Fleischproduktion: Auf Kosten von Mensch und Tier
Der Landtag von Sachsen-Anhalt hat in seiner letzten Sitzung vor der Sommerpause über das Thema Fleischproduktion debattiert. Der Antrag kam von den Grünen, die in der Schlachtbranche das Wohl der Beschäftigten und der Nutztiere verletzt sehen.
Die unhaltbaren Zustände in der Fleischindustrie seien seit Langem bekannt. Alle gesetzlichen Spielräume würden hier stets bis aufs Äußerste ausgereizt, kritisierte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann zu Beginn der Debatte. Auf der einen Seite ausbeuterische Arbeitsverhältnisse und leidbringender Umgang mit den Tieren, andererseits Rekordumsätze in Milliardenhöhe noch kurz vor der Coronapandemie – hier werde Profit gemacht auf Kosten von Mensch und Tier.
„Das dürfen wir nicht mehr zulassen.“ Lüddemann forderte „klare Ansagen an die Fleischindustrie“: Verbot von Werkverträgen in der Branche, verbindliche Kennzeichnung der Fleischprodukte, Schaffung von Betriebsräten sowie bessere Personalausstattung der Kontrollorgane. Aber nicht nur die Politik sei in der Verantwortung. Letztlich sei es auch die große Anzahl der Konsumentinnen und Konsumenten, denen es nicht billig genug sein kann. Denn der Preis für billige Schnitzel und Würstchen seien eben eine prekäre Entlohnung, skandalöse Arbeitsbedingungen und tierquälerische Verarbeitungsmethoden in der Fleischproduktion, so Lüddemann.
Nutztierhaltung neuausrichten
Der „Gewaltakt des Schlachtens“, der jedem Fleischkonsum zwangsläufig vorausgehe, werde kaum mehr wahrgenommen, ergänzte Lüddemanns Fraktionskollegin Dorothea Frederking unter Verweis auf die Normalität des Fleischessens. Erst Skandale würden ein grelles Licht auf die „Auswüchse der industriellen Fleischproduktion“ werfen, in der Tiere wie Rohstoffe behandelt würden. Der Schlachthof sei dabei nur „das Ende einer langen Leidenskette“. Frederking forderte eine Stärkung der Regionalität durch Begrenzung der Tiertransporte auf höchstens vier Stunden Dauer bzw. maximal 65 Kilometer Entfernung.
Es brauche dazu auch dezentrale Schlachtbetriebe, „also weg von den großen Mega-Schlachthöfen und idealerweise wieder hin zu den Metzgereien vor Ort.“ Industrielle Fleischproduktion stehe für eine Geringschätzung von tierischen Produkten, sagte Frederking. „Dieses System, geformt durch die jahrzehntelange Dominanz der Ökonomie über das Tierwohl, muss verändert werden.“ Nach Ansicht Frederkings braucht es „eine grundlegende Neuausrichtung in der Nutztierhaltung“.
Es geht um mehr als Werkverträge in der Fleischproduktion
Das Ausufern des Systems der industriellen Schlachtung dürfe keine Zukunft in Deutschland haben, erklärte Petra Grimm-Benne (SPD), Ministerin für Arbeit, Soziales und Integration. Es gehe um mehr als das Verbieten von Werkverträgen in der Fleischindustrie. Es gehe auch um die Sozialstandards, die Wohnbedingungen von Beschäftigten, den Gesundheitsschutz und die persönliche Würde. Aber auch um den Tierschutz und den Wert der Ware Fleisch. „Es geht in dieser Aktuellen Debatte letztlich um unsere Haltung gegenüber der Fleischindustrie, einem zweifellos wichtigen Wirtschaftszweig in Sachsen-Anhalt“ sagte die Ministerin.
Laut Grimm-Benne könnten dem Wirtschaftszweig „Schlachten und Fleischverarbeitung“ im Land knapp 500 Betriebsstätten mit insgesamt fast 8.500 Beschäftigten zugeordnet werden. Dazu gehörten neben den großen Schlachthöfen und fleischverarbeitenden Betrieben auch kleinere Fleischereien sowie Wurstwarenhersteller. Sieben Unternehmer der Branche griffen auf Werkvertragsfirmen mit zusammen etwa 1.900 Beschäftigten zurück.
Fleischproduktion: Veränderung beginnt in den Köpfen
Es sei wohl parteiübergreifend Konsens, dass die Aufzucht der Tiere sowie deren Transport und Schlachtung vernünftig gestaltet werden müssen, betonte Oliver Kirchner (AfD). Veränderungen könnten nur gelingen, wenn sich in den Köpfen der Menschen etwas verändere, wenn das Fleisch aufgewertet werde und man sich gesünder und vielleicht auch bewusster ernähre. Darüber hinaus sollte dafür gesorgt werden, „dass Menschen, die für uns arbeiten, in diesem schwierigen Segment auch vernünftig entlohnt werden“. Den Rest regle der Markt dann alleine, so der AfD-Abgeordnete.
