Linsen in Brandenburg: Die Kostbarsten der Welt
Johann Gerdes setzt auf Bio-Linsen: Ein Projekt zur Förderung regionaler Wertschöpfungsketten zeigt erste Erfolge. Trotz Herausforderungen durch das Klima sind die Ergebnisse ermutigend. Kann Brandenburg zur neuen Heimat der Linse werden?
Von Heike Mildner
Feldtag auf dem Hof von Johann Gerdes. Dort gedeihen Brandenburger Bio-Linsen im Rahmen eines gleichnamigen Projekts. Das Ziel: Eine neue Wertschöpfungskette zu etablieren. Das ist dem Land einiges wert.
Linsen-Anbau Als Markt-Nische
Von allein würde wohl kaum ein Landwirt in Brandenburg auf die Idee kommen, Linsen anzubauen. Vermutlich also eine Kopfgeburt. Die gedankliche Kette: Klimawandel, Trockenheit, schwache Böden – was kann darauf wachsen außer Fotovoltaikmodulen? Vielleicht Linsen. Die gehörten in den 50er- und 60er- Jahren noch vielerorts in Deutschland zur Fruchtfolge.
Heute würden 95 % vor allem in Kanada und Indien für hiesige Konsumenten heranwachsen, heißt es auf der Webseite des Projekts Brandenburger Bio-Linsen, das von der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg (FÖL) beantragt wurde und 2023 angetreten ist, um mit acht Landwirtsbetrieben und drei Partnern aus Verarbeitung und Handel eine klimaschonende Wertschöpfungskette für regionale Bio-Linsen zu etablieren.
Diesen einfluss hat das Wetter auf den Ertrag
Mit finanzieller Unterstützung durch das Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz (MLUK) in Höhe von 295.000 € soll nun das Land Brandenburg den Anschluss an die verbliebenen Anbauzentren der Nischenkultur finden: die Schwäbische Alb und Niederbayern, wo sich das Know-how des Linsenanbaus bis heute erhalten hat. Von dort stammt auch der Anbauberater für die Brandenburger. „Das erste Anbaujahr begann vielversprechend“, berichtet Gerald Köhler, einer der beiden Ansprechpartner für das Projekt vonseiten der FÖL.
Trotz knapp sieben Wochen Trockenheit nach dem Auflaufen Anfang Mai hätten sich die Pflanzen gut entwickelt. „Das stimmt zuversichtlich, denn in den letzten Jahren wird die zunehmende Frühsommertrockenheit zum ernsten Problem für die Sommerungen, und die Linse kommt damit offenbar gut zurecht.“
Ende Juli hätten die Bestände sehr gut ausgesehen und seien schon recht gut abgereift. Dann begann der Regen, der auch die Erträge der üblicheren Kulturen trübte. „Nur einer der sechs 2023 aktiven Anbaubetriebe hat den optimalen Erntezeitpunkt vor der Regenperiode erwischt. Bei den anderen Betrieben lagen die witterungsbedingten Ausfälle bei 75 bis 80 Prozent“, so Köhler. „Eine Erkenntnis lautet also: Im Zweifelsfall lieber einen etwas früheren Erntezeitpunkt wählen, wenn sich eine sehr unbeständige Wetterperiode abzeichnet, als einen massiven Ausfall zu riskieren.“
Ernte steht noch aus
Und 2024? Zwei Wochen nach dem Bio-Linsen-Feldtag am 9. Juli, der unter anderem auf dem Hof von Johann Gerdes in Beerfelde stattfand, steht die Linsenernte bei ihm noch aus. Auf 2,5 ha mit 40-45 Bodenpunkten hat er die Hülsenfrucht angebaut. Ein guter und daher eher untypischer Standort für Linsen, und auch der üppige Niederschlag ist im Vergleich zu den Vorjahren und den Prognosen für den Klimawandel eher untypisch. Im nächsten Jahr werde er wohl eher keine Linsen anbauen, jedenfalls nicht auf einem so guten Standort, sagt Gerdes den etwa 20 Interessierten, die sich mit ihm den Schlag mit der Linsen-Leindotter-Mischung ansehen.
