Entwurf zum neuen Landesjagdgesetz in Brandenburg

„Die Wildbestände werden explodieren!“

Naturräumliche Zusammenhänge wie dieser könnten durch die 10-Hektar-Regelung in Jagdbezirke zerschnitten werden. Das würde eine erfolgreiche Jagd unmöglich machen, befürchtet Hammerschmidt. (c) Heike Mildner
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Jäger in Brandenburg laufen Sturm gegen den Entwurf des neuen Landesjagdgesetzes. Welche Auswirkungen auf die Landwirtschaft zu erwarten sind, wollten wir von Jürgen Hammerschmidt wissen. Er ist Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer in Brandenburg (LagJE) und kennt sowohl die Jäger- als auch die landwirtschaftliche Praxis aus eigenem Tätigsein.

Die Fragen stellte Heike Mildner

Bauernzeitung: Als Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft der Jagdgenossenschaften und Eigenjagdbesitzer in Brandenburg liegt Ihnen der Entwurf der Novelle des Jagdgesetzes vor. Warum stößt sie in der Jägerschaft auf so vehemente Ablehnung?
Jürgen Hammerschmidt: Der vorliegende Entwurf novelliert nicht das Brandenburgische Jagdgesetz, sondern es handelt sich um einen Entwurf für ein Vollgesetz, welches das Bundesjagdgesetz und das Brandenburgische Jagdgesetz ersetzt und das bestehende Jagdrecht weitgehend verändert.

Jürgen Hammerschmidt, Landesjagdgesetz Brandenburg
Jürgen Hammerschmidt (c) Heike Mildner

Bis auf die dem Bund vorbehaltende Regelung zum Recht der Jagdscheine würde das neue Gesetz die jetzt gültigen auf Landes- und Bundesebene in Gänze ablösen. Es sieht beispielsweise vor – und das geht an die Substanz des bisherigen Verständnisses von Jagd – die Hegeverpflichtung aufzuheben. Damit würde die flächendeckende Bejagungspflicht aufgehoben werden.

Auch die Abschussplanung für Rot-, Dam- und Muffelwild sowie die Abschussziele für Rehwild und die Mindestabschusspläne für Schwarzwild soll es in Brandenburg nicht mehr geben. Höhe und Zusammensetzung der Abschüsse bliebe dann allein den Eigenjagdbesitzern und den Pächtern der gemeinschaftlichen Jagdbezirke überlassen. Zudem soll die Mindestgröße für eine Eigenjagd auf zehn Hektar gesenkt werden.

Auch benachbarten Eigentümern und Forstbetriebsgemeinschaften sollen gemeinsame Eigenjagdbezirke gestattet werden. Die Zahl der Eigenjagdbezirke wird sich also erhöhen. Zudem soll der Schutz der Jagdpachtverträge aufgehoben werden, um jedem, der die Jagd in seinem neuen Eigenjagdbezirk ausüben will, dieses ab Beginn eines jeden Jagdjahres zu ermöglichen. Eine Mindestpachtdauer soll es künftig in Brandenburg nicht mehr geben, auch keine Wildursprungsscheinpflicht und Wildmarken.

Das klingt nach weniger Bürokratie, ist das im Grunde nicht erstrebenswert?
Die Jagdverwaltung soll von Bürokratie entlastet werden, das ist ein erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs. Aber der Verwaltungsaufwand wird an anderer Stelle größer werden. Zuerst werden die Eigentümer nicht landwirtschaftlich genutzter Wildeinstände wie Schilfgebiete, Sölle, Ausgleichsflächen und Feldgehölze ihre Flächen zu Eigenjagdbezirken erklären und aus den Jagdgenossenschaften ausscheiden. Daher werden die Jagdgenossenschaften wegen niedrigerer Pachteinnahmen und zu leistendem Wildschadensersatz in Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Durch die jährlich erforderlich werdende Vergabe des Jagdausübungsrechts oder auch wegen erforderlicher Eigenbewirtschaftung steigt gleichzeitig der Arbeitsaufwand für die Vorstände. Außerdem wird es zunehmend Konflikte mit den einzelnen Jagdgenossen und den Bewirtschaftern landwirtschaftlicher Flächen geben. Es werden Umlagen erhoben werden müssen, statt Reinertrag auszuschütten. Deshalb wird es in den meisten Jagdgenossenschaften unmöglich werden, ehrenamtliche Vorstände zu finden. Die Alternative wären Notvorstände, die durch Gemeinden bzw. Ämter eingesetzt und entlohnt werden müssen. Dadurch wiederum steigen die zu erhebenden Umlagen. Man muss dazu sagen, dass diese Alternative im bisherigen Gesetz steht. Der Entwurf fehlt allerdings die Rechtsgrundlage für eine solche Alternative. Jedenfalls wird es für die in der Jagdgenossenschaft verbleibenden Jagdgenossen immer teurer in der Jagdgenossenschaften zu verbleiben. Alle Eigentümer, die sich mit anliegenden Nachbarn zu zehn Hektar oder mehr zusammenschließen können, werden also einen neuen Eigenjagdbezirk bilden.

