Nitratmessnetz: Zu dünn gesät?
Die Kritik an der Düngeverordnung ist zu großen Teilen eine Kritik am Nitratmessnetz. Hier ein Überblick, wo, wie und was erfasst wird.
Es hatte etwas von Tragikomödie, wie sich die Bundesministerinnen Julia Klöckner (CDU) und Svenja Schulze (SPD) kürzlich in der Öffentlichkeit duellierten. Und das zu einem Zeitpunkt, an dem die EU-Kommission nicht mehr mit Deutschland verhandeln wird: Anfang April muss ein neues Düngegesetz den Bundesrat passieren.
So informierte am 27. Januar die für die Düngepraxis zuständige Agrarministerin ihre Parteikollegen im Bundestag über die prekäre Verhandlungssituation mit Brüssel. Klöckner wies zudem darauf hin, dass sie das für das Messnetz verantwortliche Bundesumweltministerium und die Länder „unmissverständlich“ aufgeforderte habe, für mehr Transparenz bei den Nitrat-Messstellen zu sorgen. Damit griff Klöckner die Kritik und Zweifel der protestierenden Landwirte an den Messstellen auf. Sie stellte aber auch klar: „Wir werden nichts, was ist, wegmessen können.“
Nitratmessnetz: Transparenz zugesagt
Auf Forderungen der CDU nach mehr Messstellen, konterte Umweltministerin Schulze am 29. Januar: Die Länder könnten gern ihre Messstellen überprüfen und noch mehr Messstellen einrichten: „Aber es ist vollkommen klar: Wir können das Problem nicht wegmessen.“ Darin scheinen sich beide einig zu sein.
Veranstaltungstipp: Am 20. Februar 2020 laden die Thüringer Ministerien für Infrastruktur und Landwirtschaft (TMIL), sowie Umwelt, Energie und Naturschutz (TMUEN) zum gemeinsamen Dialog mit der Landwirtschaft zum Thema „Grundwasserschutz / rote Gebiete / Düngeverordnung“ öffentlich ein. Mehr Informationen
In der Tat tut sich etwas in einigen Bundesländern. In Thüringen lokalisieren seit Ende vorigen Jahres auf Initiative des Bauernverbandes Landwirte Nitrat-Messstellen, um mögliche außerlandwirtschaftliche Eintragspfade zu erkunden. Die Landesregierung verspricht, Transparenz herzustellen. Am 20. Februar gibt es ein großes öffentliches Dialogforum. In Nordrhein-Westfalen, berichtet das Fachblatt „Schweinezucht und Schweinemast“, erbrachte eine Überprüfung von 300 ausgewählten Messstellen, dass zwei Drittel davon nur eingeschränkt funktionsfähig sind.
Das mag alles interessant und richtig sein, ist aber für die aktuelle Bewertung der EU-Kommission und ihrer Forderung nach scharfen Regularien in Nitratüberschussgebieten nicht von Belang. Zuletzt monierte Brüssel, dass rund ein Drittel der deutschen Messstellen mit Grenzwertüberschreitung außerhalb der roten Gebiete liegen. Diese müssten Teil der Kulissen werden.
Der in den vergangenen Wochen und Monaten vor allem auf den Schlepperdemos geäußerte Frust über die roten Gebiete und der Zweifel am deutschen Messnetz sind jedoch zwei Paar Schuhe. Denn der Druck, den Brüssel mit dem im Oktober 2013 eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren auf Deutschland ausübt, fußt auf Daten aus zweierlei Messnetzen.
Da ist zum einen das Belastungsnetz (EU-Nitratmessnetz). 1996 zählten 182 Messpunkte dazu, die die Länder ausgewählt hatten. 2012 waren es nur noch 162. Diese Grundwassermessstellen wurden von landwirtschaftlicher Nutzung (Acker, Grünland, Sonderkulturen) geprägt. In Ostdeutschland und Berlin lagen 33 davon. Im Zeitraum 2008 bis 2010 wiesen gut 50 % aller Messstellen ein Niveau über dem Grenzwert von 50 mg/l auf.
Nitrat messen
Bei der Beobachtung von Nitratkonzentrationen erfolgt keine Betrachtung der Nitratfrachten in das Grundwasser.
Eine Beurteilung der tatsächlichen Menge des ausgewaschenen Nitrates kann nur mithilfe der tatsächlich neu gebildeten Menge an Grundwasser für das jeweilige Jahr vorgenommen werden.
Die Höhe der Grundwasserneubildung pro Jahr kann vor allem bei oberflächennahem Grundwasser erheblichen Einfluss auf die gemessenen Nitratkonzentrationen haben.
