Europa-Abgeordneter Jahr plädiert für weniger Bürokratie und mehr Ehrlichkeit in der Agrarpolitik
Als Mitglied im Europäischen Parlament hatte Dr. Peter Jahr (CDU) die Interessen der Landwirtschaft im Osten im Blick. Am Ende seiner Amtszeit wünscht er sich im Interview mehr denn je, dass Europa Bürokratie abbaut.
Das Interview führte Karsten Bär
Noch bis Mitte Juli ist er amtierender Abgeordneter: Wenn dann das neu gewählte Europäische Parlament erstmals zusammentrifft, ist für Peter Jahr (65) endgültig Schluss. Seit 2009 ist der promovierte Landwirt und CDU-Politiker aus Lunzenau (Sachsen) Europaparlamentarier. Auf eigenen Entschluss tritt er am 9. Juni nicht wieder zur Wahl an. Als stellvertretendes Mitglied des Agrarausschusses war Peter Jahr Berichterstatter des Parlaments für die Agrarreform und hat damit an einer entscheidenden Stelle am größten Projekt der europäischen Agrarpolitik mitgewirkt.
Europäisches Parlament: Mehrheiten müsen errungen werden
Herr Dr. Jahr, noch vor ein paar Jahren galt das Europaparlament als „zahnloser Tiger“. Welche Macht hat dieses Gremium?
Von der Geschäftsordnung her hat das Parlament auf jeden Fall starke Zähne. Es muss sie nur zeigen. Jedes Gesetzvorhaben braucht die Zustimmung des Europäischen Parlaments.
Dennoch hat man oft den Eindruck: Die wirklich wichtigen Entscheidungen werden am Ende doch in langen nächtlichen Sitzungen von den Regierungschefs, von Scholz, Macron und anderen, ausgehandelt.
Der Eindruck scheint auf den ersten Blick zu stimmen. Aber auch die Ideen des französischen Präsidenten brauchen eine Mehrheit im Europäischen Parlament. Und die muss erst einmal errungen werden. Wenn sich die Vorstellungen eines Regierungschefs mit – in meinem Fall – denen der Christdemokraten decken, warum soll man dagegen sein? Egal was die Regierungen vorhaben, sie brauchen die Zustimmung des Parlaments.
Agrarpolitik: Spannendere, aber langwierigere Verhandlungen
Diesen Bedeutungszuwachs hat das Europäische Parlament zu Beginn Ihrer Abgeordnetenzeit erlangt. Wie haben Sie das erlebt?
Das hat zwei Seiten. Während vorher die europäische Agrarpolitik im Wesentlichen mit dem Agrarausschuss ausgehandelt wurde, ist im neuen Verfahren die Zustimmung des Europäischen Parlamentes notwendig. Das macht die Verhandlungen spannender, aber auch langwieriger. Statt 44 sind 705 Abgeordnete beteiligt, das ist schon ein Unterschied. Aber es ist jetzt auch ein Gesetzgebungsverfahren, wie es in einer Demokratie normal ist. Die Europäische Union ist damit erwachsener geworden, auch wenn die Verfahren nun nicht einfacher sind.
Regierungskoalitionen wie auf nationaler Ebene gibt es im Europäischen Parlament nicht. Wie werden die Allianzen für Entscheidungen geschmiedet?
In der Agrarpolitik sollte die Fachpolitik überwiegen, insofern werden die Mehrheiten fachlich organisiert. Da geht es um den Inhalt. Wenn man über mehrere Jahre zusammenarbeitet, merkt man, wo die fachlichen Schnittmengen am größten sind. Aber das ist alles weit weg von einer Koalition. Und Mehrheiten zu finden, ist auf europäischer Ebene weitaus schwieriger als auf nationaler.
Wer waren im Europäischen Parlament die Verbündeten, wenn es um die Interessen der ostdeutschen Landwirtschaft ging?
