Berliner Milchforum 2021

Milchforum: Zukunft in der Kuh-Zunft

Beim 11. Berliner Milchforum am 4. und 5. März war das Programm bunt. (c) Screenshot: Annett Gefrom
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Zentrales Thema des 11. Berliner Milchforums Anfang März war die Milchwirtschaft zwischen Marktrealität und Verbraucherwunsch. Lösungen für die zunehmenden Anforderungen der Gesellschaft sowie des Handels an die Produktion und die Verarbeitung von Milch wurden diskutiert.

Von Dr. Annett Gefrom

Das 11. Berliner Milchforum 2021 am 4. und 5. März war nicht wie die vorhergehenden zehn im gewohnten Rahmen einer Präsenzveranstaltung mit Ausstellung. Aber auch als virtuelle Veranstaltung – vom Deutschen Bauernverband (DBV), dem Milchindustrie-Verband (MIV) in Kooperation mit dem Deutschen Raiffeisenverband und der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) ausgerichtet – bestätigte sich das Milchforum mit über 400 Teilnehmern als das „große Klassentreffen“ der Branche. Vertreter aus Wirtschaft, Politik, Landwirtschaft und Handel tauschten sich über die Herausforderungen in der Milchbranche aus und verfolgten digital die Podiumsdiskussionen zu Themen wie „Image der Milch – Was kann die Branche besser machen?“ sowie „Milch und Co.: Wer bestimmt die Regeln?“.

Durch das bunte Programm mit weiteren Beiträgen zum (Bio-)Milchmarkt, Gütesiegel in Österreich, Tierwohl und Kommunikation führte Matthias Schulze Steinmann als Moderator.

Nicht die Butter vom Brot nehmen lassen

Milchforum

Einleitend wurde von Karsten Schmal (DBV) und Peter Stahl (MIV) festgehalten, dass die Weiterentwicklung der Milcherzeugung und -verarbeitung in den vergangenen Jahrzehnten eine Erfolgsgeschichte war. Für aktuelle Themen wie Nachhaltigkeit, Tierwohl, Ethik sowie die Erreichung der gesteckten Klimaziele, welche auch die Milchwirtschaft tangieren, sind Innovation, Kommunikation und Perspektiven gefragt. Landwirte zeigen dabei eine hohe Bereitschaft zur Weiterentwicklung der Tierhaltung, aber auch für die gesamtgesellschaftlichen Fragen des Umwelt- und Klimaschutzes.

Der DBV-Vizepräsident und Landwirt Schmal erläuterte auch die schwierige wirtschaftliche Situation der Milchviehbetriebe sowie die derzeitige Stimmungslage: „Die letzten Jahre waren dynamisch: liberalisierte Märkte und veränderte gesellschaftliche Erwartungen an die Erzeugung, Dürreperioden sowie hohe Preise für Futtermittel.“ Das reduzierte die Liquidität der Betriebe. Der Milchpreis der letzten zwei Jahre war zwar stabil. Klar ist aber, dass Erzeugerpreise von 33 ct/kg bei vielen Betrieben nicht ausreichen, um die kommenden Anforderungen umzusetzen.

Genau in dieser Situation befindet sich der Familienbetrieb mit 450 Kühen von Andrea Rahn-Farr, die ihre Zunft vertrat. Sie befürchtet durch die neuen Auflagen, aber gleichzeitiges Drücken der Preise einen Exodus der Milchbauern.

Die Milchbranche ist systemrelevant. Die Wertschöpfungskette hat in der Pandemie gut funktioniert. Der eigentliche Kern – für die Ernährung Milch in sicherer Qualität und ausreichender Menge herzustellen, zu verarbeiten und bereitzustellen, ist gelungen“, so DBV-Vize Schmal. Er rät der Branche, den Schwung der Krise zu nutzen, um die Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.

Milch- und Butterpreise im Aufwind

Schmal sieht eine positive Entwicklung am Milchmarkt. Entscheidend sei der Absatz über die Großverbrauchermärkte, die coronabedingt weggebrochen sind. Auf konkrete Zahlen wollte er sich nicht festlegen, aber mit Grundpreisen bei 35–37 ct/kg und einem Börsenmilchwert mit Centsprüngen auf 38 ct/kg hofft er für Herbst auf Milchpreise über 36 Cent. Er begründet seine Prognose mit der gegenwärtigen Verknappung. Die Milchmenge in Deutschland wird um 2 Prozent unter dem Vorjahr bleiben, weil Betriebe nach Dürre zum Teil Grundfutterprobleme haben und mit novellierter Düngeverordnung eine Abstockung der Herden erfolge.

