Geschäftsführer Marian Bohndick bei der digitalen Erfassung von einem Stück Schwarzwild. (c) Sabine Rübensaat

Waldgourmet aus Gardelegen

Waldgourmet aus Gardelegen verkauft Fleisch und Wurst vom Wild und von natürlich gehaltenen Rindern. Geschäftsführer Marian Bohndick nutzt für das Unternehmenswachstum die Finanzierungsform Crowdlending, denn sie bietet gleichzeitig einen Marketingeffekt.

Von Klaus Meyer

Warnhinweis: Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen.“ Über 400 Geldgeber haben diesen Satz mit Sicherheit gelesen. Sie sind das Risiko trotzdem eingegangen und jeder hat mindestens 250 Euro in die Crowdfnding-Kampagne von Waldgourmet gesteckt, insgesamt 500.000 Euro. In kurzer Zeit hat das Unternehmen Waldgourmet eine Metzgerei in Gardelegen (Sachsen-Anhalt) gebaut und beschäftigt heute schon sechs Mitarbeiter. Der 36-jährige Geschäftsführer Marian Bohndick erklärt, warum er eine digitale Wildmanufaktur aufbaut und wieso er das Unternehmenswachstum unter anderem über Rendite-Crowdfunding finanziert.

Herr Bohndick, Sie bauen einen digitalen Wildhandel auf. Wie sind Sie dazu gekommen?
Wir sind eine jagdliche Familie. So war der Bezug zum Wild da und 1996 haben unsere Eltern im Nebenerwerb mit einem Wildhandel begonnen. Ich wollte eigentlich nicht daran anknüpfen. Über Umwege bin ich doch wieder zum Wild gekommen, da ich mich für nachhaltige Themen, für die Umwelt und zukunftsorientierte Geschäftsmodelle interessiere.

Bei dem Versuch, eine Plattform für naturwissenschaftliche Bildung aufzubauen, bin ich auf das Thema Fleisch gestoßen. Mir ist bewusst geworden, dass Ernährung im Prinzip der einfachste und günstigste Weg ist, sich selbst und seiner Umwelt etwas Gutes zu tun und dass ich das nachhaltigste Fleisch vor der Haustür habe. Die Produktion und Vermarktung fand ich spannend durch den familiären Hintergrund als Jäger und Wildhändler. Während und nach meinem Studium bin ich in Kontakt gekommen mit jungen Unternehmen, die sich mit digitalem Vertrieb und digitalen Technologien beschäftigten. So kam beides zusammen. Durch die Mithilfe im Wildhandel wusste ich, dass es in der Branche einen großen Bedarf an Digitalisierung gibt.

Das Führungstrio von Waldgourmet: Marcus Bohndick, Marian Bohndick und Kai Heetjans.
Das Führungstrio von Waldgourmet: Marcus Bohndick, Marian Bohndick und Kai Heetjans. (c) Konrad Drüsedau

Wo denn zum Beispiel?
Die Thematik Wildursprungschein hat einen hohen Digitalisierungsbedarf. Auf dem Formular muss zum Beispiel eingetragen werden, woher das Reh kommt, wer es erlegt hat, ob es auffällige Merkmale aufweist und so weiter. Also eine Fülle von Angaben, die von vielen verschiedenen Akteuren, Jägern, Forstbetrieben, Veterinären und dem Wildhandel erfasst, dokumentiert und kontrolliert werden müssen. Zusammen mit einem befreundeten Softwareentwickler haben wir für den Bereich eine digitale Lösung entwickelt, die das alles vereinfacht. Obwohl wir damals aus diversen Gründen damit nicht in den Markt gekommen sind, haben wir trotzdem gesehen, welches Potenzial dahintersteckt, auch hinsichtlich der späteren Vermarktung.

Haben Sie auch einen Hofladen?
Ja, beziehungsweise nein. Wir haben einen kleinen Laden hier in Jävenitz eröffnet, dürfen ihn aber nicht Hofladen nennen, denn dann müsste er sich direkt an unserer Manufaktur befinden. Den haben wir allerdings nur aufgemacht, um ein Gefühl dafür zu bekommen, was notwendig ist, um Wild direkt zu vermarkten, welche Genehmigungen eingeholt werden müssen, und so weiter. Unser Fokus ist die Vermarktung übers Internet.

Was kann man bei Ihnen kaufen und wo?
Fast alles, was man bei einem normalen Metzger auch bekommt, nur bekommt man es da, wo es am bequemsten ist, online auf der Couch, am Computer, im Schlafanzug. Wir haben eine vollwertige Fleischerei und machen von vorne bis hinten alles selbst, bei den Weiderindern vom Schlachten bis zur Wurst. Wir überlegen allerdings gerade, wie wir unseren Onlineversand mit einem innovativen Ladenkonzept ergänzen.

