Kritik am Agrarstrukturgesetz reißt nicht ab
Die Annahmen zur Agrarstruktur in Sachsen-Anhalt halten einem Faktencheck nicht stand, sagt der Hallenser Ökonom Alfons Balmann. Und eine Berliner Juristin findet schwerwiegende Mängel im Gesetzentwurf.
Vielleicht kommt es so manchem in der Magdeburger Regierungskoalition sogar gelegen, dass Corona den parlamentarischen Durchlauf für das umstrittene Agrarstrukturgesetz erst einmal stoppt. Nachdem die für Mittwoch voriger Woche angesetzte Verbändeanhörung im Agrarausschuss des Landtags ausfallen musste, gerät der ohnehin sehr ehrgeizige Zeitplan ins Wanken. Ob das Gesetz damit noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden kann, scheint nunmehr fraglich.
Darüber dürften zunächst einmal alle jene erleichtert sein, die das Gesetz ablehnen, darunter der Landesbauernverband. Die Eile, mit der der Entwurf den parlamentarischen Prozess durchlaufen sollte, sorgte zunehmend auch bei Befürwortern für Unbehagen. Zumal es Kritik zuletzt nicht nur wegen der politischen Ziele, sondern auch wegen der offenkundigen handwerklichen Schwächen im vorgesehenen Rechtstext gab. So, wie er jetzt vorliege, sei er juristisch gar nicht anwendbar, moniert eine Rechtswissenschaftlerin (Kasten).
Berliner Rechtsprofessorin: Gesetzentwurf voller handwerklicher Mängel
Berlin. Nicht nur auf politischer Ebene stößt der Entwurf für das Agrarstrukturgesetz Sachsen-Anhalts auf Kritik. Er weist auch gravierende rechtliche Defizite auf, bemängelt die Rechtswissenschaftlerin Antje Tölle in einer Stellungnahme zum Gesetzentwurf aus Magdeburg. Unter anderem verweist die Professorin an der Hochschule für Recht und Wirtschaft (HWR) Berlin auf „handwerkliche Mängel und fehlende Konsistenz bei der Begriffsverwendung“.
Der Gesetzestext sei in der vorliegenden Fassung „schwer zu bewältigen“, heißt es in der Stellungnahme. Er lähme den Verwaltungsvollzug. Ohne eine grundlegende Überarbeitung und Systematisierung bestehe die Gefahr, dass das Agrarstrukturgesetz ins Leere laufe, warnt Tölle. Die Juristin moniert eine fehlende Klarheit bei der Verwendung von Begrifflichkeiten im Gesetzestext. Dies gelte beispielsweise für die angeführten „erheblichen“ Nachteile für die Agrarstruktur durch eine ungesunde Verteilung von Grund und Boden. Ungenau sei auch die Verwendung des Begriffs des Landwirts, dem bei den Versagungsgründen für einen Flächenkauf eine herausragende Bedeutung zukomme. Auch die Trennung zwischen agrarstrukturellen und bodenmarktpolitischen Zielen bleibe unklar.
Unzulänglich geklärt ist aus ihrer Sicht, was unter „zunehmender Flächenkonzentration“ und einer „marktbeherrschenden Stellung“ auf regionalen Boden- und Pachtmärkten zu verstehen ist. Hier bedürfe es einer weitergehenden vertieften juristischen Aufarbeitung, ob sich das Gesetz am Kartellrecht orientiert, das aus ihrer Sicht jedoch nicht ohne Weiteres auf den Bodenmarkt übertragbar ist. Nachbesserungsbedarf sieht Tölle auch bei der angestrebten Regulierung des Anteilserwerbs. Mit den vorliegenden Formulierungen delegiere der Gesetzgeber die Entscheidungen darüber im Einzelfall und damit den Umgang mit außerlandwirtschaftlichen Investoren an die Verwaltung, schreibt sie.
Für unzureichend hält die frühere Mitarbeiterin im Bundeslandwirtschaftsministerium schließlich, wie das agrarstrukturelle Leitbild des Landes einbezogen wird. Im eigentlichen Gesetzestext gebe es dazu keine Verbindungen. Zudem bemängelt die Berliner Professorin, dass sich Vorstellungen des Landes und des Bundes zum Leitbild immer wieder vermischen würden. Für Tölle stelle sich die Frage, warum Sachsen-Anhalt ein eigenes Gesetz verfasse, wenn man dessen Auslegung der Bundesregierung überlassen wolle. Nicht zuletzt weist sie im aktuellen Text für den Gesetzentwurf gleich mehrere redaktionelle Versehen nach. So wird mehrfach auf Absätze verwiesen, die gar keinen Bezug zum Thema aufweisen. red
Agrarstrukturgesetz Mangelhaft Ausgestaltet
Selbst Interessengruppen, die vehement ein Agrarstrukturgesetz fordern, kommen nicht umhin, Mängel in der Ausgestaltung von aus ihrer Sicht ganz entscheidenden Passagen zu kritisieren. Sie befürchten, das Gesetz sei in dieser Form wirkungslos.
