Kugelschuss auf der Weide: So funktioniert die hofnahe Schlachtung
Ruven Hener hat lange die ökologische Mutterkuhhaltung auf Gut Temmen (Brandenburg) geleitet. Mit dem Kugelschuss auf der Weide möchte er seinen Rindern ein würdevolles Ende bereiten. Mit Geduld und guten Partnern gelingt ihm das.
Nach dem dritten Schuss geht alles sehr schnell. Jeder im Team von Ruven Hener weiß, was seine Aufgabe ist. Die Handgriffe sitzen und fügen sich zu einer eigentümlichen Inszenierung, die nur wenige Minuten dauert und mit zwei entbluteten Rindern auf einem Spezialanhänger endet. Fast jeden Mittwoch werden in Temmen zwei Rinder der Rasse Uckermärker hofnah getötet, nach Kerkow gefahren und in der dortigen Hofschlachterei zerlegt und verarbeitet.
Fast Routine, und doch ist es an diesem Morgen anders: Etwa 20 meist junge Frauen und Männer stehen auf einer kleinen Anhöhe und verfolgen von dort jeden Handgriff. Einige der Beobachter praktizieren ihn bereits, andere denken über eine Umsetzung im eigenen Betrieb nach, wieder andere werden ihn vielleicht einmal als Veterinär überwachen: den Kugelschuss im Rahmen einer „Schlachtung im Herkunftsbetrieb“.
In Flieth-Stegelitz, wo das Gut Temmen seine 500 Uckermärker betreut, beginnt am 12. Juli um sieben Uhr morgens der Praxisteil des Seminars „Von der Weide auf den Teller: Kugelschuss auf der Weide, Verarbeitung & Wertschöpfung“. Veranstalter sind der Bioanbauverband Demeter, Ruven Hener als freier Berater für ganzheitliche Rinderhaltung, das Gut Kerkow und Karoline Funk und Nadine Feuerbach von agrathaer, die die Ankommenden begrüßen und bitten, sich ruhig zu verhalten.
Kugelschuss in gewohnter Umgebung
Man blickt hinunter auf ein halbrundes Holzgatter mit zwei Toren, daneben ein Hochsitz und eine Betonfläche, auf der auf Folien mehrere Plastikwannen stehen, daneben parkt ein Frontlader. Die Gruppe steht, schaut und schweigt. Spatzen tschilpen, eine Hummel summt vorbei, Wind raschelt durchs Gras. Gegenüber auf der Weide ist eine Gruppe Uckermärker unterwegs. Zwei der Tiere werden in einer halben Stunde tot sein. Sie wissen das nicht und tun, was sie sonst machen.
Auch das Team vom Gut Temmen steht beieinander. Dann machen sich Standortleiterin Antonia Beck und ihre Kollegin auf den Weg zur Weide. Mit großer Gelassenheit treiben sie eine fünfköpfige Gruppe zum Gang, der zum Gatter führt. Die Tiere kennen das Terrain, gehen den Weg mehrmals im Jahr, wenn selektiert wird oder der Tierarzt einen Blick auf sie wirft. Zehn vor Acht stehen die Tiere im Gatter, automatisch und leise schließt sich das Tor. Unaufgeregtes Muhen. Die Treiberinnen gehen durch ein anderes Tor hinaus. Henry Strathmann, amtlicher Tierarzt im Landkreis Uckermark, begutachtet die Tiere vom Zaun aus. Auch Ruven Hener, die Repetierbüchse vom Kaliber .22 WinMag über der Schulter, geht nochmal ans Gatter, bevor er auf die Kanzel steigt.
Nach einer Weile fällt der erste Schuss. Kein Tier scheint irritiert, keines fällt um, nur leichter Pulvergeruch liegt in der Luft. Wie Hener später erklärt, gibt er immer zuerst einen Probeschuss auf eine Zielscheibe ab. Damit dokumentiert er seine Zielsicherheit und prüft die Justierung der Waffe. Dann fallen im Abstand von wenigen Sekunden zwei weitere Schüsse. Zwei Tiere sinken in sich zusammen, die anderen schauen nur kurz zu ihnen hinüber, bevor sie unaufgeregt durch das Tor, durch das sie gekommen sind, zurück zur Weide gehen.