Mit Wildschäden müssten Landwirte vors Gericht

Der Landwirt hätte bei einem Wildschaden dann statt eines Ansprechpartners, nämlich der Jagdgenossenschaft, gleich mal mehrere Kandidaten …
Zunächst müssten mithilfe von Drohnen Bilder von der Wildschadensfläche gemacht werden. Diese müsste man auf ein mit Flurstücken unterlegtes Luftbild übertragen, um die ersatzpflichtigen Jagdbezirke auszumachen. Die sind ja nur selten durch Wege voneinander getrennt – aber das ist noch ein anderes Problem …

Voraussichtlich wird es jedoch durch den Wegfall des Vorverfahrens und durch die Abtrennung der Einstandsflächen des Wildes von den durch das Wild geschädigten Flächen seltener zu gütlichen Einigungen kommen. Wer seinen Wildschaden ersetzt haben will, muss also den Gang vors Amtsgericht antreten. Die Bürokratie wird sich also nur verlagern. Es könnte allerdings auch sein, dass gar nicht geklagt wird und der Landwirt den Wildschaden hinnimmt.

Video: Welche Folgen hat der Entwurf zum neuen Landesjagdgesetz für Landwirte?

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(c) Heike Mildner/Bauernzeitung

Wieso sollte er das tun?
Eigenjagdbesitzer im Feld sind in aller Regel Verpächter landwirtschaftlicher Flächen. Wegen des angespannten Pachtmarktes – verstärkt durch die jetzige Politik der beschränkten Ausschreibung der BVVG – haben die Verpächter eine sehr starke Position. Denkbar ist, dass sie ihre Flächen nur noch verpachten werden, wenn der landwirtschaftliche Pächter den Wildschaden selbst trägt.

Die möglicherweise jährlich wechselnden Jagdpächter machen das Ganze sicher nicht leichter.
Weil der Jagdausübungsberechtigten alljährlich zum ersten April wechseln kann – und häufig auch wird, vermute ich – werden Abstimmungen der Anbauplanung und Arbeiten zur Wildschadensvermeidung schwieriger bis unmöglich. Die Aussaat würde dann unter einem anderen Jagdausübungsberechtigten erfolgen als die lange Wachstums- und Reifephase der angebauten Früchte und deren Ernte.

Auch Landwirtschaftsbetriebe, die selbst einen Eigenjagdbezirk haben, könnten es durch die Zehn-Hektar-Regel auf der von ihnen bisher bewirtschafteten und bejagten Fläche plötzlich mit neuen, kleinen Eigenjagdbezirken zu tun haben, in denen komplett andere Jagdziele verfolgt werden. Nicht zuletzt sind Klagen gegen zu niedrige Abschüsse wegen des Wegfalls der Hegeverpflichtung nicht mehr möglich. Eine durchsetzbare Pflicht zur flächendeckenden Bejagung wäre ja entfallen. Und die gute Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts für durch Wild Geschädigte wäre durch das neue Jagdgesetz ihrer Grundlage beraubt.

Wäre denn durch die neuen Regelungen – bei all den absehbaren Nachteilen für Landwirte – wenigstens die Naturverjüngung im Wald gesichert? Denn darum geht es ja vor allem.
Der Gesetzentwurf geht davon aus, dass die augenblicklichen Schalenwildbestände so hoch sind, dass das Verjüngungsziel ohne Zaunbau nicht erreicht werden kann, und er geht davon aus, dass eine unregulierte Bejagung durch die Eigentümer der Flächen effektiver ist als das Reviersystem und die bisherige Abschussplanung. Allerdings liegt der Waldanteil an bejagbarer Fläche bei 40 Prozent, 60 Prozent sind kein Wald, und es gibt viele Mischlagen von Wald und landwirtschaftlicher Nutzfläche – und gerade da gibt es viele Verbissschäden. Ausschließlich die Jagdbezirke im Wald zu verkleinern ist offenbar rechtlich nicht möglich. Aber allein die Wegeverhältnisse sind im Wald ganz anders als auf Acker- und Grünland.

Der Gesetzentwurf sieht vor, dass jeder Jagdausübungsberechtigte ein zu duldendes Wegerecht zu seinem Jagdbezirk erhält – auch auf Privatwegen. In Schlägen üblicher Brandenburgischer Größe gibt es solche Wege aber gar nicht. Also wird der Jagdausübungsberechtigte auf das Erlegen von Wild über Größe eines Rehs verzichten, weil er es ja gar nicht bergen kann. Oder er fährt über den Acker bzw. über das Grünland und verursacht Jagdschaden. Bei mehreren Jagbezirken auf einem Schlag wird der geschädigte Landwirt den Verursacher in der Regel nicht feststellen können.

Reviersystem auf dem Prüfstand

Ist das etablierte Reviersystem aus Ihrer Sicht denn leistungsfähig genug? Es gibt offenbar Defizite …
Die Grundbehauptung, das „Revierjagdsystem“ habe die zu hohen Schalenwildbestände verursacht, wurde bereits 2012 in einer vergleichenden Untersuchung der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde widerlegt. Der Anstieg der Schalenwildbestände ist auch unter einem Lizenzjagdsystem – wie zum Beispiel in der Schweiz – und bei staatlicher Regiejagd – wie beispielsweise in Polen – europaweit zu beobachten.

