Land(wirtschaft) sieht rot

Rote Gebiete in MV: Land(wirtschaft) sieht rot

Übersichtskarte der mit Nitrat belasteten Flächen in Mecklenburg-Vorpommern (c) MINISTERIUM FÜR KLIMASCHUTZ, LANDWIRTSCHAFT, LÄNDLICHE RÄUME UND UMWELT
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Es war, ist und bleibt ein Dauerstreitthema im Nordosten: Auch oder gerade nach dem Kabinettsbeschluss zur neuen Düngelandesverordnung und Gebietskulisse zu nitratbelasteten Flächen gibt es reichlich Redebedarf.

Von Nicole Gottschall

Erst gab es für die Bundesrepublik die rote Karte der EU-Kommission. Nun sieht in Mecklenburg-Vorpommern – und anderen Bundesländern – land-auf, landab die Landwirtschaft die rote Karte. Grund dafür ist die neue Landesverordnung über be-sondere Anforderungen an die Düngung in belasteten Gebieten, kurz Düngelandesverordnung. Sie wurde in der vergangenen Woche vom Landeskabinett beschlossen (Bauernzeitung 2/2023, S. 13).

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Rote Gebiete: Eckdaten von 429.218 ha

Und mit ihr die Feldblöcke sowie Gebietskulisse der mit zu hohen Nitratwerten versehenen Messstellen bzw. damit als rot gekennzeichneten Flächen. Wobei die Feldblöcke in der Endfassung den Landwirten zum Redaktionsschluss noch nicht bekannt waren.

Ebenso liegt die finale Übersichtskarte nicht in geodatenbasierter Form vor. Bekannt sind die Eckdaten von 429.218 ha sogenannter roter Gebiete. Das entspricht 32,03 % der landwirtschaftlich genutzten Fläche im Land. In der bisher gültigen Fassung der Verordnung waren rund 181.000 ha bzw. 13 % als belastet eingestuft. Aufgrund des starken Anstiegs liegt der Nordosten im Bundesvergleich nun mit Nord-rhein-Westfalen (33 % rotes Ge-biet) an der Spitze.

Dass sich das Gebiet mehr als verdoppelt hat, sei der entsprechenden Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten des Bundes (AVV GeA) geschuldet. Sie wurde exakt umgesetzt, heißt es aus dem Ministerium für Klimaschutz, Landwirtschaft, ländliche Räume und Umwelt MV.

Gebietsvergrößerung und Kritik

Demnach ergibt sich die Gebietsvergrößerung mitunter aus dem Wegfall der emissionsbasierten Gebietsabgrenzung, bekannt als Binnendifferenzierung. Auch aus den strengeren Vorgaben bei der Beurteilung von Wasserschutzgebieten: Sofern nur eine Messestelle in diesem Bereich eine erhöhte Nitratbelastung aufweist, wird ein ganzes Wasserschutzgebiet als rotes Gebiet ausgewiesen. Weiterhin sind erstmals denitrifizierende Verhältnisse – das natürliche Abbauvermögen von Nitrat – bei der Ausweisung zu beachten gewesen.

Für viele Landwirte, den Landesbauernverband und die Freien Bauern ist das nur schwer nachzuvollziehen. Sie hatten bereits ihre Bedenken und Hinweise bei der vorgeschalteten Verbändeanhörung eingebracht. Die Liste mit Kritikpunkten ist lang:

  • Das Messstellennetz sei nicht umfangreich genug.
  • Daten zu den einzelnen Messstellen nicht im Detail bekannt.
  • Einzelbetriebliche Ausnahmeregelungen für Betriebe, die anhand eines vorgelegten Nährstoffvergleiches eine ordnungsgemäße und gewässerschonende Bewirtschaftung nachweisen können, würden fehlen.
  • Der Umgang mit Trinkwasserschutzgebieten. Es gäbe keine Übergangsregelungen. Und das Verursacherprinzip spiele keine Rolle mehr.

Auswirkungen

Was das für Auswirkungen hat, zeigen landesweit mehrere Beispiele. Eines davon ist das Wasserschutzgebiet der Warnow. In dem Einzugsbereich ist eine mit Nitrat belastete Messstelle dafür ausreichend, dass ca. 100.000 ha als rote Flächen ausgewiesen werden. Davon berührt ist auch die Wariner Pflanzenbau eG. Rund 70 % der Betriebsflächen, größtenteils im besagten Schutzgebiet liegend, sind nach der neuen Verordnung mit roten Feldblöcken gekennzeichnet.

Das bedeutet, dort darf nur eingeschränkt gedüngt werden – eine Folge und Bestimmung der Landesdüngeverordnung. Genauer 20 % weniger Stickstoff (N) als die Kultur Bedarf hat. Pflanzenbauleiter Daniel Bohl bringt es auf den Punkt: „Ich muss meine Pflanzen unterernähren.“ Wie bisher hochwertige Weizensorten mit entsprechenden Qualitäten zu produzieren, werde künftig schwer. Gut möglich, dass wir nun mehr Futterweizen produzieren werden, so der Landwirt. Finanzielle Konsequenzen für den Betrieb und ein geringeres Angebot an Brotgetreide für die menschliche Ernährung sind vorhersehbar.