Entblutung und Transport: Die nächsten Schritte nach dem Schuss
Ruven Hener, ein Halfter mit zwei Messern am Gürtel, geht durch das andere Tor ins Gatter, der Frontlader folgt. Neben eines der beiden toten Rinder wirft er eine flache Schale. Hener setzt den Entblutungsschnitt. Das Blut läuft in die Schale. Inzwischen haben zwei Mitarbeiter an den Hinterläufen des anderen Tieres Schlaufen angebracht. Es wird an den Gabeln des Frontladers kopfüber in die Senkrechte gebracht und zur benachbarten, betonierten Fläche gefahren. Als es über einer Wanne auf einer Folie hängt, setzt Hener auch hier den Entblutungsschnitt.
Der Tierarzt hat sich indessen von den korrekten Schnitten überzeugt, die Ohrmarken der Tiere per Handy fotografiert und sich zum Ausfüllen diverser Dokumente in die Scheune begeben. Die liegen schon auf einem eigens gezimmerten Stehpult für ihn bereit. Alles soll zügig, aber nicht hektisch vonstatten gehen. Das hängend entblutete Tier wird per Frontlader auf den bereitstehenden Spezialanhänger geladen. Der ist vom IFN Schönow geliehen, Teil eines Projektes zur hofnahen Schlachtung und kann auch von anderen Brandenburgern ausgeliehen werden.
Entwickelt wurde der Trailer von Lea Trampenau, die in Lüneburg in der gleichnamigen Firma „Innovative Schlachtsysteme“ – ISS – entwickelt und herstellt. Die Temmener sind Projektpartner des IFN und haben gute Erfahrungen mit dem Trailer gemacht. Zwei Tiere passen nebeneinander auf den Trailer und liegen auf zwei ausfahrbaren Schragen, die mittels Seilwinde bewegt werden.
Hofschlachtung: 20 km von der Weide zur Metzgerei
Nach wenigen Minuten liegt auch das zweite Tier, das im Gatter entblutet wurde, auf dem Trailer. Auch das Blut in den Auffangwannen kommt auf den Hänger. Kurz sieht Hener nach seinem heutigen „Publikum“, dann setzen sich alle in ihre Autos und fahren – den Rindern hinterher – 20 Kilometer südöstlich nach Kerkow.
Auf dem Gut, das einmal Sarah Wiener mitgehörte, warten schon die Männer um Maik Ulrich, der die Hofschlachtung leitet. Die Tiere verschwinden im roten Backsteinbau des Gutes im Hygienebereich der Metzgerei, die Seminarteilnehmer wenden sich drei Etagen darüber der Theorie des Kugelschusses auf der Weide zu.
Demeter-Projekt: Rechnet sich die hofnahe Schlachtung für Produzenten?
Anna Dal Grande, die beim Verband Demeter im Osten das Projekt „Von der hofnahen Schlachtung auf den Teller“ leitet, analysiert den Biofleischmarkt, stellt Kundenerwartungen vor und hat mit Hener Checklisten und Diagramme entwickelt, die hilfreich sind für alle, die den Kugelschuss ins Auge fassen. Dass der riesige Aufwand nicht nur aus Tierwohlgründen sinnvoll ist, sondern sich möglicherweise auch rechnet, bestätigt Manuel Pundt, Geschäftsführer von Gut Kerkow.
Zwar sei es zu früh für ein Resümee, aber die Kunden seien bereit, „für gutes Fleisch mehr Geld“ auszugeben. Ein Kilo Rindergulasch kostet im Hofladen oder in den Berliner Biometzgereien des Gutes knapp 35 Euro. Mit dem Weideschuss werden nicht alle Rinder getötet, explizit geworben wird damit auch noch nicht. Aber es wird informiert, mit Antworten auf potenzielle Kundenfragen und mit einem Imagevideo.
Bürokratie und Praxis: Voraussetzungen für den Kugelschuss auf der Weide
Ruven Hener hat den Weideschuss auf Gut Temmen etablieren können. Er ist kein Jäger, hat also keinen Jagdschein. Aber er hat Sachkundelehrgänge belegt und damit den Sachkundenachweis erhalten, seine Anträge auf „Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis“ und auf die „Erlaubnis zum Schießen mit einer Schusswaffe außerhalb einer Schießstätte (Kugelschuss)“ wurden von der Waffenbehörde der Polizei genehmigt, das Veterinäramt genehmigte ihm die „Betäubungsart im Rahmen der Schlachtung im Herkunftsbetrieb“ und die Lebensmittelüberwachung erlaubte die „Schlachtung im Herkunftsbetrieb“.
