Naturschauspiel mit Folgen

Wildgänse im Spreewald: Wie Landwirte gegen zunehmende Schäden kämpfen

Von „Massenvorkommen“ spricht auch die Spreewälder Naturwacht. Die Flächenverödungen nehmen entsprechend zu. © Peter Becker

Hunderttausende Wildgänse bevölkern den Spreewald im Winter – ein beeindruckendes Naturschauspiel, das jedoch auch für Landwirte und Fischer zur Herausforderung wird.

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Derzeit sind Wiesen und Äcker im Spreewald von Hunderttausenden Wildgänsen bevölkert. Mit großem Geschrei und Geschnatter fallen die Wildgänse allabendlich ein. Sie bleiben meist tagelang an gleicher Stelle, um dann auf benachbarte Flächen zu wechseln. Ältere Spreewälder können sich nicht erinnern, je solche von Jahr zu Jahr größer werdenden Schwärme gesehen zu haben.

Für Ornithologen und auch für die Spreewälder Naturwacht ist dieses Massenvorkommen ein Ausdruck geänderter klimatischer Verhältnisse. Die Wildgänse weichen von ihren nordischen Brutgebieten nicht mehr tief in südlichere Regionen aus, die milden Winter der letzten Jahre lassen auch ein Verweilen in unseren Regionen zu. Alexander Hoschke von der Naturwacht: „Die Tiere schaden eigentlich nicht grundsätzlich Natur und Landwirtschaft, aber ihr massenhaftes Vorkommen kann schon mal den Aufwuchs der Wintersaaten beeinträchtigen.“

Wintersaaten bevorzugt

Die Landwirte sehen es ähnlich, wenn auch etwas differenzierter. Thomas Goebel von der Göritzer Agrar GmbH: „Wir beobachten jährlich zunehmend mehr Flächenverödungen in Größenordnungen, wir müssen nachsäen, bekommen aber den Mehraufwand nicht erstattet. Unsere abgeernteten Maisflächen brechen wir erst im Frühjahr um, um die Wildgänse auf diese Flächen zu locken – leider ohne befriedigendes Ergebnis: Wintersaaten werden einfach bevorzugt.“

Er ist wie andere Landwirte der Meinung, dass die Wildgänse von bestimmten Flächen vergrämt werden müssen. „Die Gänse sind sehr lernfähig und bleiben dann solchen Flächen fern. Der Klimawandel zwingt zu pragmatischem Handeln – so einen riesigen Schwarm anzusehen und zu erleben, mag schön sein, doch wir sehen auch die Schäden, die wir Landwirte auf unsere Kosten kompensieren müssen“, so Goebel. Andererseits bedeutet ein Aufjagen den Hunger auf die frischen Saataustriebe zu befördern, denn der Energieverbrauch der Tiere steigt dadurch an.

Jagdrecht in Brandenburg: Schonzeiten und praktische Hürden

Das Brandenburger Jagdrecht setzt Schonzeiten für die verschiedenen Wildgansarten fest, die im Kern von August bis Ende Januar reichen. Eine mögliche Bejagung im Februar kommt dann zu spät, besonders in milden Wintern, denn dann ist der Schaden am Pflanzgut vielleicht schon zu groß. Die Bejagung ist auch praktisch ein Problem, denn mit dem ersten Schuss erhebt sich der ganze Schwarm in die Lüfte! Im Jagdrecht ist auch verankert, dass bei der Wasserwildjagd ein „wasserwildtauglicher“ Hund mitzuführen ist, der die Jagdbeute aus dem Wasser zum Jäger bringen kann.

Das Brandenburger Jagdgesetz lässt zwar in Ausnahmefällen eine Bejagung zur Schadenabwehr zu, doch ist dies schwer umsetzbar, denn sie gilt nur für Grau-, Bless- und Kanadagänse. In den niedersitzenden Schwärmen befinden sich allerdings manchmal sehr seltene Unterarten wie die Waldsaatgans, die unter strengem Schutz steht.

Biodiversität auf dem Feld: Gänse fördern Artenvielfalt und Bodenqualität

Vogelkundler sind überzeugt, dass Gänse durch ihre Ausscheidungen zur Verbreitung von Samen aller Art beitragen, sie befördern somit die Biodiversität und Naturgesundheit durch Artenausgleich.

Sie durchlüften den Boden, während sie nach Nahrung suchen. Diese Art der natürlichen Bodenbearbeitung bietet Landwirten sogar Vorteile, da sie die Bodenstruktur angeblich verbessert und die Fruchtbarkeit erhöht.

Landwirte fordern Monitoring und Populationskontrolle

Dem wird nicht grundsätzlich widersprochen, das mag auch für kleinere Populationen zutreffen, doch die riesigen Schwärme sind einfach eine zu große Belastung für die Böden und Äcker. Betroffene Landwirte erwarten ein Monitoring, um letztlich Überpopula­tionen zu vergrämen oder gar bejagen zu dürfen. „Wenn es keine derartigen Maßnahmen gibt, werden die Schwärme und mit ihnen die Probleme von Jahr zu Jahr größer“, ist sich Thomas Goebel, der zugleich Vorsitzender des Bauernverbandes Südbrandenburg ist, sicher.

Wildgänse: Fische im Stress

Die im Winter meist abgelassenen Teiche sind ebenfalls ein beliebter Aufenthaltsort für Wasservögel aller Art, besonders für die Wildgänse. Hier finden sie, frostfreies Wetter vorausgesetzt, reichlich Nahrung und auch Schutz. Kaum ein Räuber, egal ob Fuchs oder Wolf, nähert sich durch den Schlamm den Tieren, die ohnehin sehr wachsam sind. Schon bei geringer Störung fliegen sie auf. Das regelmäßige Auffliegen ist zum Training der Flugmuskulatur ohnehin nötig, schließlich benötigen sie zum Erreichen ihrer Brutgebiete Kraft und Ausdauer.

Der Stradower Fischer Karl Winkelgrund ist von dem massenhaften Erscheinen der Wildgänse nicht ganz so betroffen wie die Landwirte. Doch es gibt eine Ausnahme: „Wenn ich im Spätherbst die Fische durch Ablassen des Wassers an einen Ort zur Entnahme konzentrieren muss, sich aber im Wasserzulauf Tausende Wasservögel aufhalten, dann vergiften deren Ausscheidungen meine Fische, die ohnehin schon so kurz vor dem Abfischen unter Stress leiden und erhöhten Sauerstoffbedarf haben.“ Winkelgrund fordert ebenfalls eine Bestandskontrolle, denn auch andere Arten wie Kormoran, Silber- und Graureiher sind stark im Zunehmen begriffen und belasten die Fischwirtschaft.

„Zu viel ist zu viel“

„Ich bin als Biologe und Fischer der Natur sehr zugetan und erfreue mich an ‚normalen‘ Tierbeständen – doch zu viel ist zu viel, die Politik muss endlich handeln. In den skandinavischen Ländern gibt es beispielsweise Mindestgrenzen für eine Bestandssicherung, alle darüber hinausgehenden Populationszahlen dürfen bejagt werden“, fasst Karl Winkelgrund zusammen, was ihn und die Landwirte der Spreewaldre­gion bewegt und was er von der Politik erwartet.

Er, wie alle anderen Betroffenen auch, sehen den aktuell nun wieder nach Norden ziehenden Wildgänsen irgendwie erleichtert nach, sie wissen aber auch, dass sich alles wiederholen wird – und hoffen bis dahin auf gesetzliche Regelungen.

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