Zudem kritisiert Bohl, dass die nunmehr drei verschiedenen Kulissen in wenigen Jahren drei völlig verschiedene Bilder für seinen Betrieb ergaben: von 0 % belastete Fläche über 32 % bis hin zu jetzt 70 %. In dieselbe Kerbe schlägt Landesbauernpräsident Detlef Kurreck: Es entstehe der Eindruck willkürlicher Gebietsausweisungen, wenn landwirtschaftliche Flächen unter Berücksichtigung aller bisherigen Düngelandesverordnungen mal als nitratbelastet gelten und mal nicht. „Wenn man eine verursachergerechte und möglichst genaue, dem Gewässerschutz zuträgliche Ausweisung vornehmen möchte, hilft ein derartiges zufälliges Ping-Pong-Spiel nicht“, so der Präsident.

Andere Bundesländer: Individeulle Auslegung

Ein Blick auf andere Bundesländer, bei denen die Tendenzen gegensätzlich verlaufen, gibt dem Wariner Chef weiter zu denken. Offensichtlich legt jedes Land die Vorgaben von EU und Bund sehr individuell aus. Diesen Vergleich lässt Agrar- und Umweltminister Till Backhaus nicht zu.

Die Flächenumfänge seien nicht miteinander vergleichbar, weil zwei wesentliche Einflussfaktoren nur auf Mecklenburg-Vorpommern zutreffen würden. „Einerseits ist das der hohe Anteil von Kulturen mit hohem Düngebedarf in enger Fruchtfolge, also Winterweizen–Mais. Andererseits treibt die geringe Grundwasserneubildungsrate bei uns die Nitratgehalte im Grundwasser hoch“, erklärt der Minister. Dass das Land im Gegensatz zu bestimmten anderen Regionen nur eine geringe Viehdichte hat, helfe an der Stelle auch nicht weiter.

Zielführend sei laut Backhaus auch nicht, sich an Begriffen wie Verursachergerechtigkeit festzuhalten. „Mit Blick auf die flächenhaft diffusen Einträge ist es unmöglich, die wahren Verursacher wirklich auszumachen. Außerdem wird dieses Prinzip bei der Gebietsfestlegung von der EU auch ganz klar abgelehnt“, führt er aus.

Regeln bei der Düngung im Nordosten

Es zähle allein das Vorsorgeprinzip und alle sind gefordert, mitzuziehen. Somit sind die nachfolgenden Regeln bei der Düngung im Nordosten das Maß aller Dinge und künftig einzuhalten:

  • Die Düngemenge ist auf 20 % unter dem Bedarf der Kultur zu senken. Ausnahmen: Betriebe, die weniger als 160 kg Gesamt-N/ha und davon nicht mehr als 80 kg in Form von mineralischen Düngemitteln aufbringen.
  • Es dürfen schlagbezogen nicht mehr als 170 kg N/ha aus organischen und organisch-mineralischen Düngemitteln aufgebracht werden.
  • Wintergerste generell und Winterraps bei mehr als 45 kg N/ha im Boden dürfen im Herbst nicht mehr gedüngt werden.
  • Kulturen, die nach dem 1. Februar ausgesät oder gepflanzt werden, dürfen nur gedüngt werden, wenn auf der betroffenen Fläche im Herbst des Vorjahres eine Zwischenfrucht angebaut worden ist.
  • Die Sperrfristen für Acker- und Grünland werden jeweils verlängert und eine Sperrfrist für Festmist eingeführt.
  • Vor dem Aufbringen von Wirtschaftsdünger sind die N-Gehalte festzustellen.
  • Vor der N-Aufbringung ist der im Boden verfügbare Stickstoff durch Untersuchung zu ermitteln.

Die Bundesländer im Vergleich

Die als belastet ausgewiesenen Flächen der ostdeutschen Bundesländer
im Überblick:

  • Mecklenburg-Vorpommern: 429.218 ha rotes Gebiet = 32,02 % LN
  • Brandenburg: 72.861 ha rotes Gebiet = 5,6 % LN
  • Sachsen-Anhalt: 135.200 ha rotes Gebiet = 11,7 %
  • Sachsen: 185.044 ha rotes Gebiet = 20,5 % LN
  • Thüringen: 52.400 ha rotes Gebiet = 6,8 % LN

Da die finalen Geodaten aus einzelnen Bundesländern bis zum Redaktionsschluss nicht vollständig vorlagen, konnte keine Karte erstellt werden.

Die als belastet ausgewiesenen Flächen der Nachbarbundesländer von Mecklenburg-Vorpommern:

  • Schleswig-Holstein: 105.000 ha rotes Gebiet = 9,5 % LN
  • Niedersachsen: 606.700 ha rotes Gebiet = 21 % LN

Kalkulatorische Folgenabschätzung
Einschränkungen in der Produktion bedeuten auch ökonomische Auswirkungen. Wir haben beim Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes MV nachgefragt, ob es bereits erste Zahlen für die Branche im Land gibt. Und es gibt sie. Dabei handle es sich allerdings nur um grobe Zahlenspiele. Denn: „Seriös vorauszurechnen, ist in diesem Fall unmöglich“, so Dr. Martin Piehl. Dennoch hat er es auf Annahmen, Durchschnitts- und Erfahrungswerten beruhend probiert. Abhängig von Bodengüte, Nutzungsart und Kultur sowie Erträgen und Kosten ist bei einer 20-%-Minderdüngung eine Verlustspanne von 100–300 €/ha denkbar. Daraus ergeben sich bei rund 430.000 ha und 100 € übers Land gesehen Einbußen von 43 Mio. €. 20.000 Vollzeit-Arbeitskräfte zugrunde gelegt, bedeutet das im Schnitt 2.150 € weniger Einkommen je Arbeitskraft. Darüber hinaus hätten auch der vor- und nachgelagerte Bereich aufgrund reduzierten Stickstoffeinsatzes und zu erwartender geringerer Erntemenge rückläufige Zahlen zu befürchten. NG