Quelle: BMU
Weitere 20 % bewegten sich zwischen 40 und 50 mg/l. So steht es im Nitratbericht aus dem Jahr 2012. Im Vergleich mit den vorherigen Daten konnte insgesamt zwar eine rückläufige Nitratbelastung ermittelt werden. Allerdings wiesen rund 40 % der Messstellen steigende Tendenzen auf. Obwohl man in Brüssel wusste, dass diese geringe Messstellendichte keinen repräsentativen Charakter haben kann, wurden die Daten zur Bewertung mit herangezogen. Noch bis 2015 meldete Deutschland auf Grundlage dieser 162 Messstellen Daten zur Umsetzung der EU-Nitratrichtlinie.
Die Umsetzung der Düngeverordnung wird von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich gehandhabt. So ist das Vorgehen in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Sachsen-Anhalt und Thüringen. mehr
Düngeverordnung: Nur wenig Besserung
Parallel gab und gibt es das EUA-Messnetz, das regelmäßig Daten an die Europäische Umweltagentur liefert. Es umfasste 2012 bundesweit 739 Messpunkte. An 106 davon wurden die Nitratnormen überschritten (16 in Ostdeutschland). Verglichen mit den vorherigen Erhebungen ließ sich bundesweit an lediglich vier Messstellen eine leichte Verbesserung dokumentieren. Zu diesem Zeitpunkt galt überdies für 300 (66 in Ostdeutschland) der insgesamt 1.200 Grundwasserkörper in Deutschland, dass sie sich aufgrund hoher Nitratbelastungen in einem schlechten chemischen Zustand befinden. Im Ergebnis verlangte die EU-Kommission von Deutschland, mehr für die Nitratreduzierung zu tun. Dies mündete in der langwierigen Novelle der Düngeverordnung, die 2017 in Kraft trat. Zugleich wurde hierzulande das Messstellennetz, das in vielen anderen EU-Ländern schon vor zehn Jahren bedeutend dichter war, ausgebaut.
Seit 2015 hat sich das Nitrat-Belastungsnetz, das allein die landwirtschaftlichen Einflüsse überwachen soll, von 162 auf 697 vervierfacht. Diese knapp 700 Messstellen sind heute Teil des EUA-Messnetzes, das auf insgesamt 1.214 Messstellen ausgebaut wurde. Die Verteilung der Messpunkte soll die Landnutzungen in Deutschland repräsentativ widerspiegeln: Ackerland 45 %, Grünland 11 %, Sonderkulturen 1 %, Wald 30 %, Siedlung 9 % und Sonstige 4 %.
Grobmaschiges Messstellenetz
Den letzten Auswertungen von 2016 zufolge, liegen die Nitratgehalte bei 18 % der EUA-Messstellen über dem Schwellenwert von 50 mg/l. Bei den davon für das EU-Nitratmessnetz herangezogenen landwirtschaftlich geprägten 700 Messpunkten überschreiten 28 % den Schwellenwert. Laut dem Nitratbericht von 2016 habe sich hier die Situation nur unwesentlich zu den vorherigen Ergebnissen verbessert. Und nach den Kriterien der EU-Wasserrahmenrichtlinie befinden sich immer noch gut 300 der 1.200 Grundwasserkörper wegen zu hoher Nitratwerte in einem schlechten chemischen Zustand.
Wenn auch (zu) spät, ist es gewiss richtig und gut, mehr Transparenz und Wissen über das Messstellenetz herzustellen. Auch kann und soll diskutiert werden, ob das Messnetz tatsächlich dicht genug ist, um die Quellen für eine Nitratbelastung zu ermitteln und hiernach vor Ort gezielt Maßnahmen zur Reduktion zu starten. Deutschland gehört, was die Messnetzdichte angeht, zu den vier Schlusslichtern der EU. Dänemark etwa verfügt in seinem EU-Nitratmessnetz zehnmal mehr Messpunkte auf 1.000 km2. In Belgien sind es über zwanzigmal so viele.
Kein deutsches Problem
Man sollte sich davor hüten, zu glauben, wegen der Nitratrichtlinie hätte die EU-Kommission nur Deutschland im Visier. Es gab in den vergangenen zehn Jahren mindestens 18 Urteile des Europäischen Gerichtshofes. Gegen die Nitratrichtlinie verstoßen hatten neben Deutschland zehn weitere Mitgliedstaaten: Belgien, Frankreich, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Polen, Spanien und das Vereinigte Königreich.
Zu Kenntnis nehmen sollte man freilich die Düngepraxis. Laut der Universität Gießen lag der im Jahr 2017 bundesweit bilanzierte N-Überschuss bei 70,6 kg/ha (BB: 45,3 kg/ha; MV: 49,9; SN: 51,1; ST: 47,4; TH: 48,1). Auf Kreisebene heruntergebrochen, lag der N-Überschuss in 84 Regionen (30 % der LF) unter 55 kg/ha. In 157 Kreisen, die 47 % der LF repräsentieren, wurden Werte zwischen 55 und 100 kg/ha ermittelt. Eine N-Überschussbilanz von mehr als 100 kg/ha wiesen 58 Kreise aus, die 23 % der Gesamtnutzfläche ausmachen.