Jeder trägt ein Stück Verantwortung
„Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie stehen schon länger in der Kritik“, rekapitulierte Tobias Krull (CDU). Es sei offensichtlich, dass die bisherigen Regelungen in diesem Bereich zu kurz greifen. Jedoch trage jeder seinen Anteil an der Verantwortung – bis hinunter zum Verbraucher, der sich beim Kauf von Fleisch am Preis orientiere. Zur Struktur der Branche in Sachsen-Anhalt sagte Krull, das Land verfüge über unterschiedliche Standorte in der Schlachtung und Verarbeitung, so in Haldensleben, Möckern, Reuden, Zerbst, Halberstadt, Könnern, Osterfeld und Weißenfels.
Die Vergangenheit habe gezeigt, dass es mit Selbstverpflichtungen allein nicht getan sei. Die CDU-Fraktion unterstütze daher die Initiative zur Abschaffung von Werkverträgen in den Kernbereichen der Fleischindustrie, also in der Schlachtung und Zerlegung. Jeder Beschäftigte in Deutschland habe das Recht auf faire Arbeitsbedingungen und die Einhaltung arbeitsschutzrechtlicher Vorschriften.
Versorgungskette in Fokus nehmen
„Die Versorgungskette vom Stall bis auf den Teller muss in Zukunft verstärkt in den Fokus genommen werden“, führte Dietmar Krause (CDU) fort. Dem Wert des Tieres müsse durch mehr Tierwohl und Stallumbauten Rechnung getragen werden. Dieser Mehraufwand sei nicht kostenlos. Aufgabe der Politik müsse es daher sein, dem Verbraucher bewusst zu machen, dass ein erhöhter Preis für das Nahrungsmittel Fleisch Ausdruck von Tierwohl, Nachhaltigkeit, fairen Wertschöpfungsketten, angemessenen Sozialstandards und Wertschätzung des Lebensmittels Fleisch ist.
Krause verwies auf den Konzentrationsprozess bei den Handelsketten, die in einem ruinösen Preiskampf untereinander stünden. Konzentrationen gebe es aber auch auf der Verarbeiterstufe. Über die geballte Einkaufsmacht werde Preisdruck auf die Erzeuger ausgeübt. Bei Letzteren kämen nicht einmal die Kosten deckende Erlöse an. „Daher ist eine Neujustierung der Tierhaltung in Deutschland erforderlich“, so Krause.
Kein Konkurrenzdruck aus Ausland
Erst die große Zahl von Corona-Fällen habe die längst bekannten Mängel in den Schlachtbetrieben zurück ins öffentliche Bewusstsein und die politische Debatte geholt, konstatierte Kerstin Eisenreich (Die Linke). Die von Gewerkschaften als „sklavenähnliche Beschäftigungsverhältnisse“ kritisierten Zustände seien so in den Fokus gerückt. Die Unternehmen nutzten die Hilflosigkeit ausländischer Beschäftigter massiv aus. Diese erhielten nur den Mindestlohn mit weiteren Abzügen, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und falsch berechneten Urlaub. Das Projekt „Beratung migrantischer Arbeitskräfte“ müsse deshalb „ohne Wenn und Aber“ fortgesetzt werden, denn es setze sich für den Schutz ausländischer Beschäftigter vor Ausbeutung ein.
Nach Ansicht Eisenreichs sei ausländischer Konkurrenzdruck eben nicht die Ursache für die unhaltbaren Zustände in der Branche. Im Gegenteil: „Das europäische Ausland leidet unter dem deutschen System, weil nirgendwo so billig geschlachtet wird wie hier.“ Die Unternehmen würden das nicht freiwillig ändern, der Markt werde es nicht allein regeln. Die Linke fordere die Landesregierung auf, die geltenden Schutzregelungen stärker zu kontrollieren und die Mitbestimmung der Beschäftigten in den Unternehmen zu stärken. Eisenreich sprach sich für ein „Lieferkettengesetz“ aus – wer gegen Regeln verstoße, werde zur Verantwortung gezogen.
FleischproduktioN: Flächendeckende Branchentarifverträge nötig
In der Fleischindustrie werde harte Arbeit unter oftmals schlechten Bedingungen geleistet, erklärte Andreas Steppuhn (SPD). Die Ausbeutung von Menschen hauptsächlich aus Osteuropa sei in dieser Branche vielfach an der Tagesordnung gewesen. „Werkverträge in diesem Bereich gehören abgeschafft“, forderte Steppuhn, denn diese hätten die prekären Arbeitsbedingungen erst ermöglicht. Allein im Tönnies-Standort Weißenfels gebe es ein Geflecht von Werkverträgen, die die Arbeitssituation von 1.700 Beschäftigten bei elf Werkvertragsfirmen verschleierten. Dies betreffe auch die Wohnsituation der Beschäftigten, deren Unterkünfte „unter- und unteruntervermietet“ würden. Steppuhn sprach sich für flächendeckende Branchentarifverträge in der Fleischindustrie aus, Mindestlöhne allein würden bei diesen schweren Tätigkeiten nicht reichen. Die migrantischen Beschäftigten leisteten eine Arbeit, die deutsche Beschäftigte offensichtlich nicht mehr gern machten, deswegen sei es umso wichtiger, dafür Sorge zu tragen, dass diese Menschen hier fair und gerecht behandelt würden.
Die aktuelle Landtagsdebatte zur Fleischindustrie können Sie hier nachhören.