Aber auch im Hinblick auf die grundsätzlich mit diesem Gesetzesvorhaben verbundenen Absichten reißt die Kritik nicht ab. In ungewöhnlich scharfer Form hat sich jetzt der Direktor des Leibniz-Instituts für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO), Prof. Alfons Balmann, zu dem im November 2020 vorgelegten Entwurf geäußert. Balmann gehört zur Forschungsgruppe „FORLand“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). In ihr arbeiten Wissenschaftler der beiden Berliner Universitäten sowie der Unis in Göttingen, Bonn und Wien. Gegenstand der Forschungsgruppe sind die Funktionsweise und Effizienz sowohl der landwirtschaftlichen Bodenmärkte als auch der Bodenmarktregulierung. Sie versucht also herauszufinden, wie sich Kauf- und Pachtpreise landwirtschaftlicher Flächen entwickeln, wie die Folgen steigender Preisen auf Gesellschaft und Umwelt zu bewerten sind und welche Wirkungen staatliche Eingriffe in den Bodenmarkt haben.
Genau dazu soll ja das Magdeburger Agrarstrukturgesetz dienen: Es will den landwirtschaftlichen Bodenmarkt und den Erwerb von Anteilen an landwirtschaftlichen Unternehmen stärker regulieren. Viele Landwirte begrüßen diese Absichten. Ob aber das Gesetz den Erwartungen gerecht werden kann, bezweifelt Balmann. Denn nach seiner Einschätzung geht es von falschen Voraussetzungen aus. Sowohl die für die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes angeführten Argumente als auch das dazu aufgestellte Leitbild würden sich „in vielfacher Weise widersprechen und einem Faktencheck nicht standhalten“, schreibt Balmann im aktuellen Politik-Newsletter der Forschungsgruppe. Wesentliche Merkmale wie auch die Genese der Agrarstruktur Sachsen-Anhalts würden „ignoriert, unrichtig dargestellt und diskreditiert“, meint der Hallenser Wissenschaftler und nennt als Beispiele:
- das Unternehmertum,
- genossenschaftliche Prinzipien, Zuwanderung von Landwirtsfamilien aus Westdeutschland und den Niederlanden,
- die dominierende Lohnarbeitsverfassung,
- Größenvorteile sowie die damit verbundene Wettbewerbsfähigkeit sowie
- Beiträge zu Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum.
„Stattdessen werden bäuerliche bzw. kleinere und mittlere Haupt- und Nebenerwerbsbetriebe zum Leitbild auserkoren, obwohl diese aufgrund geringer Produktivität und Wettbewerbsfähigkeit auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nur ein Nischendasein führen und wenig zu Wertschöpfung und Beschäftigung beitragen“, kritisiert Balmann. Diese Bewertung will er ausdrücklich nicht als Kritik an kleineren und mittleren Neben- und Haupterwerbsbetrieben verstanden wissen. „Diese Betriebe haben unbestritten einen gesellschaftlichen Wert“, sagt er, äußert aber Zweifel daran, dass dieses Modell die Herausforderungen der Zukunft ausreichend bewältigen könne.
Balmann wirft der Magdeburger Regierungskoalition vor, „die tatsächlichen agrarstrukturellen Stärken und Herausforderungen der Landwirtschaft in Sachsen-Anhalt“ ebenso zu verkennen wie „die Bedeutung der Mechanismen und Funktionen des Bodenmarktes.“
Falsche Annahmen, fehlende Definitionen
Der Wissenschaftler vermisst zunächst, dass nirgends überhaupt definiert ist, was mit „kleinen“, „mittleren“ und „bäuerlichen“ Betrieben oder auch mit „marktbeherrschender Stellung“ gemeint ist. Zudem stellt er fest, dass sich die Argumentation für das Gesetz auf unrichtige Angaben zur Rolle der einzelnen Rechtsformen und Betriebsgrößen stützt. So werde behauptet, dass im Jahr 2018 der Anteil der Einzelunternehmen an der Landnutzung 57 % betragen hätte. Laut Agrarstrukturerhebung 2016 betrug der Anteil der darunter zusammengefassten etwa 2.800 Betriebe lediglich 29 % (Haupt- und Nebenerwerb).
