Sanierungsfall in Mecklenburg-Vorpommern

Verrohrte Gewässer: „Weiter so“ geht nicht

Während des Expertengesprächs im Plenarsaal des Landtages. (c) Gerd Rinas
Artikel teilen

Im Agrarausschuss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern ging es jüngst um die Sanierung verrohrter Gewässer. Es besteht dringend Handlungsbedarf. Nun soll es ein Konzept für 50 Jahre geben.

Von Gerd Rinas

Das Problem ist lange bekannt: In der DDR, vor allem in den ehemaligen drei Nordbezirken und teils im heutigen Brandenburg, wurden für die Entwässerung und Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzfläche Gewässer verrohrt. Der Zustand der Leitungen hat sich in den vergangenen 30 Jahren stark verschlechtert. Das Land Mecklenburg-Vorpommern steht deshalb vor einer Herkulesaufgabe. Nach Angaben des Landesverbandes der Wasser- und Bodenverbände (WBV) sind nur noch neun Prozent dieser Leitungen ohne Schäden. 33 bzw. 14 % weisen bereits mittlere und starke Schäden auf. Sie sind undicht, haben Risse, ihre Querschnitte sind verengt, Kamerauntersuchungen sind vielfach nicht mehr möglich.

1,7 Mrd. Euro Kosten veranschlagt

Ein ‚Weiter so‘ würde die Infrastruktur, die Entwässerung von Städten und Gemeinden, von Straßen und Kläranlagen zusammenbrechen lassen, betonten Vertreter der Unterhaltungsverbände bei einem Expertengespräch zur Zukunft der verrohrten Gewässer im Schweriner Landtag. Der Agrarausschuss hatte dazu Sachverständige von zehn Institutionen und Verbänden eingeladen.

Für die Sanierung der Rohrleitungen durch Gewässerunterhaltung (Baumaßnahmen, Kontrolluntersuchungen) seien ca. 1,46 Mrd. € nötig, sagte Toralf Tiedtke, Geschäftsführer des Landesverbandes der Wasser- und Bodenverbände. Zuständig sind die Gewässerunterhaltungsverbände. Für den Gewässerausbau – in der Verantwortung der Kommunen – einschließlich dem Öffnen der Verrohrung sowie Änderungen in Lage und Querschnitt der Leitungen, wird mit einem Bedarf von 220 Mio. € gerechnet.


Mecklenburg-Vorpommern aktuell

Regional und praxisnah: Die Bauernzeitung versorgt Sie regelmäßig mit allen wichtigen Informationen rund um die Landwirtschaft und das Landleben in Mecklenburg-Vorpommern. mehr


Die Experten waren sich einig, dass dieser Brocken von den Unterhaltungsverbänden und deren Mitgliedern, Landwirten und Kommunen, allein nicht zu stemmen sein wird. „Diese Aufgabe kann nur gesamtgesellschaftlich gelöst werden“, hieß es unisono. „Allerdings findet es so nicht statt“, kritisierte Frank Lehmann von der Kooperationsgemeinschaft Wasser und Abwasser MV. In diese Bewertung passt, dass Vertreter des Wirtschaftsausschusses, anders als geplant, an dem Expertengespräch nicht teilnahmen.

Gefahr für die Infrastruktur

Ohne Sanierung der verrohrten Gewässer könnten nicht nur Landwirten und Kommunen, sondern der gesamten Infrastruktur im Land künftig große Gefahren drohen. Als Beispiel nannte Lehmann die Folgen von zwei Starkregen 2019 in Bad Doberan. Weil die Wassermassen nicht schnell genug abgeleitet werden konnten, entstanden 20 Mio. € Schaden. Ein Knackpunkt im Gespräch mit den Abgeordneten war die Finanzierung der Sanierungsmaßnahmen. Vertreter der Wasser- und Bodenverbände ließen durchblicken, dass an einer Beitragserhöhung kein Weg vorbeiführe. „Wenn versiegelte Flächen mit einem höheren Beitragsschlüssel versehen werden, dann werden wir zahlen“, versicherte Dr. Renè Firgt vom Landesamt für Straßenbau und Verkehr MV.

Für mehr als 90.000 Unternehmen der gewerblichen Wirtschaft habe die gesicherte Ableitung des Niederschlagwassers von Betriebsflächen große Bedeutung, betonte Marten Belling von der Landesarbeitsgemeinschaft der Industrie- und Handelskammern. Gegen eine moderate Erhöhung der Mitgliedsbeiträge sei nichts einzuwenden. „Eine Versechsfachung im Siedlungsbereich ist aber kaum vorstellbar“, so Belling mit Blick auf mögliche Beitragszenarien. Hier müsse nach Förderprogrammen geschaut werden. Zu prüfen wäre auch, ob der Gewässerausbau als Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme für Eingriffe in Natur und Landschaft für Ökokonten anerkannt werden könne. Die Bauwirtschaft im Land sei sehr wohl in der Lage, solche Aufträge auszuführen.