Warum?
Bei der Onlinevermarktung gibt es durchaus auch Herausforderungen. Zum Beispiel die Logistik. Der Expressversand ist nicht günstig. Gleichzeitig sind manche auch noch skeptisch hinsichtlich des Online-Einkaufes von Fleisch und Wurst. Wir sind am Experimentieren, wie wir online und offline verbinden können.

Wie waren die Entwicklungsschritte der Wildverarbeitung und -Vermarktung?
1996 haben unsere Eltern den Wildhandel gegründet. 2015 hatten wir uns zum ersten Mal mit der Idee der Vermarktung über das Internet auseinandergesetzt. Damals wollten wir eine Plattform entwickeln, die zwischen Jägern und Verbrauchern direkt vermittelt. Wir sind aber wieder davon abgekommen, weil es viele Probleme mit Auflagen und der Logistik in diesem Bereich gibt. Im Juli 2017 sind wir mit dem Webshop gestartet und die ersten Pakete verschickt. 2018 haben wir dann die Banken überzeugt, uns zu unterstützen. Zuerst hatten wir die Idee, eine alte Halle für die Metzgerei zu nutzen, wir kamen dann aber noch rechtzeitig zu der Einsicht, dass wir wahrscheinlich unverhältnismäßig viel Geld in den Umbau investieren müssten. So kam der Plan, neu zu bauen. Im Oktober 2019 begannen die Bauarbeiten und im Juni 2020 war der Neubau fertig. Die Zeit bis September 2020 wurde für Probeläufe genutzt. Seitdem ist die Metzgerei offiziell in Betrieb.

Wo kommt das Wild her?
Ausschließlich aus der Region, aktuell innerhalb eines Radius von etwa 80 Kilometern. Wir erhalten das Wild von staatlichen Betrieben, also Bundes- und Landesforsten, aber auch von vielen privaten Jägern.

Was bieten Sie in der Schonzeit an?
Wurstspezialitäten aus allen Wildarten, Fertiggerichte und alles vom Weiderind. Ein Ziel der Crowdkampagne war die Realisierung eines Kochbereiches. Dieser Bereich ist schon eingerichtet, sodass wir Convenience-Produkte herstellen können, zum Beispiel Bolognese. Zum Ausgleich der saisonalen Schwankungen beim Wild haben wir seit Kurzem zwei Onlineshops – Waldgourmet und Weidegourmet – wobei wir unserem Konzept treu bleiben möchten. Die von uns geschlachteten und vermarkteten Rinder werden als Landschaftspfleger eingesetzt und nicht im Stall gemästet.
Unabhängig von der Rasse sind uns die Haltungsbedingungen der Rinder wichtig. Viele Partnerlandwirte lassen die Rinder im Naturschutzgebiet grasen. Dadurch wird zum Beispiel der Einsatz landwirtschaftlicher Maschinen reduziert und die Artenvielfalt erhöht. Die Haltung der Tiere sollte den Lebensbedingungen von Wildtieren schon sehr nahekommen. Ansonsten entfernen wir uns zu weit von unserer ursprünglichen Unternehmensphilosophie.

Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Wir wollen eine ganzjährige Auslastung schaffen mit einem breiten Produktsortiment, darum auch die Ergänzung durch Rinder und die Anschaffung des Kochbereichs. Das erste Ziel ist also, dass wir das ganze Jahr möglichst wirtschaftlich arbeiten, auch zum Wohle unserer Mitarbeiter. Zweitens wollen wir herausfinden, wie wir unsere Onlinevermarktung durch Offlinepräsenzen zuerst einmal in Berlin ergänzen können. Wir wollen keine normalen Läden aufbauen, sondern ein Konzept entwickeln, das die Stärken des Onlinevertriebs mit den Stärken der Offlinevermarktung verbindet. Da müssen wir noch experimentieren. Drittens möchten wir eine Software entwickeln, die den logistischen Mehraufwand der Direktvermarktung über das Internet aufgrund der individuellen Produkteinheiten bändigt. Mit einer guten und hoffentlich intelligenten Lösung wollen wir unsere Prozesse dann zukünftig begleiten.

In was soll jetzt mit dem Geld aus dem Crowdfunding konkret investiert werden?
Investiert wurde schon in den Kochbereich, also Kochkessel, Kippbratpfanne und Herd. Nur eine Lüftungsanlage muss noch ergänzt werden. Das verbleibende Kapital soll für die Entwicklung der Ladenkonzepte und die Entwicklung der Software genutzt werden.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sich das Geld über Crowdinvesting zu besorgen?
Das Interesse für junge Unternehmen, für Unternehmertum, für Gründungen ist schon lange da und deshalb bin ich über die Startup-Szene gut informiert. Um Crowdfunding kommt man dabei nicht herum.