Es gilt also, viele Hürden zu nehmen. Hilfreich ist es, wenn der amtliche Tierarzt im Landkreis den Kugelschuss als sinnvoll erachtet. Henry Strathmann, der die hoheitliche Aufgabe des Landkreises im Beritt des Hofes wahrnimmt, hat das Projekt Weideschuss in Temmen von Anfang an begleitet. Auch für ihn gehört der Mittwochvormittag fast schon zur Routine. Damit niemand dabei „betriebsblind“ wird, lässt Ruven Hener jedesmal eine Kamera laufen. Würden solche Aufzeichnungen, ergänzt um Stichproben-Kontrollen vom Veterinäramt die Anwesenheitspflicht des Tierarztes ersetzen, würde der Kugelschuss etwas weniger aufwendig und öfter praktiziert.
Ruven Hener, Betriebsleiter, und Henry Strathmann, Amtstierarzt aus der Uckermark, stellen in ihrem gemeinsamen Vortrag in Halle 13 auf der DLG Studio Stage am Mittwoch, den 13. November um 11:00 Uhr vor, wie eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Behörde gelingen und wie der Weideschuss beim Rind erfolgreich und sicher umgesetzt werden kann.
Hofnahe Schlachtung in Brandenburg: Listen, Leitfaden und Ausleihe
Checklisten und Anträge zum Weideschuss:
Nicht nur für Demeter-Betriebe ist der Leitfaden hilfreich, den der Verband Demeter im Osten erarbeitet hat. Auf demeter-im-osten.de/ findet sich unter Aktuelles und Projekte alles, was man zum Thema Weideschuss im Vorfeld bedenken sollte. Außerdem sind Musteranträge und Mustervereinbarungen abrufbar. Erste Frage, wenn man sich mit dem Thema beschäftigt: Gibt es einen Schlachtbetrieb, der tote Tiere annimmt und in einer Stunde erreichbar ist? Schon daran dürfte es vielerorts leider hapern.
Veranstaltungen
Veranstaltungen zum Thema gibt es hingegen reichlich, und das Interesse am Thema ist groß. So fand am 4. Juni bereits zum dritten Mal eine Veranstaltung zum Thema „Mobile Schlachtung in Brandenburg“ statt. In diesem Jahr war das Institut für Fortpflanzung landwirtschaftlicher Nutztiere e. V. in Schönow/ Bernau (IFN) nicht nur Veranstaltungsort, sondern stellte eigene Projekte vor. Die Veranstaltung wurde auch online übertragen. Rund 208 Teilnehmer kamen oder loggten sich ein. Zu der Veranstaltung hatte der Tierschutzberatungsdienst in Brandenburg gemeinsam mit dem IFN, der Landestierschutzbeauftragten des Landes Brandenburg sowie dem Netzwerk Fokus Tierwohl eingeladen.
Alle sind sich einig, dass hofnahe Schlachtung sinnvoll ist und dem Trend schließender Schlachthöfe entgegenwirken könnte.
In der Veranstaltung ging es vor allem um rechtliche und formelle Aspekte der Beantragung und der Qualifizierung, aber auch um aktuelle Entwicklungen und Projekte zur mobilen Schlachtung in Brandenburg. Mobile Einheiten zur Schlachtung im Herkunftsbetrieb konnten besichtigt werden.
Ausleihe teilmobile Einheit
Die teilmobile Einheit, die in Temmen zum Einsatz kam, kann über das IFN ausgeliehen werden. Anfragen an Dr. Claudia Zernick, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IFN, unter c.zernick@ifn-schoenow.de.
„Leitfaden zur Schlachtung im Herkunftsbetrieb“
Ein „Leitfaden zur Schlachtung im Herkunftsbetrieb“, der auf Grundlage eines entsprechenden Papiers aus Niedersachsen von eine Arbeitsgruppe in Brandenburg (MSGIV und Amtsveterinäre) erarbeitet wurde, ist hier abzurufen.
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