In der Strukturdebatte beispielsweise waren die Verbündeten eher in unseren östlichen Nachbarländern zu finden. Dort gibt es ähnliche Strukturen wie bei uns und damit eher ein Verständnis. Also Polen oder ganz besonders Tschechien, mit denen wir eine intensive Debatte geführt haben. Es ging damals im Wesentlichen darum, einen Kompromiss zum Umgang mit Kappung und Degression zu finden.
Das Modell, die ersten Hektare stärker zu fördern, hat damals für eine Befriedung gesorgt, sowohl auf europäischer als auch bei uns auf deutscher Ebene. Ich bin mir sicher: Dieser Kompromiss wird auch die nächste Reform überdauern.
Brexit als Weckruf
Ein einschneidendes Ereignis für Europa war der Austritt des Vereinigten Königreichs. Was bedeutet der Brexit aus Ihrer Sicht?
Das war ein Weckruf. Die Existenz der EU ist kein Naturgesetz und wir müssen aufpassen, dass wir bei den Menschen eine Grundsympathie für Europa erhalten. Die größte Gefahr ist, dass Europa nur noch mit Bürokratie in Verbindung gebracht wird. Viele verstehen, dass die EU eine gute Sache ist, aber wir laufen Gefahr, die Herzen der Menschen zu verlieren.
Wie sollte die EU da gegensteuern?
Da kommen wir zu meinem Lieblingsthema: Bürokratieabbau. Der ehemalige Kommissionpräsident Juncker hat einmal den Anspruch formuliert, dass für jedes neue Gesetz ein altes abgeschafft werden sollte. Das wäre ein Ansatz, den die neue Kommission übernehmen könnte. Ich würde sogar weiter gehen: ein neues rein, zwei alte raus. Das kann man nur erreichen, wenn man die Zuständigkeiten neu ordnet – das Große nach Europa, das Kleine vor Ort lassen. Dazu fehlt aber leider noch die politische Bereitschaft. Das Zweite ist ein deutsches Problem: Setzt man europäische Vorgaben eins zu eins um oder nicht? Aus meiner Sicht setzt man in Deutschland dort, wo die EU Freiräume lässt, auf der falschen Seite an und schafft noch mehr Bürokratie.
Mehr Freiheit, weniger Bürokratie für Landwirte
Mit welchem Eindruck scheiden Sie aus dem Parlament?
Die letzte reguläre Sitzung dieser Legislatur war am 25. April. Dort haben wir einige Vereinfachungen in der Agrarpolitik beschlossen und eine, ich nenne es mal „Teilentrümpelung“ der Basisprämie erreicht. Ein schöner Teilerfolg, aber es gab auch Ernüchterung, denn in anderen Bereichen konnte sich die Kommission nicht zu Vereinfachungen entschließen.
Gehen Sie mit Wehmut?
Klar, Wehmut ist auch dabei. Aber man kann sich auch freuen auf das, was dann kommt. Als ich noch jung war, habe ich immer über die alten Männer in der Politik geschimpft. Ich habe jetzt das Alter, um an die nächste Generation zu übergeben. Es gibt auch den härteren Weg – wenn einen die Wähler nach Hause schicken. Ich kann das selbst entscheiden – das ist doch ein Gottesgeschenk!
Meine Hoffnung wäre es nur, dass die nächste Kommission, das nächste Parlament wirklich mal den Bürokratieabbau angeht. Und dass wir mehr Aufrichtigkeit in die agrarpolitische Debatte reinbekommen. Wir müssen uns eingestehen, dass wir nicht genug Geld haben, um die Landwirte angemessen für ihre Umweltleistungen zu honorieren. Deshalb müssen wir den Landwirten wieder mehr Freiheit zugestehen. Weniger Bürokratie, mehr unternehmerische Freiheit und mehr Ehrlichkeit in der Finanzdebatte, das würde ich mir wünschen.
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