Mindestlohn: Segen und Fluch

Symbolbild (c) IMAGO / Felix Abraham

Die Auswirkungen steigender Personalkosten sind vor allem für arbeitsintensive Betriebe enorm.

Von Barbara Ilse

Zwölf Euro brutto soll der gesetzliche Mindestlohn ab 1. Oktober 2022 betragen, so plant es das Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Was für Arbeitnehmer eine tolle Sache ist, bringt viele Arbeitgeber hingegen in Schwierigkeiten. Wie sich die Mindestlohnerhöhung speziell auf die Agrarbranche auswirken wird, war unlängst Thema eines vom Bauernverband Börde initiierten Gesprächs mit Betriebsleitern aus der Region und dem Vorsitzenden des Land- und Forstwirtschaftlichen Arbeitgeberverbandes (AGV) Sachsen-Anhalt, Albrecht Freiherr von Bodenhausen.

Nebenkosten beachten

Seit Jahresbeginn beträgt der Mindestlohn 9,82 Euro. Am 1. Juli 2022 steigt er auf 10,45 Euro, ab Oktober dann auf 12 Euro. Das wäre eine Erhöhung um 15 %. Mit Lohnnebenkosten erhöht sich der Stundenlohn damit auf 15,35 Euro, rechnete von Bodenhausen vor. „Als 2015 der Mindestlohn eingeführt und auf 8,50 Euro festgelegt wurde, wanderte der handarbeitsintensive Gurkenanbau ins Ausland ab. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft wird sich durch die massive Erhöhung weiter beschleunigen“, prophezeit der Verbandsvorsitzende. Eigentlich sei er dafür, dass Arbeitnehmer besser bezahlt werden, aber er schätze, dass es erhebliche Folgen für die Betriebe habe, wenn durch staatliche Lohnlenkung das gesamte Lohngefüge ins Wanken komme.

„Wenn der Stundenlohn für Facharbeiter nur knapp darüber liegt, werden diese den geringen Unterschied zu Ungelernten nicht hinnehmen und mehr Geld fordern.“ Außerdem sei für ihn die zeitliche Festlegung der Mindestlohnerhöhung eindeutig wahlgesteuert. Das dürfe nicht sein. Eigentlich sei deshalb die Mindestlohnkommission ins Leben gerufen worden, die so allerdings ad absurdum geführt werde. Nicht zuletzt sei das Nichtbeachten der verfassungsrechtlich garantierten Tarifautonomie von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unzulässig.


(c) Sabine Rübensaat

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Spargel- und Erdbeeranbauer betroffen

Im Agrarbereich sind vor allem Sonderkulturbetriebe wie Spargel- und Erdbeeranbauer betroffen, die Saisonkräfte beschäftigen. Aber auch in Tierhaltungsbetriebe arbeiten oft Fachfremde im Niedriglohnbereich.

„Bei uns sind das meist Ungelernte, die nach der Saison wieder in ihr Heimatland zurückkehren und im nächsten Jahr wiederkommen“, fasste es Klaus-Dieter Gummert, Inhaber der Firma „Erdbeer Gummert“ in Erxleben, zusammen. „Erdbeerpflücken, Sortieren und Abpacken sind handarbeitsintensive Tätigkeiten, für die man keine Ausbildung benötigt. Für uns bedeutet die Erhöhung des Mindestlohns in dieser Saison bereits eine Kostensteigerung von etwa 160.000 Euro. Wenn ich das auf das Kilo Erdbeeren umlege – der Preis würde dann bei zehn bis elf Euro liegen – wird sie keiner mehr kaufen.“ Dabei habe er schon in eine Maschinenhacke investiert, um die Lohnkosten zu senken. Auch Investitionen wegen Corona, z. B. in einen Quarantänecontainer oder Extraduschen, belasteten den Betrieb enorm.

EXTRAWISSEN
Mit der Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro schiebt sich Deutschland in der EU auf Rang zwei hinter Luxemburg (12,73 Euro), vor Irland (10,50 Euro) und Frankreich (10,48 Euro). Spanien hat mit 5,76 Euro einen nicht halb so hohen gesetzlichen Mindestlohn. In Polen beträgt dieser 4,61 Euro, in Rumänien 2,87 Euro und in Bulgarien nur 2,07 Euro.
Quelle: Statista, Stand: Januar 2022

Dienstleistungen teurer

Paul Neufeldt, Geschäftsführer des Lohnunternehmens Jeromin Agrar GmbH & Co. KG, Erxleben, sieht dieses Problem auch auf sich und seine Kunden zukommen: „Es ist wichtig, Leistung zu bezahlen. Aber die Ausbildung der Fachkraft gegenüber der ungelernten Kraft durch höheren Lohn anzuerkennen, wird für den Arbeitgeber mit dem höheren Mindestlohn schwieriger.“ Und obwohl Neufeldt seine ausgebildeten Fachkräfte ordentlich entlohnt, sieht er neues Ungemach: „Auch bei mir werden die Mitarbeiter dann höhere Löhne fordern. Das muss ich an die Landwirte weitergeben und die haben ohnehin schon mit ordentlich steigenden Betriebsmittelkosten zu kämpfen.“

Für Jörg Stottmeister, Geschäftsführer der Agrar Produktionsgesellschaft Bösdorf-Lockstedt, steht die Frage im Vordergrund, wie die Landwirte mit den höheren Kosten umgehen sollen, wenn Verbraucher zum größten Teil gern billig kauften. Die Politik arbeite gegen die kleineren Familienbauernhöfe, die sich keine Melkroboter leisten können. Nur vom Idealismus könne aber auch der Landwirt mit seinen unterbezahlten Familienmitgliedern nicht leben. Stottmeister fasste es so zusammen: „Das ist eine Spirale, die sich nur noch weiter hochdreht.“


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Ökohöfe ausgebremst

Albrecht von Bodenhausen befürchtet zudem, dass insbesondere arbeitsintensive Ökobetriebe mit dem erhöhten Mindestlohn ausgebremst werden. Gerade diese sollten doch aber, politisch gewollt, zukunftsfähig ausgebaut werden. „Es ist auch beschämend, wenn in Familienbetrieben die Familienarbeitskräfte für weit weniger als den Mindestlohn arbeiten. Dies wird ein ungewollter, sich verstärkender Effekt sein, den ansteigenden Mindestlohn abzumildern. Die Gesamtbelastung in der Landwirtschaft muss im Auge behalten und Betriebe dürfen finanziell nicht überbelastet werden.“

Für von Bodenhausen, der selbst einen Landwirtschaftsbetrieb in Brumby in der Hohen Börde leitet, ist die Belastung der deutschen Arbeitgeber durch die Erhöhung des Mindestlohnes auf 12 Euro – insgesamt 1,63 Mrd. Euro allein in diesem Jahr – ein weiterer Schritt zur Erhöhung der Inflationsrate. „Der Staat tut nichts dazu, aber die Sozialeinnahmen steigen um 700 Millionen Euro.“

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