Nutztierstrategie Mecklenburg-Vorpommern: Eine Strategie mit Plan?
Als erstes Bundesland hat Mecklenburg-Vorpommern seine Nutztierstrategie vorgestellt. Diese nimmt Bezug auf unterschiedliche Herausforderungen und Ziele der Landesregierung. Dr. Peter Sanftleben spricht mit der Bauernzeitung, als einer der maßgeblich Beteiligten, über die Inhalte.
Mehr als die Hälfte der Milchviehbetriebe in Sachsen-Anhalt hat in den vergangenen zehn Jahren aufgegeben. Laut dem Landesbauernverband sank die Zahl von 560 auf 270 Betriebe. In Thüringen verringerte sich die Anzahl um über 30 Prozent, von 648 auf 417 Milchviehbetriebe. Wenn auch nicht überall gleich extrem, der Trend ist deutschlandweit ersichtlich: Die Zahl der Betriebe nimmt ab. Die Gründe dafür sind vielfältig und teilweise auch betriebsindividuell.
Doch wie wird es in weiteren zehn Jahren aussehen? Wie sollen sich die Bedingungen, unter denen Tierhalter wirtschaften, entwickeln? Um diese Rahmenbedingungen abzustecken, haben mehrere Bundesländer den Auftrag, eine Nutztierstrategie zu erarbeiten. Doch während einige im Erarbeitungsprozess verweilen, stellte Mecklenburg-Vorpommern seine bereits vor.
Was in der Nutztierstrategie 2030 von Mecklenburg-Vorpommern steckt und was andere Bundesländer daraus lernen können, das erklärt Dr. Peter Sanftleben im Interview. Als Direktor der Landesforschungsanstalt für Landwirtschaft und Fischerei Mecklenburg-Vorpommern und Institutsleiter des Instituts für Tierproduktion war er maßgeblich an der Gestaltung der Nutztierstrategie 2030 beteiligt.
Herr Dr. Sanftleben, im Mai 2024 wurde die „Nutztierstrategie MV 2030“ vorgestellt. Was war der Ausgangspunkt und welche konkreten Ziele standen dabei im Zentrum?
■ Die Landesregierung in MV (SPD und Die Linke) hat in ihrem Koalitionsvertrag die Erarbeitung einer Nutztierstrategie MV 2030 vereinbart. Vor dem Hintergrund abnehmender Nutztierbestände in MV und damit verbundener rückgehender Wertschöpfung im ländlichen Raum sollten Möglichkeiten aufgezeigt werden, den Rückgang zumindest zu stoppen und bestenfalls die Bestände zu erhöhen. Dafür wurde ein intensiver Diskussionsprozess mit etwa 100 Beteiligten aus 30 Institutionen in Gang gesetzt, der sich nur sechs Monate Zeit gegeben hatte.
Was plant Mecklenburg-Vorpommern für die Tierhaltung?
Die Nutztierstrategie 2030 beschreibt den Plan in Mecklenburg-Vorpommern für die Zukunft der Tierhaltung. Wie soll denn die Tierhaltung langfristig im Land gesichert werden?
■ Es sind eine Reihe von Forderungen aufgemacht worden, der Berufsstand und der Bauernverband waren an der Zusammenstellung beteiligt. Es wurde deutlich, dass die Sicherung einer langfristigen Tierhaltung im Land nur durch ein großes Bündel von Maßnahmen gesichert werden könnte. Und adressiert werden die Forderungen insbesondere an den Bund und an Brüssel, denn schnell wurde klar, dass der Tierbestandsabbau nicht nur in MV, sondern deutschlandweit zu beobachten ist. Es ist also auch wichtig gewesen, ein MV-Statement zu formulieren, welches in bundesweiten Diskussionen in den politischen Raum eingebracht werden muss. Zum Maßnahmenbündel wurden immer wieder genannt: finanzielle Absicherung der Transformation der Nutztierhaltung, Rücknahme gesetzlicher Vorgaben zur Tierhaltungskennzeichnung, Vereinfachung von Genehmigungsverfahren und Bürokratieabbau.
Der Thünen-Präsident Professor Folkhard Isermeyer empfiehlt einen stärkeren Rückbau der Tierzahlen. Mecklenburg-Vorpommern möchte die Zahlen halten oder sogar ausbauen. Steht das nicht in einem Kontrast?