Weiterhin bestehe eine gute Nachfrage nach Frischeprodukten und eine gute Notierung für Butter und Käse. „Wenn die Bedingungen so bleiben, wie sie jetzt sind, werden die Diskussionen um die Tierwohlumsetzung weicher“, so Schmal auf dem 11. Berliner Milchforum. Sicher werden sie nicht butterweich.

Milch-Strategie 2030 nur gemeinsam

Aus dem Blick eines Milcherzeugers durfte der DBV-Vizepräsident beim 11. Berliner Milchforum die Entwicklung der Milchstrategie 2030 maßgeblich vorantreiben: „Der Spagat zwischen Markt und Verbraucherwunsch wird nicht leicht sein.“ Vor diesem Hintergrund gelte es, diese als Leitfaden umzusetzen und die Arbeit der Initiative Milch GmbH fortzuführen. Eine Geschäftsführerin arbeitet ab 1. Mai für diese Gesellschaft.

Unterstützung für die Branchenkommunikation fand man bei der Agentur Fischer Appelt relations GmbH. Zum aktuellen Stand der Umsetzung erklärt der DBV-Vertreter weiter: ,,Die Kommunikationsplattform geht noch im Frühjahr an den Start. Das Konzept zur Auslobung von Qualitätsmilch (QM) auf Milchprodukten beinhaltet auch das Nachhaltigkeitsmodul und kann Anfang 2022 zur Umsetzung kommen. Gleichzeitig wird am Zusatzmodul ,QM Tierwohl‘ gearbeitet, welches Anfang des nächsten Jahres an den Start gehen soll.“ Grundüberlegung sei, dass durch höhere Standards anfallende Mehrkosten in der Kette durch bessere Erzeugerpreise oder eine verlässliche Finanzierung von Staat und Marktpartnern ausgeglichen werden müssen, wenn die Milchproduktion in Deutschland erhalten bleiben soll. Dafür brauche es keine CMA 2.0, sondern einen effizienteren Ansatz, meint Stahl.

Für vier Jahre sollen durch eine Willenserklärung der Molkereien Einnahmen von über 3 Mio. Euro jährlich generiert werden. „Wir haben 80 Prozent Teilnehmerquote erreicht, und weitere sind eingeladen“, freut sich Stahl. Gemeinsam mit DBV-Vize Schmal sprach er die rund 60.000 Milcherzeuger und 150 Molkereien und damit entsprechend unterschiedliche Interessen an, die Erfolgsgeschichten über moderne Milchviehhaltung und nachhaltig erzeugter und gesunder Milch sowie deren Produkte zu erzählen.

Verbraucher als Anhalter auf der Milchstraße

Klar, dass ein positives Image der Milch kein Selbstläufer ist und sich die Branche zu Recht fragt, was sie besser machen kann? Antworten darauf gab Prof. Gunther Hirschfelder, ein Spezialist für Ernährungskulturen von der Universität Regensburg beim 11. Berliner Milchforum. Er hat das Image der Milch vom Musterschüler zum Problemfall verfolgt. Unsere erste Ernährungserfahrung im Leben sei die Milch, so der Wissenschaftler. Alle Geschmackspräferenzen würden davon abgeleitet. Die Milch macht’s. Seit der Steinzeit sei sie von jung an bis ins hohe Alter ein wichtiges Nahrungsmittel und damit entscheidend für ökonomischen und kulturellen Fortschritt. Das gelte bis heute, wo die Landwirtschaftsbetriebe hochmodern sind.