Heißt es Crowdinvesting, Crowdlending oder Crowdfunding?
Crowdfunding ist im Prinzip ein Oberbegriff, der auch die anderen Möglichkeiten einschließt, wie zum Beispiel Crowdfunding durch Spenden. In unserem Fall würde ich von Crowdlending sprechen, da die Crowdinvestoren uns ein verzinstes Nachrangdarlehen zur Verfügung stellen. Crowdinvesting meint in der Regel den nächsten Schritt, eine noch direktere Beteiligung am Unternehmen.

Wildfleisch
Seine Leidenschaft hat sich Marcus Bohndick auf seinen Arm tätowieren lassen. (c) Sabine Rübensaat

Warum erfolgt die Finanzierung nicht über einen klassischen Bankkredit?
Weil das Crowdfunding gegenüber dem Bankkredit drei interessante Vorteile hat. Erstens können Banken mit ihren Strukturen nur schwer ganz neue Ansätze finanzieren, die sie ohne die entsprechenden Erfahrungswerte kaum bewerten können, speziell gilt das für Softwareentwickung. Crowdinvestoren haben die Möglichkeit, flexibler zu agieren.
Zweitens gibt es beim Crowdfunding einen Marketingeffekt inklusive. Das Unternehmen wird sichtbarer. Auf unserer Homepage haben wir zwar auf die Aktion hingewiesen und am Anfang auch unsere Stammkunden über den Newsletter darauf aufmerksam gemacht. Zu schnell wollten wir das Ziel aber trotzdem nicht erreichen, denn je länger es dauert, desto größer ist dieser Effekt. Letztendlich ist es ein Mehrwert, der aus unserer Sicht die höheren Kapitalkosten rechtfertigt. Für uns ging der Plan jedenfalls auf, kurz vor Weihnachten haben wir einen großen Ansturm auf unsere Produkte erlebt. Wir mussten sogar unseren Webshop schließen, weil wir die Bestellungen nicht mehr abarbeiten konnten.
Drittens ist Crowdfunding auch eine Art demokratischer Test, wie sehr andere an das glauben, was man macht. Wenn Leute uns ihr schwer verdientes Geld anvertrauen, weil sie davon überzeugt sind, dass wir mit der richtigen Idee zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, ist das eine tolle Bestätigung.

Wären auch andere Finanzierungsformen außer Crowdfunding infrage gekommen?
Nein, für uns ist es für diese Unternehmensphase und die nächsten geplanten Schritte genau das richtige Instrument gewesen. Von anderen Finanzierungsformen haben wir davor trotzdem schon Gebrauch gemacht. Der Neubau wurde mit der Volksbank in Gardelegen finanziert, die uns gemeinsam mit der Investitionsbank Sachsen-Anhalt wirklich toll unterstützt hat. Daneben war ich überrascht, wie viele Förderprogramme es bei uns gibt, die jungen Unternehmen auf die Beine helfen.

Seit wann und wie gut läuft die Aktion auf der Plattform Econeers?
14 Tage vor Weihnachten ging die Kampagne los. Der Zuspruch war von Anfang an hoch. Letzten Sonntag haben wir unser Fundingziel von 500.000 Euro erreicht. 407 Investoren haben uns ihr Vertrauen zugesprochen und uns mit ihrem Investment unterstützt.

Was war das Mindestziel und bei welcher Summe ist Schluss?
Mit dieser Summe wurde unsere Fundingschwelle um 400 Prozent übertroffen. Diese betrug nämlich 100.000 Euro und das Fundingziel lag bei 500.000 Euro. Wird diese Summe erreicht, endet die Kampagne. Wird die Fundingsschwelle nicht erreicht, gilt das Funding als erfolglos und die Investoren bekommen ihr Geld zurück.

Was sind die genauen Konditionen?
Die Investoren erhalten sechs Prozent jährlich und diejenigen, die sich schon in den ersten 14 Tagen entschieden haben, bekommen sieben Prozent. Etwa acht bis zehn Prozent – bezogen auf den eingesammelten Darlehensbetrag – fallen einmalig als Vermittlungskosten an und über die Laufzeit von drei Jahren noch einmal ein Prozent jährlich für laufende Kosten. Ziel ist, 2023 das Geld an die Investoren zurückzuzahlen.