■ Mit einem Tierbesatz von 0,3 Großvieheinheiten je Hektar und einem hohen Niedermoorgrünlandanteil ist MV eindeutig ein Bundesland, das deutschlandweit anders eingeordnet werden muss. Prof. Isermeyer wird sicher auch bestimmte Regionen im Blick haben, in denen der Tierbesatz zu hoch ist. Und dann ist zu überdenken, wo die von der Gesellschaft diskutierte Nahrungskonkurrenz in der Fläche wirklich gegeben ist. Wiederkäuer sind hier explizit auszunehmen, ein Nährstoffkreislauf funktioniert weiterhin nur mit Tieren.
„Politisch gewollt, Nutztierhaltung weiter zu reduzieren“
Bundesweit wird schon lange um eine Erweiterung der Nutztierstrategie gerungen. Wo sehen Sie die größten Probleme?
■ Ich nehme wahr, dass der Bund jegliche Anstrengungen hinsichtlich einer Transformation der Nutztierhaltung und einer ausreichenden finanziellen Unterstützung der Tierhalter ad acta gelegt hat. Das Programm zur Nutztierstrategie des BMEL wurde gestrichen, geplante Forschungsprojekte mitten in der Laufzeit abgebrochen oder nicht verlängert. Die Vorschläge der Borchert-Kommission werden weiterhin ignoriert, auch hier hat die Ampel-Regierung nicht lösungsorientiert gearbeitet. Und es ging natürlich um Geld, aber auch hier lagen die machbaren Vorschläge konsensfähig auf dem Tisch. Interessant in dem Zusammenhang: Auch die Deutsche Agrarforschungsallianz (DAFA) wird die Nutztiere nicht mehr im Fokus haben.
Was denken Sie, welche Gründe das hat?
■ Ich denke, es ist politisch gewollt, Nutztierhaltung weiter zu reduzieren. Eben weil das ein grüngeführtes Ministerium war und es der grünen Vorgehensweise entspricht, die Nutztierhaltung für vieles verantwortlich zu machen. Insbesondere für den Klimawandel, obwohl in Deutschland nur zwischen sieben und acht Prozent der Treibhausgasemissionen aus der gesamten Landwirtschaft stammen. Von daher ist das für mich der völlig falsche Ansatz, die Haltung weiter zurückzufahren. Gerade vor dem Hintergrund der Kreislaufwirtschaft, der Pflege von Flächen, die ansonsten eher einen Verlust an Biodiversität darstellen würden, gerade die Verwendung der grünen Hangflächen.
Was plant Mecklenburg-Vorpommern mit den Mooren?
Die Strategie in MV befasst sich auch mit der Verbesserung des Schutzes und der Umnutzung der Moore. Was plant die Landesregierung hier?
■ In MV arbeitet man momentan auch an einem Klimaschutzgesetz. Um den Beitrag zur Reduzierung der Emissionen von Treibhausgasen in einem industriearmen Land wie MV zu erbringen, wurden die landwirtschaftlich genutzten Niedermoorflächen als Emissionsquelle identifiziert. Und Emissionen werden bei Anhebung der Wasserstände oder sogar einer Wiedervernässung reduziert. Wenn dies großflächig passiert, werden Wertschöpfung gefährdet, Qualitätsfuttererzeugung erschwert und Tierbestände eventuell weiter reduziert.
Das Land hat intensive Diskussionen mit allen Beteiligten begonnen. Dabei waren Landwirte, Bauernverband, Wasser- und Bodenverbände, Wasserwirtschaft und Naturschutz. In der Nutztierstrategie ist das Prinzip der Freiwilligkeit festgehalten, es wird nur im Miteinander gehen. Konkrete Unterstützungsmaßnahmen sind bisher nicht formuliert. Wie sich das in einer neuen GAP niederschlagen kann, ist zurzeit völlig offen. Agora Agrar hat erst kürzlich Beträge von bis zu 1.000 Euro je Hektar für einen Übergangszeitraum ins Gespräch gebracht, bis auf der Fläche andere Wertschöpfung zum Beispiel durch Paludikultur reell wird. Interessant ist, dass das Landwirtschaftsministerium MV die Entwicklung eines Netzwerks zur Nutzung nasser Flächen durch Wasserbüffel unterstützt.
Welche Kosten verursacht Bürokratie in der Landwirtschaft?
In der Nutztierstrategie MV wird die Bürokratie als ein Problem der Landwirtschaft benannt. Dabei werden Kosten von 620 Millionen Euro pro Jahr und immense Arbeitszeitaufwände genannt. Was plant die Nutztierstrategie hinsichtlich dieses Problems?