Später im 11. Berliner Milchforum, beschrieben die Landwirte Andrea Rahn-Farr (Büdingen/Hessen) und Karsten Schmal die Weiterentwicklung ihrer Betriebe. Sie seien Experten mit Know-how für mehr Kuhkomfort. Daran würden sie nicht erst seit der Initiative Tierwohl arbeiten. Mit angepasster Fütterung, großräumigem Laufstall, frischer Luft, Licht, Wasserbetten und Duschen für Kühe sowie der Zucht auf Gesundheit und Langlebigkeit stieg deutschlandweit die Milchleistung der Kühe von 4.500 l Milch in den 80er-Jahren bis heute auf durchschnittliche Milchleistungen von 10.000 l je Kuh und Jahr und Lebensleistungen von 100.000 l. In 20 Jahren erhöhte sich die deutsche Milcherzeugung damit um 17 % – bei einer Selbstversorgung von 117 Prozent mit Frischmilch- und Sahneerzeugnissen, 103 Prozent bei Butter/Milchfett und Käse mit 123 Prozent (2019). Stahl ergänzt: „Deutschland hat gute Voraussetzungen für die Milchproduktion, welche Produkte für den Export erlauben. Weil wir’s können – nicht nur in der Autoindustrie, ist der Export dieser Qualitätsprodukte eine Erfolgsgeschichte.“

Den Kontakt zum Verbraucher verloren

Anschließend folgte Aufklärungsarbeit im Gespräch mit Bernhard Burdick, der bei der Verbraucherzentrale NRW zu Ernährung, Lebensmittelsicherheit sowie Nachhaltigkeit berät. Milchproduktion sei ein komplexer Betriebszweig, und die Branche habe erkannt, dass der Kontakt zum Verbraucher auf dem Weg zur Spezialisierung verloren gegangen ist. Stahl wünschte sich – an die Branche gerichtet – zur Umsetzung des Nachhaltigkeitsmoduls mehr Geschwindigkeit und Teilnehmer für fundierte Daten zur Öffentlichkeitsarbeit.

Interessierte Verbraucher und Zweifler mit Unbehagen gegenüber industrieller Landwirtschaft diskutieren kontrovers und emotional – allzu oft im digitalen Raum mit aus dem Zusammenhang gerissenen Schlagzeilen. Der Ruf der Milch hat gelitten. Milch kommt höchstens noch in den Kaffee, und das am besten laktosefrei oder gleich als Hafermilch oder Lupinendrink. Netzwerke und der Markt für milchähnliche Pflanzenprodukte entwickelten sich daher erfolgreich. Mit diesem Trend bieten prominente Beispiele der eigenen Zunft bereits Milchersatzprodukte aus Getreide an. Vielleicht fehlte aber auch passend zum Vortrag über das Trockenstellen am ersten Tag des Milchforums die Extraportion Milch am Podiumstisch.

Käse in aller Munde und Zweifler mit Bärten

Aber wie kann die Milchbranche kommunikativ den Mehrwert der Milch hervorheben? Da vegan vermutlich auf die Knochen geht und keiner widerlegen kann, dass fermentierte Milchprodukte für Erwachsene gut sind, waren diese am Folgetag des Forums Milch in aller Munde. Die Teilnehmer gingen ran an den Käse und genossen zwei statt „ein belegtes Brot mit Käse“. Fritz Lloyd Blomeyer kennt die handwerkliche Kultur der Käseherstellung und nahm die Gäste mit auf eine Reise zu kleinen deutschen Produktionen. Das im Milchforum zu hörende genüssliche Schmatzen war wie Musik im Harzer Käse.

Auch Dirk Benninghoff, von der bereits erwähnten Kommunikationsagentur fischerAppelt möchte durch „Milch to go“ als trinkbaren Snack trendige Milchbärte gerade bei jüngeren Kuhmilchzweiflern wachsen sehen. Die Erfolgsgeschichten von nachhaltig erzeugter und gesunder Milch – eines unserer wertvollsten Lebensmittel, sollten durch die Milchwirtschaft wahrnehmbar erzählt werden. Die Akteure wollen Brücken zum Konsumenten bauen, indem sie die Marke Milch mit einem Lifestyle verbinden und deren Eigenschaften kommunizieren. Im Falle der Milch ist die gesunde Botschaft sogar wissenschaftlich belegt. Damit Kinder nach der Corona-Pandemie den Schul- und den Weg der Milch wieder kennen, soll auf Bundes- und Landesebene die Zusammenarbeit mit bereits begonnenen Projekten wie Lernort Bauernhof, Schulmilch oder MyKuhTube erfolgen. Milch kommt nicht von lila Kühen und auch nicht vom Roten Bullen.