Und auch an der Abschussplanung kann es nicht liegen: Die wurde in Brandenburg für Rehwild als Hauptverursacher von Verbiss in Waldverjüngungen bereits 2014 abgeschafft. Seitdem ist der jährliche Abschuss aber nicht gestiegen, sondern von 70.000 auf 58.000 Rehe zurückgegangen – das sind 17 Prozent! In Deutschland ist nur in den drei Stadtstaaten und in Sachsen-Anhalt ein solcher Rückgang der Rehwildstrecken zu beobachten – überall sonst ist er gestiegen!

Sehen Sie nicht auch Positives durch das Ermöglichen der Jagd auf kleineren Flächen durch die Eigentümer?
Der Grundansatz des Entwurfs, dass durch Verkleinerung der Mindestgröße von Eigenjagdbezirken die Schalenwildbestände vermindert wird, ist meiner Ansicht nach völlig falsch. Vielleicht wird ein Teil der Waldbesitzer das Rehwild vermindern, aber auf dem größten Teil der Jagdfläche wird das nicht passieren, denn dort macht Rehwild kaum Schaden. Allerdings werden sich störungsempfindliche Arten wie Rotwild der Bejagung entziehen. Und nicht zuletzt ist die Bejagung kleiner Bezirke uneffektiv und erschwert zudem massiv die Bejagung in den umliegenden Bezirken.

Und ein Blick in die Geschichte zeigt: der Ansatz „1848“ stimmt bei Überprüfung gerade nicht. Damals gab es kaum Waldbauern! Das Jagdrecht wurde an das Eigentum gebunden, damit Bauern keine Jagddienste mehr leisten mussten und weil Wildschäden im Feld vermieden werden sollten. Zur Jagd besonders geeignete Gewehre gab es damals gar nicht, nur Vorderlader mit Steinschloss. Außerdem war Rotwild in Brandenburg selten, Dam- und Muffelwild gab es in freier Wildbahn gar nicht. Man kann die Geschichte gut bei Burghard Ciesla und Helmut Suter in „Jagd und Macht“ nachlesen.

In groben Zügen: Wie hat sich das Reviersystem entwickelt?
Das Reviersystem wurde bereits zwei Jahre nach der Bindung des Jagdrechtes an das Grundeigentum eingeführt, das war 1850. Das Jagen auf eigener Scholle auf Kleinflächen hatte sich überhaupt nicht bewährt. Daher wurden gemeinschaftliche Jagdbezirke in den Grenzen der Verwaltungseinheiten (Gemeinde, Gutsbezirke) gebildet: Die Geburtsstunde der Jagdgenossenschaften in Brandenburg. Nur zusammenhängende Flächen über 75 ha durften noch vom Eigentümer selbst bejagt werden.

Das Reviersystem wurde rechtlich verfeinert, bis es im Entwurf des preußischen Jagdgesetzes von 1928 unter Minister Otto Braun (SPD), im Reichsjagdgesetz 1934 und im Bundesjagdgesetz 1953 (in Brandenburg 1991) festgeschrieben wurde. Als vorteilhaft wurden u. a. stabile Flächen für eine Mindestpachtzeit und dadurch sehr gute Revierkenntnisse der Jäger gesehen. Die konnten feste Einrichtungen wie Hochsitze, Pirschsteige, Stege über Gräben und Wildäsungsflächen anlegen und langfristige Strategie zur Vermeidung von Wildschäden verfolgen. Nicht zuletzt sind Jagdpächter an einer gütlichen Einigung bei der Regulierung von Wildschadensersatz interessiert, damit sie Chancen auf Wiederpacht haben. Der vorliegende Entwurf verabschiedet sich von diesen Vorteilen.

Minister Axel Vogel (Bündnis 90/Die Grünen) betont, dass das bestehende System um die Zehn-Hektar-Regelung ergänzt werden soll und sich beides ergänzt …
Durch die jährliche Möglichkeit der Flächenentnahme gibt es keinen flächenstabilen Pachtgegenstand mehr und damit keine Geschäftsgrundlage für eine mehrjährige Verpachtung – mit allen Folgen, die ich schon beschrieben habe. Hinzu kommt, dass bei kleinen Flächeneigentümern – dann möglicherweise Eigenjagdbesitzern – häufig der Wunsch besteht, Flächen nicht zu bejagen. Ich erinnere an Befriedungsdiskussionen mit kirchlichen bzw. weltanschaulichen Gruppen, Veganern, Vegetariern etc. Und nicht zuletzt steigt der Anreiz, zum Beispiel für die BVVG, kleine Jagdbezirke meistbietend an Ortsfremde zu vergeben, die an hohen Wildbeständen interessiert sind. Die Schäden hat dann aber der Nachbar. Mein Blick in die Zukunft mit einem solchen Gesetz: Statt einer Verminderung des Schalenwildes wird es zu einer Abschaffung des Reviersystems mit völlig absurden Ergebnissen kommen. Ich befürchte, die Wildbestände werden explodieren.

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