Forderung: „Energiekosten unverzüglich runter“
So lautet die erste Forderung von TBV-Präsident Dr. Klaus Wagner an die Politik. Die Turbulenzen, die der Krieg in der Ukraine ausgelöst hat, setzten der hiesigen Landwirtschaft, die kaum oder keine Reserven hat, enorm zu.
Bauernzeitung: Die Gremien des Landesbauernverbandes fanden sich gerade zur Klausur zusammen: Wie beurteilen Sie und Ihre Kollegen die aktuelle Situation als direkte Folge des Krieges in der Ukraine?
Dr. Klaus Wagner, TBV-Präsident: Die Panik an den Energie-, Düngemittel- und Getreidemärkten macht eine wirtschaftliche Planung von der Aussaat bis zur Ernte unmöglich. Insofern befinden wir uns in einer ernsten Situation.
Was erwarten Sie als Erstes und sofort von der Politik?
Die Energiekosten müssen unverzüglich runter. Das ist die zentrale Forderung, mit der die Landwirtschaft momentan ja auch nicht allein dasteht. Das betrifft den Diesel genauso wie Gas oder Strom. Steuern und Abgaben könnten beispielsweise zwei Monate lang rapide gesenkt werden. Dann schaut man, wie sich die Lage entwickelt. Die Politik muss sich im Klaren sein, dass in der Landwirtschaft wenige bis gar keine Liquiditätsreserven vorhanden sind.
Tierhaltungsbetriebe stehen unter besonderem Druck?
Das ist so. Wenn Mischfutterpreise steigen, müssen Tierhalter sie zahlen. Da haben sie keine Wahl. Solange Fleisch- und Milchpreise steigen, was ja seit einigen Wochen der Fall ist, können etwa höhere Futterkosten noch kompensiert werden. Wichtig für die Tierhalter wäre es, dass der Bund endlich den Startschuss für den Umbau der Tierhaltung gibt. Die Unsicherheit ist groß, Investitionen wurden zurückgestellt, weil keiner weiß, welche Standards ihn erwarten. Weder die Finanzierung noch die Rahmenbedingungen – Stichwort Baurecht – sind geklärt. Die Gefahr, dass noch mehr Tierhalter aufgeben, gerade unter dem Eindruck der gegenwärtigen Situation, ist real.
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Zur Entlastung sollen ökologische Vorrangflächen zur Futternutzung freigegeben werden. Angesichts der großen Raufutterernte 2021: Bringt das den Betrieben Entlastung?
Wohl kaum. Ich denke, in Thüringen nur in Einzelfällen. Richtig und wichtig wäre es, diese Flächen für den Anbau von Mais, Ackerfutter oder Leguminosen freizugeben. Für Leguminosen hätte eine Entscheidung aber längst getroffen werden müssen.
Welche Risiken müssen Landwirte mit Blick auf die Ernte 2022 einkalkulieren?
Wer heute Dünger und Diesel zu den explodierenden Preisen kaufen muss, weiß schlussendlich nicht, für welchen Preis er sein Getreide vermarkten kann. Dieses enorme wirtschaftliche Risiko gefährdet die wirtschaftliche Stabilität unserer Betriebe. Beim Dünger denke ich aber, dass der bei den meisten Betrieben schon auf dem Hof liegt. Problematisch stellt sich der Bezug von Pflanzenschutzmitteln dar. Momentan ist schon gar nicht mehr der Preis relevant, sondern allein die Verfügbarkeit. Von den hohen Getreide- und Rapspreisen können jetzt freilich nur Landwirte profitieren, die noch was im Lager haben. Und das sind eher wenige.
Und klar ist auch: Wer heute einen Kontrakt für die anstehende Ernte zu den guten Preisen abschließt, muss auch liefern. Wie die Ernte ausfällt, wissen wir nicht, auch wenn es bislang keinen Anlass zur Sorge gibt. Unser Betrieb musste 80 Hektar Raps umbrechen: Späte Aussaat, Erdflöhe und Feldmäuse – alles kam zusammen. Als Ersatz entschieden wir uns gegen Körnermais und für Sonnenblumen. Ob das die richtige Wahl war, wissen wir erst im Herbst.
Mit Blick auf die Herbstaussaat und das Jahr 2023: Spätestens Mitte dieses Jahres dürfte wieder Mineraldünger gekauft werden. Auf was müssen sich da die Betriebe gefasst machen?
Es gibt die optimistische Variante, dass hohe Düngerpreise durch hohe Getreidepreise gedeckt werden können. Mit hoher Wahrscheinlichkeit können wir aber nicht ausreichend Dünger kaufen, weil die EU-Länder bislang große Mengen aus Russland und Weißrussland importierten. Hier ist ganz klar Brüssel gefragt: Denn ohne eine staatlich rückversicherte Ausweitung der europäischen Düngemittelproduktion wird man Engpässe für die Ernte 2023 nicht ausschließen können. In den USA hat die Regierung bereits Geld in die Hand genommen, damit die Düngemittelindustrie die Nachfrage decken kann.
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Forderungen stehen schon etliche im Raum: Muss angesichts der Lage die GAP-2023 nachgebessert werden?
Ich weiß von Kollegen, die sich eine Verschiebung des Startes der GAP um ein oder zwei Jahre wünschen: Corona ist noch nicht vorbei, jetzt die Marktverwerfungen. Hinzu kommt ein geteiltes Antragsverfahren in diesem Jahr, wobei wir noch nicht wissen, wann jenes für das Kulap beginnt. Unter diesen Gesichtspunkten besäße eine Verschiebung sicher Charme. Ich halte es aber für unrealistisch, weil es allein aus EU-Haushaltsgründen nicht möglich sein wird. Wir werden uns auch nicht in Debatten mit NGO über die Aussetzung der Vier-Prozent-Flächenstilllegung verzetteln. Fakt ist: Wenn die EU Nahrungsmittelhilfe für den globalen Süden leisten will, dann braucht sie Ware – und da fallen vier Prozent Fläche schon ins Gewicht. Das hat der Bauernverband auch gegenüber Bund und EU so kommuniziert.
Versorgungssicherheit: „Landwirtschaft ist kein Selbstzweck“
Entfacht ist die Debatte um die Versorgungssicherheit. Muss spätestens jetzt der von der EU und auch in Deutschland eingeschlagene Weg der Extensivierung infrage gestellt werden?
So ernsthaft, wie jetzt über eine sichere Energieversorgung diskutiert wird und Fakten geschaffen werden, muss auch über Ernährungssouveränität in der EU debattiert werden. Wer Blümchenwiesen bestellt, bekommt sie von uns. Wer bei uns Ernährungssicherheit bestellt, bekommt Ernährungssicherheit. Wir sind uns doch einig, dass der Klimakrise und dem Rückgang der Biodiversität begegnet werden muss. Die agrarpolitische Debatte in Europa, besonders in Deutschland, ist aber seit Jahren hauptsächlich von umweltpolitischen Themen geprägt und auf Extensivierung der Landwirtschaft ausgerichtet. Das muss, angefangen bei der Farm-to-Fork-Strategie, überdacht werden. Landwirtschaft ist kein Selbstzweck, sondern sie stellt die Ernährung der Bevölkerung sicher. Und das muss im Angesicht der Entwicklungen auch wieder den politisch Verantwortlichen bewusst werden.