Im Land, wo Milch und Honig fließen

Die Regionalisierung ist laut Benninghoff einer der Brückenpfeiler. Zu ihrer Heimat hätten die Konsumenten – auch eine Frau Müller – Bezug. Regional sei glaubwürdig nachhaltig. Milchprodukte made in Germany hätten gegenüber dem Käse von Frau Antje oder dem Bergkäse von Sennerin Heidi Symbolkraft. Österreich hat es mit der Benchmark für Bergkäse vorgemacht, so Rüdiger Sachsenhofer von Agrarmarkt Austria. Da die Herkunftskennzeichnung auch die Auslobung der Haltungsstufen kommunikativ unterstützen kann, sprach man in der Runde die Freiwilligkeit an. Was würde eine Kennzeichnung bringen, wo sich der Verbraucher bewusst für höhere Standards entscheiden und sich die deutschen Milcherzeuger vom globalen Markt absetzen können? Mit der Frage war man mitten im zweiten Themenpunkt: Welche Impulse kann die Branche setzen, welche Verantwortung hat Politik und …

Wer macht eigentlich die Regeln?

Dank der Experten im Forum wurden die Regeln deutlich gemacht. Marktpreise werden nicht durch Produktionskosten definiert. Das Marktgesetz, dass Angebot und Nachfrage den Preis bilden, zu dem auch produziert wird und der bei allen zukünftig formulierten Alleinstellungsmerkmalen in der Branchenkommunikation ein entscheidendes Label bleibt, zieht eine hohe Komplexität nach sich. Das Weltgeschehen und der Wettbewerb bestimmen die Musik, die man als Grundrauschen des volatilen Weltmarktes hört. Etwa die Hälfte der Umsätze in der deutschen Milchbranche werden immerhin durch den Export erwirtschaftet. Weitere 15 bis 20 Prozent gehen in die verarbeitende Industrie. Mit dem Brexit wird der Binnenmarkt kleiner und der Weltmarkt größer. Monika Wohlfarth von der Zentrale Milchmarkt Berichterstattung erklärt, dass der Warenaustausch mit einem wichtigen Nettoimporteur aufwendiger wird.

Kulturwissenschaftler Hirschfelder schaute über den Horizont: „Nach Marktlogik geht der Trend dahin, dass die europäische Landwirtschaft in zwei Generationen stark industrialisiert und konzentriert ist sowie international eher dem Kapital als dem Verbraucher verpflichtet ist. Die Bewegung der vertikalen Integration ist in der Ukraine bereits erkennbar. In den USA betreiben Handelsketten eigene Molkereien und schließen Kontrakte mit den Milcherzeugern. Es zeige sich aber gerade in 2020, dass bestehende Strukturen nötig sind. Den politischen Willen in Deutschland, gesellschaftlich akzeptierte und wettbewerbsfähige Strukturen in globalen Märkten zu erhalten, versicherte Albert Stegemann als CDU-Mitglied des Bundestages. Ihm wäre es zwar lieber, wenn die Marktteilnehmer die Spielregeln selbst festlegen und danach leben würden.

Regeln fallen nicht vom Himmel

Da die Spielregeln nicht immer eingehalten werden, wird der Staat auch künftig Schiedsrichter spielen. Es kamen die erfolgten Fusionen und das Lieferkettengesetz zur Sprache. Durch Rechtssprechung bleibt es nicht immer bei Anreizen. „Es muss möglich sein, über Ordnungsrecht entstehende Mehrkosten auszugleichen“, so Stegemann. „Vor allem, wenn durch gesellschaftliche Ansprüche resultierende Regeln den Standard in Deutschland außergewöhnlich heben, muss die Wettbewerbsfähigkeit im Weltmarktdurch Ausgleich erhalten bleiben“, ergänzt Andrea Rahn-Farr. Sie beschreibt: „Landwirte erzeugen Milch von höchster Qualität, sowohl was das Produkt als auch den Prozess angeht.“ Trotzdem ist sie als Rohstoff beim Lebensmitteleinzelhandel (LEH) weitgehend austauschbar. Bei steigenden Kosten ist der durchschnittliche Auszahlungspreis in den letzten 20 Jahren nur von 30,8 ct/kg auf 32,9 ct/kg gestiegen. Vier Fünftel der Betriebe können die Vollkosten nicht mehr decken. Seit 2000 halbierte sich die Zahl auf circa 60.000. Landwirtin Rahn-Farr hat vor einigen Jahren in die Betriebsmodernisierung investiert, fragt aber ernsthaft: „Wer investiert in der aktuellen Situation?“ Wenn Landwirte in gesamtgesellschaftliche Verantwortung für Umweltschutz investieren, brauchen sie für Abschreibungszeiträume von über 20 Jahren Planungssicherheiten über die Legislaturperiode hinaus.