Das Land muss investieren

„30 Jahre Pause beim Unterhalt verrohrter Gewässer müssen aufgearbeitet werden. Landwirte und Kommunen könnten dies aber nicht allein finanzieren. Notwendig sind Investitionen des Landes in die Infrastruktur. Erst danach sollten wir Förderprogramme, z. B. im Rahmen der EU-Wasserrahmenrichtlinie, heranziehen und nicht umgekehrt“, betonte Dr. Manfred Leberecht, Vizepräsident des Bauernverbandes MV. Für den Gewässerausbau müssten auch Mittel vom Bund eingeworben werden. Leberecht wies auf den erheblichen Entzug landwirtschaftlicher Nutzfläche in den vergangenen Jahren hin. Um diesen Verlust nicht noch zu vergrößern, müssten Rohrleitungen saniert werden. Beim Gewässerausbau sei Augenmaß gefordert, um die Grundlagen für die Nahrungsgüterproduktion nicht weiter einzuschränken und den Flächenverlust nicht noch zu steigern.

Bei sehr geringem wirtschaftlichen Umsatz zahlten Waldeigentümer gefühlt hohe Beiträge in den Wasser- und Bodenverbänden, so Manfred Baum, Vorstand der Landesforst MV. Zusätzliche Belastungen könnten von den Forstbetrieben nicht geschultert werden. Bei der Verrohrung sei zu prüfen, ob sie für die Wasserregulierung tatsächlich notwendig sei. Vorzugsvariante aus Sicht der Waldwirtschaft seien offene Gräben.

Entrohrung „zwingend notwendig“

„Verrohrte Gewässer nicht zu renaturieren, kann nur die Ausnahme sein“, sagte Mareike Herrmann vom BUND MV. Zumindest müsse man die Rohrleitungen durchgängig machen und die spätere Renaturierung – einschließlich Folgekosten – planen. Dauerhaft kostendämpfend wirkten z. B. schattenspendende Gehölzsäume an den Gräben. Arne Bilau, ebenfalls vom BUND MV, sieht die Entrohrung der Gewässer als „zwingend notwendig“ an. Dies sei nicht nur gut für Biodiversität, Natur und Umwelt, sondern berge auch wirtschaftliche Vorteile, z. B. für den Tourismus und die Ertragsfähigkeit von Grünlandstandorten.

Viele Rohrleitungen könnten wegen ihrer tiefen Verlegung aber gar nicht geöffnet werden. „Die Öffnung empfiehlt sich nur, wenn es sowohl ökologisch als auch ökonomisch sinnvoll ist“, betonte Volker Bruns, Geschäftsführer der Landgesellschaft MV. Nutznießer der verrohrten Gewässser seien zu großen Teilen die Siedlungsgebiete. Deshalb müssten diese sich auch angemessen an den Sanierungskosten beteiligen. Bruns riet dringend, die Flächeneigentümer früh in Sanierungsvorhaben einzubeziehen und umfassend zu Entschädigungen und Flächenankauf zu informieren.

Fehlende Dienstbarkeiten

Bis dahin ist noch manche Hürde aus dem Weg zu räumen. „220 Mio. € Kosten für den Gewässerausbau müssen wir aus den kommunalen Haushalten schöpfen. Da stehen sie aber nicht drin“, so Arp Fittschen, Referatsleiter beim Städte- und Gemeindetag MV. Wie Bruns war auch Fittschen der Ansicht, dass das Eigentum an den Rohrleitungen – Eigentümer sind die Wasser- und Bodenverbände – und an Grund und Boden nicht zusammengeführt werden müssen. Die Sicherung über Dienstbarkeiten würde ausreichen. Das Problem: „Diese Dienstbarkeiten gibt es nicht! Sie wurden in den 1990er Jahren schlicht vergessen und Übergangsregelungen sind ausgelaufen“, so Fittschen.

Olaf Seefeld, Referatsleiter im Agrar- und Umweltministerium, wies darauf hin, dass die Landesregierung dem Agrarausschuss einen Bericht zur Gewässerunterhaltung zugeleitet hat. Er wurde mit allen Ressorts abgestimmt. Aber auch Seefeld bedauerte, dass bei dem Expertengespräch lediglich das Agrar- und Umweltministerium auf der Regierungsbank vertreten war. „Wenn die Sanierung verrohrter Gewässer nicht gemeinsames Anliegen aller Ministerien ist, steht das Landwirtschaftsministerium auf verlorenem Posten“, betonte Seefeld.

Ins Bewußtsein der Öffentlichkeit rücken

Heike Just, Geschäftsführerin des WBV Untere Warnow-Küste, stellte das Projekt „Pompee – verrohrte Gewässer zweiter Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern erneuern oder entwickeln“ vor. Damit soll die „vergessene und verschüttete Infrastruktur in den Gemeinden“, sichtbar und ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gerückt werden. „Wir wollen möglichst 2020 starten“, so Just. Als erstes sollen zwei WBV in einer Studie prüfen, wo Leitungen geöffnet werden könnten, wo Querschnitte zu klein sind und wo Leitungen vorrangig erneuert werden müssen. Daraus soll ein landesweites Konzept für die nächsten 50 Jahre entwickelt werden. Für die Studie wurde Förderung beantragt, die noch im Juni im Agrarministerium beschieden werden soll.

Notwendig seien zudem, so die Geschäftsführerin, ein Notfallfonds für kaputte Leitungen mit mindestens fünf Mio. € und die Sicherung von Grundstücken über den Rohren, mindestens sieben Meter zu beiden Seiten, um die Leitungen reparieren zu können. „Der Agrarausschuss wird die Sanierung verrohrter Gewässer politisch weiter begleiten“, versicherte Ausschussvorsitzende Elisabeth Aßmann.