Großer Gipfel, kleine Ergebnisse
Am Montag sprach die Kanzlerin mit Vertretern des Handels über Dumpingpreise bei Lebensmitteln. Angela Merkel mahnte dazu, für faire Bedingungen in der Lebensmittelkette zu sorgen. Aus der Preisfindung will sie sich aber weiterhin heraushalten.
Die Bundesregierung wolle dem Handel keinesfalls Mindestpreise für Lebensmittel „aufoktroyieren“, betonte Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montag bei einem Treffen mit Vertretern von Handel und Lebensmittelwirtschaft im Kanzleramt. Ziel seien vielmehr faire Beziehungen zwischen den Akteuren vom Erzeuger über Verarbeiter und Lebensmittelwirtschaft bis hin zum Einzelhandel.
Hohe Erwartungen an die vier Großen
Nach Merkels Einschätzung gibt es unter den deutschen Verbrauchern eine „gewachsene Sensibilität“ für Lebensmittelqualität und Umweltaspekte, denen die Politik mit entsprechenden Regelungen auch auf Erzeugerebene Rechnung trägt. Es stelle sich aber die Frage, ob die Landwirte zu den aktuell erzielbaren Preisen die Last der Auflagen tragen könnten. Unbestritten sei auch die relativ hohe Konzentration im LEH, konstatierte die Kanzlerin. Sie sieht deshalb „hohe Erwartungen“ auf den Schultern der „großen Repräsentanten“ des Handels ruhen.
Auf Seiten der Politik verspricht sich Merkel insbesondere von der Europäischen Richtlinie über unlautere Handelspraktiken einen Beitrag für ein besseres Miteinander in der Lieferkette. Sie gehe davon aus, dass diese noch in diesem Jahr national umgesetzt werde, erklärte die CDU-Politikerin. Grundsätzlich gehe es darum, „gute Lebensmittel“ zu verkaufen und den Landwirten gleichzeitig auskömmliche Preise zu ermöglichen, skizzierte Merkel ihre Erwartungen. Dabei sollten regionale Anbieter gestärkt werden. Auf der anderen Seite wünsche sie sich faires Verhalten unter den Akteuren der Wertschöpfungskette, betonte die Bundeskanzlerin. Sie sieht die heutige Runde deshalb als Beginn eines längeren Gesprächsprozesses, der auch die Erzeuger und Verbraucher einschließen muss.
Wenig konkrete Ergebnisse
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner gab nach dem Gespräch fünf Punkte bekannt, auf die man sich in der Runde verständigt hatte.
1. Umsetzung der EU-Richtlinie gegen unlautere Handelspraktiken
Die EU-Richtlinie wird zeitnah eins-zu-eins in nationales Recht umgesetzt. Die rechtliche Möglichkeit, bis Ende 2021 damit zu warten, wird nicht ausgeschöpft. Das hatte die Ministerin bereits mehrfach angekündigt, ist also nicht neu. Die EU-Richtlinie, auch UTP-Richtlinie genannt, enthält eine „schwarze Liste“ mit verbotenen Handelspraktiken:
- kurzfristiges Stornieren von Bestellungen verderblicher Lebensmittel;
- einseitiges Ändern von Lieferbedingungen, Qualitätsstandards und Zahlungsbedingungen;
- Zahlungsziele von mehr als 30 Tagen für verderbliche Lebensmittel;
- Verweigern der schriftlichen Bestätigung geschlossener Liefervereinbarungen;
- rechtswidriger Erwerb und Nutzung von Geschäftsgeheimnissen der Lieferanten;
- Androhung von Vergeltungsmaßnahmen, wenn der Lieferant von seinen vertraglichen oder gesetzlichen Rechten Gebrauch macht;
- Entschädigung vom Lieferanten bei Kundenbeschwerden, ohne dass ein Verschulden des Lieferanten vorliegt.
2. Selbstverpflichtung gegen „graue Liste“
Über die UTP-Richtlinie hinaus gibt es problematische Handelspraktiken der so genannten „grauen Liste“. Diese Praktiken sind erlaubt, wenn sie vorher ausdrücklich und eindeutig zwischen den Vertragsparteien vereinbart werden. Zum Beispiel,
- die Rückgabe nicht verkaufter Erzeugnisse an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises;
- wenn der Käufer eine Zahlung für die Listung oder Lagerung oder für Werbung der Erzeugnisse verlangt;
- wenn der Käufer eine Übernahme der Kosten für Preisnachlässe im Rahmen von Verkaufsaktionen fordert.
Die Bundesregierung erwartet, dass der Handel diese Praktiken mittels einer Selbstverpflichtung abstellt. Die Diskussion darüber soll fortgesetzt werden, da vielen Erzeugern häufig keine Wahl bleibt, als diesen Forderungen des Handels zuzustimmen – wollen sie nicht ausgelistet werden.
3. Einrichtung einer „Meldestelle für unlautere Handelspraktiken und Dumpingpreise“ beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Erzeuger sollen Fälle unlauterer Handelspraktiken und auffällige Dumpingpreise künftig an einer staatlichen Beschwerdestelle melden können. Diese Informationen werden von dort – gegebenenfalls anonymisiert – an die betroffenen Handelsketten weitergegeben. Diese haben zugesagt, Beschwerden, die sie betreffen, nachzugehen, sie abzustellen und Bericht zu erstatten. Offenkundig hat sich Ministerin Klöckner mit ihrer Forderung durchgesetzt, die Beschwerdestelle in ihrem Verantwortungsbereich anzusiedeln. Im Gespräch ist die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE). Bisher hatte der Bundeswirtschaftsminister auf die Zuständigkeit bestanden.
