Impfen gegen Geflügelpest?
Die gefährliche Seuche ist nur eine Herausforderung, vor der Geflügelhalter stehen. Die Branche sieht sich zudem stark gestiegenem Wettbewerbsdruck ausgesetzt. Ab Januar greifen zusätzliche Auflagen.
Von Gerd Rinas
Vergnügungssteuerpflichtig war das Amt der Vorsitzenden des Geflügelwirtschaftsverbandes Mecklenburg-Vorpommern noch nie. Seit Jahren stehen Geflügelhalter vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen. Doch die aktuelle Lage scheint allem die Krone aufzusetzen:
„Immer mehr und strengere Auflagen machen uns das Leben schwer. Die Schere zwischen Erlösen und Kosten geht immer weiter auf. Küken werden teurer, die Preise für Futter, Strom und Gas steigen – die Einnahmen wachsen nicht mal ansatzweise mit. Puten- und Hähnchenmäster sind besonders betroffen“, machte die langjährige Verbandsvorsitzende Marion Dorn auf der Mitgliederversammlung in Teterow ihrem Unmut Luft. Der Strukturwandel bei den Geflügelmästern sei nicht mehr aufzuhalten. „Nur wer viele Tiere hält, hat bessere Überlebenschancen“, so die Vorsitzende.
Kopfschütteln bei den Praktikern
Dass die Politik der Branche Vorschriften macht, offenbar ohne die Bedingungen zu kennen, sorgte in der Versammlung mehrfach für Kopfschütteln. Wenn laut neuer EU-Ökoverordnung sieben Wochen alte Bio-Junghennen bei jedem Wetter ins Freiland sollen, dann ist das aus Sicht der Praktiker in Norddeutschland bei den hiesigen Wetterverhältnissen „Wahnsinn“: „Darauf sind die jungen Hennen nicht vorbereitet“, argumentierte Marion Dorn und forderte für den Schutz der Tiere Ausnahmegenehmigungen.
Auch zur kostenaufwendigen Aufzucht der Bruderhähne redete die Vorsitzende Klartext: 80 bis 90 Tage lang werden die Tiere vier Mal am Tag gefüttert. Am Ende stehen ganze 600 g Mastausbeute. „Wenn mit der Genschere das Geschlecht schon vor dem Schlüpfen bestimmt werden kann, warum tun wir es nicht?“, fragte Marion Dorn in die Runde. „Ab dem 1. Januar 2022 dürfen keine Küken mehr getötet werden. Genau genommen hat der Lebensmitteleinzelhandel den Gesetzgeber aber überholt“, machte Henner Schönecke, Vorsitzender des Bundesverbandes Ei, aufmerksam.
Schon heute kommt fast kein Ei mehr aus einer Haltung, wo noch ein Hahn getötet wird. Jedes zweite Ei geht an Großverbraucher. Auch wegen der hohen Auflagen sind deutsche Eier bis zu 40 % teurer als die von europäischen Wettbewerbern. „Wir wissen nicht, wie es im nächsten Jahr weitergeht, wenn wir unsere Eier nicht mehr an die weiterverarbeitende Industrie verkaufen können“, so Schönecke ratlos.
Geflügelpest: noch keine größeren verluste in mv
Dabei sorgt die Geflügelpest seit einigen Wochen für noch mehr Unruhe. Zwar blieben in Mecklenburg-Vorpommern bisher zum Glück größere Verluste aus. In Schleswig-Holstein und Niedersachsen sind der Seuche aber schon wieder große Puten- und Entenbestände zum Opfer gefallen. In MV waren die Verluste 2020 und in der ersten Jahreshälfte 2021 katastrophal: Mehr als 347.700 Hühner, Enten, Gänse und Truthühner tötete die Geflügelpest. Die Tierseuchenkasse zahlte über 5,1 Mio. Euro Entschädigungen.
Geflügelhalter müssten sich auf steigende Beiträge einrichten, kündigte Dr. Monika Walter, Geschäftsführerin der Tierseuchenkasse (TSK) MV an. Wegen der Zahlungen ist die Rücklage in der Geflügelkasse auf ca. 40 % abgeschmolzen. Laut Beschluss des TSK-Verwaltungsrates und mit Zustimmung des Agrarministeriums soll in drei Jahren die Rücklage aufgefüllt werden. Angesichts der ersten Fälle von Geflügelpest in diesem Herbst werde man dafür aber „mit Sicherheit keine drei Jahre Zeit“ haben, weil früher Entschädigungen fällig werden könnten, so Walter.
Geflügelpest: Das Risiko reduzieren
Nach wie vor ist das Geflügelpest-Risko in Deutschland hoch. Das zeigen fortwährend auftretende Ausbrüche in Geflügelbeständen und Fälle bei Wildvögeln. Unser Fachautor ruft die Verhaltensregeln in Erinnerung, die zur Minimierung des Infektionsrisikos beitragen. mehr
impfen: Mehr Diskussionen unter Wissenschaftlern
Vor dem Hintergrund der großen wirtschaftlichen Verluste durch die Geflügelpest brachen Marion Dorn und Friedrich-Otto Ripke, Präsident des Zentralverbands der deutschen Geflügelwirtschaft, eine Lanze für das Impfen von Geflügel.
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„Anders als noch vor fünf Jahren wird auch unter Wissenschaftlern immer häufiger über das Impfen diskutiert“, ließ Dr. Carola Sauter-Louis vom Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald durchblicken. Allerdings tue sich bei der Entwicklung eines Impfstoffs eher wenig, weil er bisher nur in wenigen Situationen zum Einsatz gekommen wäre.
„Der Weg zum Impfen ist lang. Für 2022 ist damit nicht zu rechnen“, sagte Dr. Kim Hüttner vom Epidemiologischen Dienst des Landesamtes (LALLF) in Rostock. Beide Referenten stellten die Ergebnisse neuester Studien vor, die den Nutzen hoher Biosicherheitsstandards in den Geflügelhaltungen eindrucksvoll belegen.
Landtagsabgeordnete Elisabeth Aßmann (SPD) versicherte, dass bessere Bedingungen für die Tierhalter im Land wichtiges Anliegen in der Koalitionsvereinbarung der neuen Landesregierung seien. Darauf hob Hähnchenmäster Ludwig Schulz ab. „Ich erwarte von der Politik, dass Entscheidungen nicht vertagt, sondern ohne Zeitverzug und vor allem fachkompetent getroffen werden. Das neue Teslawerk in Grünheide bei Berlin zeigt, was möglich ist“, gab er Politikern und Verbandsvertretern mit auf den Heimweg.