Keine Kirschen, keine Äpfel: Obsthof Marquardt kämpft nach Frost-Schäden ums Überleben
Strenge Nachtfröste richteten landesweit große Frost-Schäden an. Besonders stark betroffen ist in Brandenburg der Obsthof Marquardt in Potsdam, der kaum noch etwas ernten und vermarkten kann.
Von Wolfgang Herklotz
Dass Fröste im Frühjahr den Obstkulturen zusetzen, ist nicht ungewöhnlich. So reagierte Lutz Kleinert vom Obsthof Marquardt zunächst relativ gelassen, als Ende April Nachtfröste angekündigt wurden. Ein paar Ausfälle schienen bei den gut entwickelten Beständen da wohl unvermeidlich. Doch dann sanken die Temperaturen auf Werte deutlich unter null, und das über Stunden. Schon am nächsten Morgen fiel dem Geschäftsführer auf, dass sich das Weiß vieler Blüten in ein beunruhigendes Grau zu verwandeln begann. Binnen weniger Stunden lagen sie am Boden.
„Da habe ich dann doch Schweißperlen bekommen“, bekennt der gelernte Gärtner mit Meisterabschluss. Denn nun stand fest, dass mit Totalausfällen zu rechnen war. „Mir blieb nichts anderes übrig, als die Reißleine zu ziehen.“ Was bedeutete, sämtliche Pflege- und Schutzmaßnahmen einzustellen. Denn diese würden die Ertragsausfälle auf dem Hof nicht mehr kompensieren können, sondern nur noch zusätzliche Kosten verursachen.
In dieser Situation war Schadensbegrenzung angesagt und somit auch nicht mehr möglich, die meisten Mitarbeiter weiter zu beschäftigen. „Eine bittere Erkenntnis, aber ich hatte keine andere Wahl.“ Immerhin gelang es Lutz Kleinert, die Frauen und Männer in anderen Betrieben und Großhändlern der Branche unterzubringen.
Obsthof Marquardt: „Wir sind noch da“
Während unseres Gesprächs in der Obstscheune am Rande von Marquardt klingelt häufig das Handy von Lutz Kleinert. Die Anrufer wollen wissen, ob sie wiederkommen können, um das Obst selbst zu pflücken. Geduldig erklärt der Geschäftsführer, dass das aufgrund der Frost-Schäden in diesem Jahr nicht möglich ist. „Weder Kirschen noch Äpfel, Pflaumen und Aprikosen können in diesem Jahr geerntet werden.“ Die Misere hat sich offenbar noch nicht herumgesprochen, obwohl ein großer Aufsteller vor der Scheune und auch die Internetseite darauf hinweisen. Die Frage eines Bekannten, wie es denn so gehe, beantwortet Lutz Kleinert mit einem tapferen Lächeln. „Täglicher Wahnsinn, aber wir sind noch da!“
Das Treiben im täglich geöffneten Hofladen täuscht Normalität vor. Weiterhin werden hier Äpfelsäfte, Marmeladen und Chutneys aus eigener Produktion angeboten, ebenso Produkte von Erzeugern aus der Region. Ein breites Sortiment, doch der Umsatz ist mangels eigener Ware stark zurückgegangen. Bauarbeiten auf der nahe gelegenen Autobahn und gesperrte Zufahrten tun ihr Übriges. Zwar konnten in den vergangenen Wochen noch Spargel und Erdbeeren vermarktet werden. Ein Teil der Äpfel vom Obstgut lässt sich verwerten, aber aufgrund minderer Qualität meist nur als Industrieware. Somit können die Ertragsausfälle nicht ansatzweise ausgeglichen werden.
Katastrophe für den Obstbau: Spätfröste verursachen Schäden in Millionenhöhe
Die Situation im Obstbau ist landesweit überaus ernst, ja, dramatisch. Wie der Gartenbauverband Berlin-Brandenburg e. V. einschätzt, schlagen dieses Jahr Frost-Schäden im Umfang von 15–16 Mio. Euro zu Buche, weil die Ausfälle in den einzelnen Unternehmen zwischen 70 und 100 % betragen. „Besonders betroffen sind die Betriebe mit einem hohen Anteil an Baumobst“, heißt es in einer aktuellen Pressemitteilung. Diesen Unternehmen fehlten nun vollständig ihre üblichen Einnahmen, zumal bereits diverse Kosten für Baumschnitt sowie erste Düngungen und Pflegemaßnahmen entstanden seien. „Hinzu kommen drohende Vertragsstrafen, wenn zuvor ausgehandelte Liefermengen an den Handel nicht eingehalten werden.“ Laut Verband kamen Betriebe, die sonst zwischen 7 und 14 t Kirschen ernten, in diesem Jahr auf nur 180 kg. Bei Pflaumen liege der Schaden bei 50 %, bei Aronia und Johannisbeeren betrage der Einnahmenausfall bis zu 1,2 Mio. Euro.
Frost-Schäden: Finanzielle Hilfen für betroffene Betriebe
Der Gartenbauverband fordert deshalb finanzielle Soforthilfen, um geschädigte Betriebe schnell und unbürokratisch zu unterstützen und mögliche Betriebsaufgaben zu verhindern. Auf Initiative der berufsständischen Interessenvertretung stehen 7 Mio. Euro Entschädigungszahlungen in Aussicht, eine sogenannte Billigkeitsrichtlinie wurde Ende Juli durch das Land fertiggestellt. Danach könnten in diesem Jahr allein 3 Mio. Euro ausgezahlt werden, weitere 4 Mio. Euro 2025. Antragsberechtigt sind Unternehmen, die Umsatzeinbußen durch Frost-Schäden im Vergleich zu den letzten drei bis fünf Betriebsjahren hatten. Erstattet würden dann bis zu 80 % der Einbußen, Anträge können ab September gestellt werden.
Versicherungsschutz dringend nötig
Er werde diese Möglichkeit natürlich nutzen, erklärt Lutz Kleinert. „Aber da wir in den letzten Jahren bis auf 2021 ohnehin witterungsbedingte Einbußen hinnehmen mussten, wird eine mögliche Entschädigung wohl deutlich unter unseren Erwartungen bleiben.“ Doch in dieser Situation sei alles willkommen, was die Liquidität sichere.
Wie kann der Obstbau zukunftsfähig bleiben?
Kann und muss man angesichts der immer extremeren Witterung künftigen Frost-Schäden nicht besser vorbeugen? Bedingt schon, meint Kleinert und verweist auf den Einsatz frostresistenterer Sorten. Bei später blühenden Pflanzen würden die Blüten durch Blätter geschützt. „Wir werden uns künftig breiter aufstellen und den Anbau von Birnen und Johannisbeeren erweitern, weil sie widerstandsfähiger sind.“
Frostschutzberegnung: Segen oder Fluch?
Einer Frostschutzberegnung steht der Fachmann hingegen skeptisch gegenüber. Dadurch würden nur Unmengen an kostbarem Wasser verbraucht, weil über lange Zeiträume beregnet werden müsse. Und bei extrem niedrigen Temperaturen könne passieren, dass die Pflanzen dann unter einer dicken Eisschicht zusammenbrechen.
Als längst überfällig sieht Lutz Kleinert die Einführung einer Mehrgefahrenversicherung, an der sich Bund und Länder beteiligen. „Darüber wird nun schon so lange diskutiert, aber wenn nicht endlich etwas geschieht, wird der regionale Obstanbau bald Geschichte sein.“
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