4. Fortsetzung der Gespräche auf Arbeitsebene
Vereinbart wurde, die Gespräche in den kommenden Monaten mit einem „vertieften Arbeitstreffen“ von Handel und Erzeugern unter Federführung des Bundeslandwirtschaftsministeriums fortzusetzen. Folgende Schwerpunktthemen sollen auf der Tagesordnung stehen:
- Stärkung regionaler Konzepte – Die Erzeuger sollen mit ihren heimischen Produkten sichtbarer werden.
- Kommunikationsallianz von Erzeugern und Handel zur Wertigkeit von Lebensmitteln entwickeln.
- Möglichkeit eines fairen Risikoausgleichs bei Miss- und Minderernten. Vor dem Hintergrund zunehmender Wetterextreme muss über die Risikoverteilung gesprochen werden.
- Umgang mit höheren, über den gesetzlichen Anforderungen liegenden Standards des Handels für die Lebensmittelproduktion und deren Vergütung (z.B. hinsichtlich der Rückstandswerte von Pflanzenschutzmitteln).
5. Folgetreffen im Kanzleramt
Abschließend einigten sich die Teilnehmer der Runde, die Ergebnisse der vertieften Gespräche in einem Dreivierteljahr bei einem erneuten Treffen im Kanzleramt auszuwerten.
Doppelter Getreidepreis verteuert Brötchen um 1 Cent
Der Deutsche Bauernverband (DBV) erinnerte anlässlich des hochrangigen Treffens daran, dass gesunde Ernährung noch nie so günstig war wie heute. Das sei entscheidend auf die niedrigen Erzeugerpreise zurückzuführen. Während die Löhne seit 1950 im bundesweiten Durchschnitt um das 23-fache gestiegen sind, kostet Brot heute nur zwölf Mal so viel wie damals. Die Erzeugerpreise für Getreide haben sich laut DBV in den vergangenen 70 Jahren überhaupt nicht verändert. Diese Preisbildung wird zunehmend bedrohlich, zumal die Betriebskosten der Bauern regelmäßig deutlich steigen.
Damit Verbraucher auch in Zukunft gute und erschwingliche Lebensmittel aus deutschen Landen genießen können, muss sich nach Auffassung des Bauernverbandes die Wertschöpfung für Landwirte wieder verbessern: Noch zu Beginn der 1970er-Jahre betrug der Anteil der landwirtschaftlichen Verkaufserlöse an den Verbraucherausgaben für Nahrungsmittel aus Deutschland noch 48 Prozent. Heute liegt er mit nur 23 Prozent bei weniger als der Hälfte von damals.
Von einem Euro, den Verbraucher für Lebensmittel ausgeben, kommen beim Landwirt gerade noch 23 Cent an, rechnet der DBV vor. Bei Milch- und Milcherzeugnissen beträgt der Anteil knapp 40 Prozent, bei Fleisch und Fleischwaren 23 Prozent. Am niedrigsten ist der Erlösanteil nach wie vor bei Brotgetreide und Erzeugnissen daraus mit knapp vier Prozent. Es bestehe deshalb kein Grund, sich Sorgen über die Lebensmittelpreise zu machen, wenn die Erzeugerpreise anziehen, beruhigt der Verband: Wenn sich der Getreidepreis verdoppeln würde, kostete ein Brötchen gerade mal einen Cent mehr.
Greenpeace: Verkaufsstopp für „Billigfleisch“
Greenpeace-Aktive und Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) demonstrierten während der Gespräche vor dem Kanzleramt in Berlin. „Billigfleisch kostet uns die Zukunft“ stand auf einem Banner, das mit einem Traktor vor den Regierungssitz gezogen wurde. „Die Supermarktketten dürfen ihre Marktmacht nicht länger missbrauchen, um rücksichtsloses Preisdumping auf Kosten von Landwirten, Tieren, Umwelt und Klima durchzusetzen“, sagt Greenpeace-Vertreter Dirk Zimmermann. Er forderte den Handel auf, Fleisch aus konventioneller Stallhaltung aus den Regalen zu nehmen.
Kritisch reagierte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) die Ergebnisse des Treffens. „Mit Appellen und ordnungsrechtlichen Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken wird man die eklatanten Missstände im Lebensmittelbereich nicht beseitigen können“, kritisiert BDM-Vorstand Elmar Hannen.
BDM: „Nicht der Markt, die Politik hat versagt“
„Rabattschlachten, Dauer-Niedrigstpreise von Lebensmittel, die Vernichtung von Lebensmitteln im Müll, das einseitige Diktat immer neuer Produktionsstandards durch den Handel und die Auslistung von Erzeugern, die sich an alle gesetzlichen Standards halten und weitere unlautere Handelspraktiken – das alles sind Folgen einer Marktkonstellation, die dieses Verhalten erst ermöglicht“ , so Hannen. Die strukturelle Schieflage insbesondere im Milchmarkt ist seit langem bekannt. Die Sektoruntersuchung Milch des Bundeskartellamts, die schon 2012 ein eklatantes Marktungleichgewicht zu Ungunsten der Milcherzeuger festgestellt hat, blieb dennoch seit acht Jahren praktisch unberücksichtigt. „Nicht der Markt hat versagt, sondern die Politik, die daraus keine Handlungsnotwendigkeit abgeleitet hat“, kritisiert der BDM-Vorstand. ste