■ Ein scheinbar unendliches Thema. Die Kosten sind für Gesamtdeutschland kalkuliert worden. Genau wie in anderen Bereichen hat man auch in MV eine Aktion gestartet und darum gebeten, Vorschläge für eine Vereinfachung der Verwaltung zu machen. Ermessensspielräume zu nutzen und dies auch durch Schulungen von Behördenmitarbeitern durch die wissenschaftlichen Einrichtungen zu verbessern, ist ein kleines Beispiel. Aber auch Standardgenehmigungsverfahren wurden vorgeschlagen. Und natürlich wird hier auch auf den Bund orientiert mit teilweise unklaren Absichten in der Gesetzgebung bei Düngeverordnung, Stoffstrombilanz, Tierschutz oder Tierhaltungskennzeichnung.
Welche Chancen haben Tierhaltungsbetriebe in Ostdeutschland?
Welche Punkte in der Nutztierstrategie sind Ihnen besonders wichtig und wo sehen Sie noch Möglichkeiten zur Verbesserung?
■ Das Wichtigste für mich war der Prozess der gemeinsamen Diskussion, des Austauschens von Wünschen und Ideen, des Ringens um gemeinsame Haltungen. Dieser Prozess der Verbindung völlig unterschiedlicher Institutionen und Einrichtungen mit der Praxis ist sehr wertvoll gewesen. Die Herausforderung liegt natürlich darin, nicht nur ein hübsch gedrucktes Papier in den Händen zu halten, sondern die Strategie weiter mit Leben zu füllen, das Gespräch zu suchen, in kleinen Gruppen. Und nicht nur moderiert durch das Ministerium, sondern in eigenem Interesse.
Mit Blick auf den Osten: Was denken Sie, wie groß sind die Chancen für Tierhaltungsbetriebe, insbesondere Milchviehbetriebe in Ostdeutschland?
■ Ostdeutschland ist generell gekennzeichnet durch einen geringen Tierbesatz auf der Fläche. Historisch gesehen sind die Betriebe natürlich größer, aber größer werdende Betriebe mit Nutzung der Kostendegression sind national und international zu beobachten. Die Milchproduktion in modernen neu gebauten Ställen oder intelligent umgebauten Altanlagen bietet aus meiner Sicht gute Perspektiven. Milch wird momentan als knapper Rohstoff wahrgenommen. Es werden zwei große Herausforderungen gemeistert werden müssen: Akzeptanz, auch die gesellschaftliche, einer zeitgemäßen Tierhaltung auf klarer rechtlicher Grundlage sowie die Absicherung der Arbeitskräftesituation durch Fachkräfte, auch internationale Fachkräfte, oder Robotermelktechnik/Automatisierung.
Wie sieht der Milchviehbetrieb der Zukunft aus?
Was meinen Sie: Was sollten Milchviehbetriebe jetzt tun, damit sie langfristig bestehen können?
■ Die Betriebe müssen ein eindeutiges Bekenntnis zur Fortführung erarbeiten. Auf der Grundlage einer solchen Entscheidung sind klare Schritte zu formulieren. Etablierung, Ausbau oder Kooperation. Wer nicht investiert oder sich qualifiziert, wird Schwierigkeiten haben, langfristig zu bestehen.
Wie sieht der Milchviehbetrieb der Zukunft aus?
■ Ich persönlich glaube, dass es möglich sein kann, ähnlich wie in den Gesamtbetrieblichen Haltungskonzepten für die Milchviehhaltung aufgeschrieben, einen Kompromiss zu finden zwischen Umweltherausforderungen, Tierwohlaspekten und ökonomischer Tragfähigkeit. Technische Lösungen werden zunehmen, für Melken, Füttern, Misten oder Management. Die Bestandsgröße wird sich auch künftig an der Arbeitswirtschaft, der Flächenausstattung und den Vermarktungsmöglichkeiten orientieren müssen.
Sehen Sie die Nutztierstrategie von MV als Vorbild für andere Bundesländer? Was können andere Länder davon lernen?
■ Ich sehe den Prozess der Erarbeitung durchaus als beispielhaft. Andere Bundesländer haben so etwas geplant, aber nicht umgesetzt. Niedersachsen hat drei Jahre für die Erarbeitung gebraucht, Nordrhein-Westfalen hat sich zunächst nur auf den Bereich Schwein fokussiert, allerdings mit der klaren Umsetzung von Investitionen durch das Land in den Stallneubau zu Demonstrations- und Versuchszwecken. So etwas unter Zeitdruck zu erstellen, kann Vorteile haben, wenn die Beteiligten gut eingebunden, Onlineformate genutzt werden und motivierte Mitarbeiter wie bei der Landesforschungsanstalt oder aus dem Ministerium den Prozess moderieren.
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