Ebenfalls unrichtig sei, dass in Sachsen-Anhalt ca. 25 % der landwirtschaftlichen Flächen durch Betriebe mit einer Größe von mehr als 500 ha bewirtschaftet würden. Laut Agrarstrukturerhebung 2016 bewirtschaften Betriebe dieser Größe 65,4 %, also fast zwei Drittel der landwirtschaftlichen Fläche. In dieser Gruppe dominierten die juristischen Personen, jedoch fänden sich in der Gruppe auch eine Reihe Haupterwerbsbetriebe sowie viele Personengesellschaften.
Faktor Beschäftigung wird unterschätzt
Aus Sicht Balmanns fehlen wichtige Informationen darüber, welchen Beitrag die einzelnen Rechtsformen und Betriebsgrößen zu Beschäftigung und Wertschöpfung leisten. Der Agrarökonom legt Zahlen vor, nach denen juristische Personen entgegen landläufigen Meinungen überproportional zur Beschäftigung beitragen: Nach seinen Auswertungen bewirtschaften sie 43,5 % der Fläche, setzen aber 50 % der Arbeitskrafteinheiten (AKE) ein. Mit durchschnittlich 1,6 AKE/100 ha beschäftigen sie deutlich mehr Mitarbeiter als Haupterwerbsbetriebe (1,1) und Personengesellschaften (1,3).
Balmann stützt sich dabei auf amtliche Zahlen aus der Agrarstatistik. Für ihn ist deshalb nicht nachvollziehbar, „warum in der Begründung des Gesetzentwurfs behauptet wird, dass mit wachsenden Betrieben, mit der Bildung von Holdingstrukturen und dem Einstieg orts- bzw. regionsfremder Investoren die Distanz zwischen den Flächennutzern und der örtlichen Bevölkerung zunehmen und die Zahl der Beschäftigten überproportional sinken würde. Diese Argumentation ignoriere ebenso wie die gesamte Begründung des Gesetzentwurfs die enorme Rolle der abhängig Beschäftigten, die 85 % der Arbeitsleistung in der Landwirtschaft erbringen. Diese seien zu 95 % fest angestellt, weswegen davon ausgegangen werden könne, dass sie ganz überwiegend in den Dörfern leben.
Agrarstrukturgesetz blendet eigentliche Probleme aus
Der IAMO-Chef wirft den Autoren des Entwurfes für das Agrarstrukturgesetz vor, Problembeschreibung und Zielformulierung keinem „Realitäts-Check“ unterworfen zu haben. „Solange nicht realisiert wird, dass Sachsen-Anhalt eine im Bundesvergleich sehr rentable, auf Unternehmertum und genossenschaftlichen Prinzipien sowie Lohnarbeitskräften basierende Landwirtschaft hat, die kaum mit der westdeutschen, auf Einzelunternehmen basierenden Landwirtschaft vergleichbar ist, scheint kaum möglich, dass ein Bodenmarktinstrumentarium entwickelt wird, das für die tatsächlichen agrarstrukturellen Herausforderungen Perspektiven schafft“, so sein Fazit. Zu den agrarstrukturellen Herausforderungen im Land gehören für ihn eher
- der Generationswechsel in juristischen Personen,
- der zunehmende Arbeitskräftemangel,
- die Insolvenzrisiken durch geringe Margen bei hoher Ertrags- und Preisunsicherheit,
- der geringe Viehbesatz bei zugleich erheblichen Unsicherheiten der künftigen Rahmenbedingungen der Tierproduktion und auch
- der Umgang mit Marktmacht auf dem Bodenmarkt.
Investoren mehr Chance als Risiko
Diese Herausforderungen ließen sich kaum mit ideologischen Leitbildern und daraus abgeleiteten Regulierungsvorstellungen bewältigen, schreibt Balmann. „Anstatt etwa Bußgelder für Anteilskäufe zu erwägen, wäre zu überlegen, wie man einerseits die Interessen der Generation wahrt, die die sachsen-anhaltische Landwirtschaft in den vergangenen 30 Jahren entwickelt und dabei oftmals auf angemessene Löhne, Entnahmen und Dividenden verzichtet hat, und andererseits künftigen Generationen eine Perspektive bietet und sie für das Erreichte und dessen Weiterentwicklung gewinnen kann.“ Dazu sei im kapital- und technologieintensiven Sektor Landwirtschaft wie auch in den vergangenen Jahrzehnten der Einstieg von finanzkräftigen regions- und/oder landwirtschaftsfremden Akteuren „mehr Chance als Risiko“.
Seine Schlussfolgerung: Die vorgesehenen Regelungen im Entwurf für dieses Agrarstrukturgesetz „widersprechen ihrer vorgeblichen Zielsetzung und gefährden den künftigen Beitrag der Landwirtschaft zu Wertschöpfung und Beschäftigung im ländlichen Raum“.