Köhlerdorf Sosa: Rauchende Meiler
Köhler: ein fast ausgestorbener Beruf… Dieter Marggraf ist einer von ihnen. Lesen Sie hier, was es mit dem Begriff „Meiler“ auf sich hat und tauchen Sie ein, in die Welt der Köhler.
von Sabine Rübensaat
Als sich kurz der dichte Rauch verzieht, schält sich am Waldrand eine kräftige Gestalt heraus. Der Mann schlägt mit einer Schippe auf die kohlschwarze Außenhaut eines Meilers. Dann greift er einen Stock mit einer Holzwalze am Ende und drückt Scheite und Äste in die qualmende Pyramide zurück. „Traugott“ nenne man das Gerät, bedeutet Dieter Marggraf, ohne von seiner Arbeit zu lassen. Er weiß, passt er nicht auf, dringt schnell Sauerstoff in den Meiler. „Dann schießt plötzlich eine Flamme heraus, und das Holz verbrennt“, erläutert er.
Doch genau das will der Köhler natürlich nicht. Die Scheite, die er eine Woche zuvor zur Halbkugel aufgestapelt hatte, sollen ja nur schwelen, also bei knapp 400 Grad verkohlen, damit es Wasser, Gase und Teer aus dem Holz treibt. Darum schichtete er das trockene Holz auch so eng um drei Pfähle in der Mitte, dass nun kaum noch Luft herankommt. Seit er den Meiler entzündet hat, muss er jedoch rund um die Uhr darüber wachen, dass die äußere Abdeckung aus Erde, Kohlegrieß und Grasnarbe dicht bleibt. So kommt er während dieser Tage kaum zum Schlafen.
Öffnet er schließlich den fünf Meter breiten Meiler, bleiben 16 Raummeter beste Holzkohle übrig. „Sie besteht fast aus reinem Kohlenstoff, hat so einen sehr hohen Heizwert“, versichert er. So musste der 70-Jährige auch nie über Absatznöte klagen, seit er 1989 die Sosaer Köhlerei vom Staatsforstbetrieb Eibenstock übernahm. „Drei Viertel Buche, ein Viertel Nadelholz – das wollen die Leute so“, erzählt er. Fichte oder Tanne entfachten zügig die Holzkohle auf dem Grill, Buche halte die Glut lange.
Handeln täte not
Indes kohlte auch Marggraf, der einst als Gießereimeister in das Metier gewechselt war, zuletzt in Stahlretorten. Das ging nicht nur schneller und effektiver, er konnte so auch flüchtige Nebenprodukte beim Verschwelen – Holzgas, Holzgeist, Holzteer, Rohholzessig – weiternutzen. Und doch rechnete sich am Ende alles so wenig, dass sein Sohn die Köhlerei nicht weiterführen wollte: Während Waldholz latent teurer wird, drücken Discounter die Preise für Holzkohle ins Bodenlose.
So entfacht Dieter Marggraf nur noch ein paar Mal im Jahr einen Meiler, meist wenn der Köhlerverein Erzgebirge e.V. zu Festen lädt. Der hat seinen Sitz auf dem Köhlerhof Sosa und ist selbst international weithin bekannt. Denn auch der Europäische Köhlerverein, der momentan 1500 Fach- und Traditionsgruppen aus zehn Ländern bündelt, wird von Sosa aus koordiniert. Als geistiger Vater, langjähriger Chef und heutiger Ehrenpräsident dieser kontinentalen Vereinigung agierte seit deren Gründung 1997 bis Ende September vergangenen jahres Heinz Sprengel, ein pensionierter Schulleiter aus Schneeberg.
Seit Menschen vor 5.000 Jahren begannen, Holzkohle erst für Schmiedefeuer, dann für Bergbau und Hüttenwerke zu schwelen, geschah dies meist dort, wo reichlich Bäume wuchsen und der Boden Erze barg – in Mittelgebirgen. Allein in den dunklen Wäldern um den Auersberg, weiß Sprengel, „rauchten auf den Lichtungen 160 Meilerplätze, um die Zinn- und Silberhütten zu beliefern“. Um Sosa entstehe seit 700 Jahren Holzkohle.
Schlechte Bezahlung
Sprengel gilt nicht nur als wandelndes Lexikon zur Köhlereigeschichte, er arbeitet auch an einem Zentralarchiv hierzu. Denn Handeln täte not, beteuert der 72-jährige. Zum einen drohe das uralte Gewerbe, das nie als Beruf gelehrt wurde, in Europa auszusterben. Zum anderen finde sich auch „erschreckend wenig in Annalen und Chroniken“ über jene Waldwerker, die man früher gern als „schwarze Männer“ verschrie. Denn sie waren arm, galten als grob und ungebildet und wirkten tief im Tann, so dass sich manch Legende um ihr Tun rankte. „Oft handelte es sich um kleine Bauern, deren Boden zu wenig abwarf. So verdienten sie sich von März bis November, wenn die Landesherren die Köhlerei wegen der schwindenden Wälder noch erlaubten, etwas dazu“, so Sprengel. Eine Hütte habe pro Jahr immerhin 400 Wagenladungen Holz verschlungen.
Reich wurde davon keiner, aber zumindest durften die Köhler ab 1721 auch die Bergmannsuniform tragen, fand Sprengel heraus. Und doch überdauerten nur wenige ihrer Spuren: „War ein Meiler abgebrannt war, blieb halt nichts übrig…“ Auch deshalb kam den Traditionsköhlern unlängst die Idee, gemeinsam mit den Teerschwelern, denen es ähnlich geht, die Aufnahme in das Immaterielle Weltkulturerbe der Unesco zu beantragen. In diesem illustren Kreis, der vor allem Bräuche, Wissen und Fertigkeiten samt zugehöriger Instrumente, Werkzeuge und Kulturzeugen vereint, fühlen sie sich optimal aufgehoben.
Die Bewerbung läuft über die Landesregierung, die bis zum 30. November sechs Anträge sammelte. Jedoch weiß Sprengel, dass Dresden nur zwei Vorschläge an eine nationale Jury weiterreichen darf. So soll denn, falls es auf sächsischer Ebene nicht klappt, ihr Plan womöglich auf dem Umweg über eine länderübergreifende Bewerbung gelingen. Denn während die Köhler über Jahrhunderte keinerlei Lobby besaßen, stehen hinter ihrem Antrag nun Experten in halb Europa. „In der Schweiz und Österreich zählen Köhler und Teerschweler schon zum immateriellen Erbe“, weiß Sprengel.
Ehrgeizige Pläne mit Meilern & Co.
Womöglich bekommt damit auch Dieter Marggraf noch sein ehrgeiziges Vorhaben auf die Reihe, seine alte Arbeitsstätte in eine Museumsköhlerei umzuwandeln. Er denkt an einen Themenpark mit Meilermodellen, dampfenden Retorten, Kohlgräben, historischen Köhlerhütten, authentischem Werkzeug und Schautafeln zu Bergbau, Köhlerei und Holzwirtschaft. In Sosa, das sich schon lange als Köhlerdorf feiert, fände man das gut. Doch Eibenstock, wozu man heute gehört, ist de facto pleite. So hofft der Verein vorerst auf private Sponsoren für den benötigten Grundstock von 15.000 Euro.