Prof. Hiltrud Nieberg vom Johann Heinrich von Thünen-Institut befürwortet Verlässlichkeit schaffende Regeln für alle. Für diese sind wissenschaftliche Erkenntnisse nötig.

Milchforum: Verändere oder gehöre der Vergangenheit an

Für eine hohe Akzeptanz müssen Regeln nachvollziehbar und umsetzbar sein. Den Landwirten empfiehlt Prof. Nieberg, nicht zu warten und den Wandel aktiv mitzugestalten. Benötigt werden: Transparenz über die Produktion, ein breiter Dialog mit der Gesellschaft, die Vereinbarung langfristiger Zielbilder, Veränderungsbereitschaft und eine politische Flankierung.“ Sie verdeutlicht: „Der Strukturwandel ist ein Teil der Marktwirtschaft, und für einige Landwirte ist der Ausstieg sozialer.“ Statt wachse heißt es „Verändere oder weiche“. Das ist keine Milchmädchenrechnung, bei der im Ergebnis die Wiedereinführung von Mindestpreisen mit Milchseen oder Butterbergen steht, waren sich alle einig. Marktinstrumente wie Risikomanagement und Preisabsicherung finden erst seit Kurzem den Weg in die Milchbranche.

Der Kunde ist König – oder schon Diktator?

Der Verbraucher spielt einen erheblichen Faktor. Milchprodukte liegen im Trend. Die Verbraucher haben in der Pandemie auf die Milch gesetzt. Der Prokopf-Verbrauch an Käse ist auf Rekordhoch. Immer mehr Verbraucher wollen Bio. Zahlen zum Markt trug Rüdiger Brügmann vom BiolandVerband vor. Leider kaufen nur 15 % der Konsumenten bewusst nach weiteren Kriterien wie dem Preis ein. Es gibt internationale Bewegungen wie „Du bist der Chef“. Über 9.300 Verbraucher setzten höhere Ansprüche zu einem für sie fairen Preis von 1,45 €/l. Letztes Jahr führten 750 Märkte diese Milch. Für die Ausweitung fehlen häufig klare Standards, bessere Kontrollen und finanzielle Anreizsysteme, so Lebensmittelexperte Burdick.

Der Verbraucher sei überwiegend preisbewusst und inkonsequent. Verbraucherpreise sind im Vergleich zum Erzeugerpreis zwar gestiegen, aber die Deutschen geben noch immer nur 11 % des Einkommens für Lebensmittel aus. Bernhard Burdick denkt, dass Verbraucher nicht per se Pfennigfuchser sind, sondern durch die Preisgestaltung im Wettbewerb des Handels niedrige Ankerpreise gewöhnt sind und das Image der Milch nicht mit Ramschware positiver beeinflusst wird. Damit wurde im Forum der Blick auf die „fünf Riesen“ des Lebensmitteleinzelhandels (LEH) mit einer Marktmacht über 76 % des Absatzmarktes gerichtet. Dr. Leif Balz, Referent bei der Schwarz-Gruppe, fühlte sich zu drei Vierteln angesprochen. Denn zu einem Teil von 40 % wird die deutsche Rohmilch für Produkte im deutschen LEH benötigt. Er berichtet: „Wir folgen den Rohstoffpreisen und können den Preis nur minimal künstlich erhöhen. Dieser wird durch den Verbraucher geschliffen.“ Die Kunst bei Milch ist es, auf gesättigten Märkten ein vergängliches Produkt zeitnah abzusetzen. Entsprechend den Kundenanforderungen entwickelt sie das Sortiment, um sich im Wettbewerb zu differenzieren. Dieses besteht aus Preiseinstiegsprodukten für sehr viele „starre“ Kunden als auch aus Premiumartikeln zum Beispiel Weidemilch, mit denen die Schwarz-Gruppe in Kooperation mit Bioland eine Erfolgsgeschichte erzählt. Rund 80 % der deutschen Milchprodukte werden mit zunehmender Tendenz über den LEH unter Handelsmarken vertrieben. Viele Kunden und Stakeholder stellen immer höhere Anforderungen. Diese Verantwortung möchte die Schwarz-Gruppe wahrnehmen.