Warum haben Sie die Plattform Econeers gewählt?
Zum einen, weil die Schwester-Plattform Seedmatch die erste Crowdfundingplattform in Deutschland war und wir deshalb mit einer großen Reichweite gerechnet haben. Zum anderen aus Marketinggründen. Econeers ist spezialisiert auf Projekte für Menschen, denen Nachhaltigkeit wichtig ist, genau unsere Zielgruppe also.

Wie aufwendig ist die Antragstellung?
Es gibt zunächst einen Auswahlprozess, bei dem geprüft wird, ob das Projekt grundsätzlich zur Plattform passt und ausreichende Erfolgsaussichten bestehen. Im Anschluss wird ein externer Dienstleister eingebunden, der unabhängig prüft, ob alle Angaben Hand und Fuß haben. Für mich als Betriebswirt war der Aufwand überschaubar. Man muss einen Business- und Finanzplan sowie diverse andere Unterlagen vorlegen, im Prinzip all das, was man für eine Bankenfinanzierung auch braucht. Die Unterlagen wurden kritisch hinterfragt. Ich hatte mit dem Dienstleister sehr lange Telefonate, in denen ich viele Punkte, die Fragen aufgeworfen haben, ausführlich erläutern musste. Es wird also alles auf Herz und Nieren geprüft, was letztendlich aber für beide Seiten sehr wertvoll ist.

Was hätten Sie gemacht, wenn die Fundingschwelle nicht überschritten worden wäre?
Dann hätten wir die Projekte zu einem späteren Zeitpunkt aus eigener Kraft umgesetzt, nur mit der Unsicherheit, nicht zu wissen, wann wir das Geld dafür gehabt hätten. Die Projekte, für die wir Kapital verwenden möchten, sind nicht überlebenswichtig. Sie beschleunigen unsere Entwicklung, es würde aber auch ohne funktionieren. Das ist das Schöne an unserem Betrieb, er läuft an, wir haben im Prinzip alle Hebel selbst in der Hand und können bald auch schwarze Zahlen schreiben. Im Laufe der kommenden Wildsaison sollte es soweit sein.

Gibt es bei dieser Finanzierungsform Nachteile?
Es ist mit einem sehr hohen Kommunikationsaufwand verbunden. Ich persönlich sehe das aber nicht als Nachteil. Jeder Investor, der schon mit 250 € dabei ist, hat auch gute Ideen, möchte gerne auch seinen Beitrag leisten, hat vielleicht noch Rückfragen. Das hilft uns selbst, uns regelmäßig zu hinterfragen. Aber es kostet Zeit und man ist den anderen gegenüber verpflichtet. Wir müssen regelmäßig auf der Plattform an unsere Crowdinvestoren berichten, wie der aktuelle Entwicklungsstand des Unternehmens ist. Allerdings spornt das auch an, beim nächsten Mal gute Nachrichten verkünden zu können.

Schlachtraum
Vom Reh bis zum ausgewachsen Bullen kann im Schlachtraum alles verarbeitet werden. Das Investitionsvolumen von Fleischerei bis Webshop beträgt insgesamt 2 Mio. Euro. (c) Sabine Rübensaat

Auf der Kampagnenseite bei Econeers und auch im Vermögensanlagen-Informationsblatt sticht folgender Satz hervor: Der Erwerb dieser Vermögensanlage ist mit erheblichen Risiken verbunden und kann zum vollständigen Verlust des eingesetzten Vermögens führen. Schreckt das nicht die potenziellen Investoren ab?
Es ist möglich, dass es einige Interessenten abschreckt. Weggelassen werden kann der Satz trotzdem nicht, es ist eine rechtliche Vorgabe. Letztendlich ist es wie bei jedem anderen Investment auch. Man sollte kein Geld in die Hand nehmen, das man für das alltägliche Leben benötigt. Ein gewisses Risiko gibt es bei Investitionen immer. Die ausführliche Prüfung vorab hilft beiden Seiten dabei, mögliche Risiken besser zu verstehen und wo nötig auch nochmal über Strategien zu deren Reduzierung nachzudenken.

Was sollte jemand beachten, der mit dem Gedanken spielt, seine Finanzierung über diese Alternative zu decken?
Im Prinzip die gleichen Dinge wie bei einem Bankdarlehen auch. Man sollte nur in Projekte investieren, die sich refinanzieren, sodass man den Investoren ihr Geld inklusive der Zinsen zurückzahlen kann. Es muss eine durchdachte Investitionsentscheidung sein. Man kann Geld für Projekte bekommen, die Banken nur schwer finanzieren können. Das soll aber nicht heißen, dass es Geld ist, mit dem man spielen kann, sondern man muss das Thema genauso angehen wie bei einem Bankkredit und sich die Frage stellen: Kann ich das Geld rentabel investieren?


Mehr Informationen finden Sie hier:
www.waldgourmet.de
www.econeers.de