Lichterfahrt nach Seelow: Zwischen Party und Protest
Sie organisieren Lichterfahrten, sind aber auch fix mal auf dem Trecker, um ihre Sicht auf die Agrarpolitik PS-stark zu unterstreichen. Wir sprachen mit Phillip Oßwald und Timo Scheib von den Oderland-Bauern vor dem Finale 2023.
Als wir uns am Donnerstagvormittag (14.12) zum Gespräch treffen, haben Timo Scheib und Phillip Oßwald nach Bekanntwerden der Sparpläne der Ampelkoalition wie viele nicht gut geschlafen. Dass sie Montagfrüh um Sechs mit den Oderlandbauern nach Berlin aufbrechen und sogar bis Dienstag bleiben würden, wissen sie zu dem Zeitpunkt noch nicht.
Im Fokus steht bis kurz nach unserem Gespräch noch die Lichterfahrt von Bliesdorf nach Seelow, die dritte in diesem Jahr, die an diesem dritten Advent eigentlich der Jahresabschluss der Oderlandbauern werden sollte. Aber die Ereignisse überschlagen sich dieser Tage, wie die Nachrichten in WhatsApp-Gruppen.
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Lichterfahrt nach Seelow: Interview mit Oderland-Bauern
Das vierte Jahr organisieren die Oderlandbauern Lichterfahrten durch Ostbrandenburg. Ich vermute, der Ursprung liegt in der Protestfahrt zur Demo 2019 von Land schafft Verbindung (LsV). Liege ich da richtig?
Phillip Oßwald: Zur Demo vor dem Brandenburger Tor im November 2019 waren schon viele von uns dabei. Im ersten Corona-Herbst haben wir dann die LsV-Initiative „Ein Funken Hoffnung“ aufgegriffen und die erste Lichterfahrt im Oderland organisiert.
Timo Scheib: Ich erinnere mich noch sehr gut. Die Resonanz war überwältigend! Es kamen an die tausend Leute auf den Wriezener Schützenplatz, um die 32 geschmückten Traktoren zu sehen. Damit hatte keiner gerechnet. Wir hatten alle Genehmigungen – vom Gesundheitsamt usw., die Polizei prüfte alles und sagte trotzdem, wir sollen die Versammlung auflösen, in Frankfurt (Oder) mache sich gerade eine Hundertschaft Polizisten bereit. Was die denn vorhätten, habe ich gefragt, ob sie die Kinder verkloppen wollen? Wegen denen waren wir ja schließlich gekommen… Es war ja keine politische Aktion, wir wollten den Kindern ein bisschen Weihnachtsfeeling ermöglichen.
Aber um Ansichten zur Agrarpolitik loszuwerden, sind Sie auch ab und zu unterwegs…
Phillip Oßwald: Durch die Lichterfahrten ist der Zusammenhalt der Landwirte in unserer Region enorm gewachsen, wir sind gut vernetzt und können schnell auf Ereignisse reagieren. Zum Beispiel hatte einer von uns letztes Jahr eine kleine Notiz in der „Märkischen Oderzeitung“ entdeckt, dass Cem Özdemir nach Neuhardenberg kommt. Das war Anfang September, Özdemir redete auf der Jahrestagung des Deutschen Landkreistags. Wir haben uns verabredet und sind mit 15 Traktoren hingefahren, um am Rande mit ihm ins Gespräch zu kommen.
Timo Scheib: Oder zumindest, um uns zu zeigen. Das Ordnungsamt hat erstmal geguckt, dass wir nichts kaputtfahren. Dann kam die Polizei und wollte wissen, ob das eine Spontandemo sei. Ich habe dann vor Ort eine Demo angemeldet und Fotos von der Autobahnbrücke gezeigt, auf der wir zwei Monate vorher gestanden haben. Die Fotos bestätigten meine Aussage, dass wir immer mit Protestschildern am Schlepper unterwegs sind. Das war wichtig, denn die Polizisten ließen das gelten und funkten ihre Kollegen an, dass sie doch keine Verstärkung bräuchten.
Und kam es zu einem Gespräch mit dem Minister?
Timo Scheib: Wir mussten ziemlich lange auf ihn warten. Als er gegen 16 Uhr kam, war die Begegnung kurz, gefühlt zwei Minuten. Er hat sich unsere Kritik angehört und die Verantwortung dafür auf seine Vorgänger geschoben. Im Nachhinein denke ich, wir hätten ihm den Rücken zudrehen sollen, präsent sein, aber die kalte Schulter zeigen sozusagen.
Was war das für eine Aktion auf der Autobahnbrücke?
Phillip Oßwald: Das hatten wir uns überlegt, um einfach zu zeigen, dass es uns gibt: Wir standen ein paar Stunden mit entsprechenden Transparenten an den Autobahnüberquerungen. Und natürlich kommt man bei dieser Gelegenheit auch mit den Passanten ins Gespräch.
