bezuschusst werden. Wenn viel Geld da ist, kommt wieder viel dazu. Außerdem gibt es ein Pauschalbesteuerungssystem pro Hektar – damit fällt viel Buchhaltung weg, die Zeit bindet.
Was machen Sie, wenn Sie kein Obstbauer mehr sind?
Wir fahren den Betrieb langsam runter, machen bestimmt noch 15 Jahre weiter – immer etwas weniger. Mir macht es ja auch Spaß. Den Beruf würde ich immer wieder wählen, wäre da nicht der Druck, der letztlich durch die Globalisierung kommt.