Der Hof von Johann Gerdes mit 500 ha und Mutterkuhhaltung ist nach Demeter- und Naturland-Richtlinien biozertifiziert, ein Marktfruchtbetrieb mit Mutterkuhhaltung. Und Gerdes ist experimentierfreudig. Neben Mähdruschkulturen, Speisekartoffeln, Lupinen und anderen Futterpflanzen hat er es auch schon mit Soja und Kichererbse probiert. Von Letzterer fühle er sich fast beleidigt, sagt Gerdes der Gruppe, irgendwas sei eigentlich immer zu ernten, aber die Kichererbse sei ein totaler Reinfall gewesen.
Exkurs Kichererbse
Dr. Moritz Reckling, der seit vielen Jahren am ZALF Müncheberg u. a. zu Leguminosen forscht, hat den Übeltäter enttarnt: Die Larven einer Wurzelfliege. „Kein reines Kichererbsenproblem“, sagt Reckling, der bei der ersten Station des Feldtages die Anbauversuche von Soja, Trockenbohnen, Platterbsen und Lupinen auf den ZALF-Parzellen kommentierte.
Auch Kichererbsen wachsen hier. Deren Wertschöpfungskette aufzubauen, ist das Projekt „KIWERTa“ angetreten, Träger die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg. Für die Etablierung der Kichererbse gibt das MLUK 198.000 € aus. Recklings Erkenntnis sei „ein wichtiger Meilenstein für die Forschung zum Leguminosenanbau in Deutschland“, teilt Projektkoordinatiorin Isabella Krause mit.
Im Gegnsatz zur Kichererbse habe ihn die Linse nicht enttäuscht, resümiert Johann Gerdes. Eigentlich wollte er auf dem Schlag Soja anbauen, jedoch nur mit Beregnung, und damit habe es sich verzögert. Also nach dem Weizen und einer Zwischenfrucht „ähnlich Landsberger Mischung“ die Linse. Eine weitere Erkenntnis aus dem ersten Projektjahr: Hafer eignet sich nicht als Stützfrucht, weil die Reinigung wegen der gleichen Lochgröße bei Hafer und Linse zu aufwendig ist.
Leindotter als Lösung?
Daher sei man auf Leindotter mit seinen stecknadelgroßen Samen umgestiegen, erläutert Projektleiter Köhler. Und der Leindotter fällt auch zuerst ins Auge. „Die Linsen sieht man, wenn man ganz dicht rangeht“, sagt Gerdes. Auf Empfehlung des Anbauberaters von der Schwäbischen Alb ist es die „Dunkelgrün marmorierte Linse“.
Im vergangenen Jahr seien 400 g für 4,99 € verkauft worden, so Köhler. Für die Reinigung musste das Erntegut nach Baden-Württemberg transportiert werden, in diesem Jahr werde es in Vetschau aufbereitet und sei dann ein durch und durch regionales Produkt.
Als sinnvoller für die Vermarktung als Vertrieb über den Handel sieht Michael Wimmer, Geschäftsführer der FÖL, die Berliner Gemeinschaftsversorgung an. Die Innovationskraft der Kantinenbetreiber sei gefragt, um die Linsen aus Brandenburg besonders zuzubereiten und die Gerichte ihrem Klientel schmackhaft zu machen.
Marktoptionen erschließen
Wie das gelingen könnte, wird 40 km südlich vom Linsen-Leindotter-Acker in Beeskow deutlich. Hier produziert das Start-up „Peaceful Delicious“ Tempeh, ein ursprünglich indonesisches Produkt aus fermentierten Bohnen, Erbsen – oder eben Brandenburger Bio-Linsen, so wie eigens für die Messe BioFach produziert.
Fürs Alltagsgeschäft beziehen die Beeskower ihre Bioware vom Großhandel. So auch die Bohnen für das Tempeh, das zum Ende des Feldtages von der „Genusswerkstatt“ am Beeskower Markt mit Kartoffelstampf und Salat serviert wird. Die Säcke im Lager verweisen auf Bioware aus China. Ob sich die Brandenburger Bio-Linsen am Ende aller Projekte gegen die Marktrealität behaupten, darf bezweifelt werden. Aber vielleicht ist das auch nicht so wichtig.
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