Aus der WhatsApp-Gruppe Oderlandbauern soll – so steht es auf oderland-bauern.de – ein Verein werden. Aber das steht dort schon eine ganze Weile …
Timo Scheib: Seit April dieses Jahres! Wir hätten auch nicht gedacht, dass es so lange dauern würde. Wir hofften ja, für die tausend Schokoladenweihnachtsmänner, die wir dieses Jahr bei den Lichterfahrten wieder verteilen, eine Spendenquittung ausstellen zu können. Stattdessen bezahlen wir sie jetzt selbst. Es hatte einen Punkt in der Satzung gegeben, wo wir die Formulierung ändern sollten. Das haben wir gemacht, und es wurde uns zugesichert, dass wir die Vereinsgründung noch schaffen dieses Jahr.
Wozu noch ein Verein, wie soll er sich abgrenzen zu den anderen, die es schon gibt? Welche Rolle sollen die Lichterfahrten spielen?
Phillip Oßwald: Wir sind aus der WhatsApp-Gruppe entstanden und wollen als Oderland-Bauern vor allem regional wirken. Nicht nur bei den Lichterfahrten im Advent, auch übers Jahr wollen wir Öffentlichkeitsarbeit für uns Landwirte machen, an Schulen gehen, Klassen mitnehmen in die Betriebe, gemeinsam mit den Kindern und Jugendlichen etwas unternehmen, zum Beispiel Hecken pflanzen etc. Noch zu meiner Schulzeit gab es das regelmäßig.
Timo Scheib: Vor allem möchten wir mit älteren Schülern in Kontakt kommen, ab siebte Klasse, die Altersgruppe, die sich in Berlin auf die Straße klebt. Wir wollen sie in Betriebe einladen, damit sie sehen, wie wir arbeiten.
Wie groß wird der Verein?
Timo Scheib: Mit der Gründung haben sich acht, neun Leute beschäftigt. In der WhatsApp-Gruppe sind gut zehnmal so viel. Einige werden sicher eintreten, wenn es endlich soweit ist.
Phillip Oßwald: Wir arbeiten ja jetzt schon, und meistens recht locker: Wenn etwas ansteht, gibt es eine Info in die Gruppe, wir treffen uns dann meist bei Timo auf dem Hof, besprechen, was anliegt und was wir machen wollen. Momentan überlegen wir, was nach der Agrardiesel-Geschichte jetzt geschehen muss, wie weit man gehen kann, ohne seine Existenz aufs Spiel zu setzen.
Und alles neben der Arbeit?
Phillip Oßwald: Klar. Wir beide sind ganz typisch für die Oderlandbauern. Timo ist 50, ich bin 23 – so in der Spanne etwa sind wir alle. Und alle sind eben in der Landwirtschaft unterwegs.
Welche Herausforderungen stehen – neben der aktuellen – in Ihren Betrieben an?
Timo Scheib: Ich habe unseren Familienbetrieb 2022 von meinem Vater übernommen: 320 ha Wiese und Ackerland, und ich bin froh, dass mein Vater sich mit 72 Jahren noch um die 50 Mutterkühe kümmert. Ich habe hier auf der Höhe 15er- bis 45er-Böden, und zurzeit damit zu kämpfen, dass die Leute immer mehr Pacht haben wollen und möglichst kurze Laufzeiten. Und dann muss man erklären, was ein 18er-Boden hergibt oder eine Klausel hineinschreiben, falls ein Windrad aufgestellt werden soll. Aber hier ist eigentlich schon alles voll: 52 Stück. Ansonsten kämpfe ich mit der Trespe, habe dies Jahr alle Gerstenschläge gepflügt und dabei ’ne Menge Diesel und AdBlue verbraucht. Mit den bekannten Konsequenzen.
Phillip Oßwald: Ich bin Pflanzenbauleiter bei der Agro-Genossenschaft Schiffmühle, wie vor mir mein Vater. Wir bewirtschaften 650 ha, haben 480 Mastfärsenplätze, einen Hühnerstall und vermarkten teilweise über den Hofladen. Zurzeit sortieren zwei Leute 30 Tonnen Kartoffeln, die von zwei Rentnern, Genossenschaftsbauern, die dem Betrieb verbunden sind, geerntet wurden. Wir wollen ein breites Angebot für unsere Region bereithalten, von den Personalkosten her ist das aber nur sehr schwer möglich. Weil der Betriebsleiter krank ist, muss ich viel Büroarbeit mitmachen. Ich bin jung und will was reißen, muss aber jeden Tag vier, fünf Stunden im Büro sitzen. Das, was früher für mich Arbeit war, mit dem Schlepper auf dem Acker unterwegs zu sein, ist jetzt schon fast wie Urlaub. Am meisten Feldarbeit schaffe ich am Wochenende.
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Video: Lichterfahrt
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