Landwirte – das erste oder letzte Glied?

Der direkte Vertragspartner für den LEH sind die Molkereien. Eckhard Heuser (MIV) klärte über die geringen 3 % Margenstärke der Molkereien auf. Bei weiterer Separation von Milch und deren Derivaten nach Tierwohlstufen und dem Standard „Was draufsteht, soll auch drin sein“ kommen für Logistik- und Verpackungsaufwendungen erhebliche Investitionen hinzu. Die Molkereien müssen sich mit Innovationen für höhere Wertschöpfung auf mehr Komplexibilität ausrichten. Dr. Balz sprach Finanzierungsmodelle der Initiative Tierwohl an, die als Vorlage dienen könnten, wenn seitens des LEH die deutsche Frischmilch in deutsche Tüten soll. Vermarktungschancen für ein Mehr in der Lohntüte von Landwirten sind auszuloten. Immerhin agiert Lidl bereits in 29 Ländern.

Michael Ohlendorf von der Privatmolkerei Bauer wünscht sich abseits der klassischen Verhandlungen eine zukunftsgerichtete Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette mit der Politik als Moderator. Stahl vom MIV sagt dazu: „Mit Verordnungen macht man keine besseren Preise. Mengensteuerung gehört – wenn überhaupt – in die Hände der Vertragspartner.“ Über die Molkereien ist auch der Erzeuger im Boot, denn 70 % der Molkereien sind in genossenschaftlicher Hand.

Prof. Nieberg und Rahn-Farr erinnerten, dass auch wenn der Handel vermehrt den Standard setzt, nicht mit „von „null auf 100 Prozent“ ein Strukturbruch verursacht werden darf. Ob nun als erstes, letztes oder schwächstes Glied in der Kette müsse der Landwirt auf dem Weg des Strukturwandels mitgenommen werden. Die Bauernproteste der vergangenen Monate machten die Lage deutlich, dass die Kostensituation auf den Höfen andere Preise erfordert.

Milchforum: Jetzt aber Butter bei die Fische

Andreas Pelzer, Haus Düsse, fasste anschließend zusammen: „Ein Mehr an Tierwohl rechnet sich in vielerlei Hinsicht. Bedürfnisse der Tiere finden Beachtung. Landwirte arbeiten lieber mit gesunden Tieren. Molkereien und Handel profitieren von hohen Lebensmittelqualitäten und einer hohen Wertschätzung durch die Verbraucher. Allen Akteuren muss klar sein, dass immer in Tierwohl investiert werden muss.“ Damit wurde in der Diskussion die Machbarkeitsstudie der Borchert-Kommission angesprochen, in der notwendige Investitionen um 4 Mrd. € für mehr Tierwohl kalkuliert sind. Dr. Balz signalisierte Dialogbereitschaft seitens der Schwarz-Gruppe und sprach die Mitbewerber im LEH an, um grundsätzlich bessere Preise für die Höfe zu bilden. Die Frage sei allerdings, ob das unter Wahrung aller kartellrechtlichen Vorgaben über ein Splitting der Einnahmen aus Export, Industrie sowie den Margen bei Handel und Molkerei gelingt. Bei Bezahlmodellen würden Preissteigungen um 7 ct/kg Milch für die Verbraucher überschaubar bleiben. Der Kunde bleibe König, sollte sich aber auch wie einer benehmen. Damit sei der Kassenbon der Stimmzettel der Verbraucher.

„Im Superwahljahr 2021 wird auch die Politik noch für manche Überraschung sorgen“, so MIV-Vorstand Stahl. „Am Ende des Tages müssen Milcherzeuger zusammen mit ihren Molkereien am Markt bestehen.“

Festzuhalten ist, dass sich alle beim Prozess der Verbesserung etwas zutrauen müssen und dies dann auch ehrlich, sachlich und offensiv mit Selbstbewusstsein ohne Schwarz-Weiß-Malerei kommunizieren. Wir alle lieben schließlich Lebensmittel – die Mittel zum Leben.


Das 12. Berliner Milchforum soll am 24./25. März 2022 wieder als Präsenzveranstaltung stattfinden.