Bewertung von Pflanzenschutzmitteln

Pflanzenschutz-Tagung in Sachsen: Ist der schlechte Ruf berechtigt?

Selbst Zielorganismen werden durch Pflanzenschutz nicht ausgerottet. (c) Sabine Rübensaat
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Einen unberechtigt schlechten Ruf in Politik und Gesellschaft haben Pflanzenschutzmittel auch durch Fehlleistungen der Wissenschaft, kritisierte Andreas von Tiedemann bei einer Tagung in Groitzsch.

Von Karsten Bär

Chemischer Pflanzenschutz ist für die globale Ernährungssicherheit von essenzieller Bedeutung. Dem steht eine politische und gesellschaftliche Bewertung gegenüber, die die Risiken drastisch überbetont und zu Entscheidungen führt, die letztlich die Ernährungssicherheit bedrohen. Diesen Schluss zog der Göttinger Agrarwissenschaftler Professor Dr. Andreas von Tiedemann in seinem Vortrag auf der diesjährigen Pflanzenschutztagung. Der Einladung des Sächsischen Landesamtes für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie (LfULG) in Groitzsch bei Nossen waren zahlreiche Landwirte gefolgt.

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Pflanzenschutz-Tagung in Sachsen: Experte Andreas von Tiedemann meint, der Druck bleibt hoch

Die geplante EU-Nachhaltigkeitsverordnung (SUR) ist vom Tisch. Darüber könne man erleichtert sein, so von Tiedemann. Jedoch werde dadurch der Druck auf den Pflanzenschutz nicht geringer. Für viele wichtige Agrarprodukte stellen Pflanzenschutzmittel einen beträchtlichen Teil des weltweiten Ertrages sicher.

Bei Weizen sind es beispielweise 19 %, bei Kartoffeln sogar 42 %. „Das sind Größenordnungen, die man nicht leichtfertig verspielen darf“, betonte der Wissenschaftler. In Anbetracht einer wachsenden Weltbevölkerung seien Produktionssteigerungen unabdingbar. Zugleich stiegen die Herausforderungen durch Schädlinge, die neu auftreten oder neue Wirtspflanzen befallen.

Risiken von Pflanzenschutzmitteln

Bei der Bewertung der Risiken von Pflanzenschutzmitteln sieht von Tiedemann sehr große Ungleichgewichte. Gefahren für den Menschen erkennt er nicht. Nur die allerwenigsten in Deutschland zugelassenen Wirkstoffe hätten eine Gifteinstufung. Tatsächliche Vergiftungen mit Pflanzenschutzmitteln kämen so gut wie nie vor. Wenn, dann im Zusammenhang mit der Anwendung und mit geringer Tragweite. Verbraucher seien sicher: Lebensmittel aus konventioneller Produktion stellten kein Risiko dar und auch das Trinkwasser habe eine hohe Qualität.

Nur auf den ersten Blick plausibel ist der Vorwurf, Pflanzenschutzmittel reduzierten die Biodiversität. Man dürfe nicht den Fehler machen, Biodiversitätsverlust mit Schwankungen der Dichte von Populationen gleichzusetzen. Dass hingegen beispielsweise Insektizide einzelne Arten völlig austilgen, hält von Tiedemann für unwahrscheinlich. Dafür gebe es kein einziges Beispiel.

Schließlich würden nicht einmal die Zielorganismen, auf die sich der Einsatz richte, gänzlich verschwinden. Dies sei auch nicht das Einsatzziel, sondern lediglich das zeitweilige Absenken unter eine Schadschwelle. Haupttreiber für den Artenrückgang seien Veränderungen der Landschaftsstruktur und Verlust der Vielfalt an Habitaten.

Andreas von Tiedemann: Fehleistungen der Wissenschaft

Dass es in Gesellschaft und Politik zu einer dramatischen Überschätzung der Risiken kommt, sieht von Tiedemann auch durch Fehleistungen der Wissenschaft begründet. So habe man mit der sogenannten Krefelder Studie Aussagen zum Insektenrückgang auf einer Datengrundlage getroffen, die dafür überhaupt nicht ausgelegt war. Die Proben seien uneinheitlich und an wechselnden Orten genommen worden. Die Erfassung der Artenvielfalt unterblieb. Handwerklich besser gemachte, aber weniger beachtete Studien hätten einen Insektenschwund hingegen nicht belegt.

Auch hinter einer Studie des Umweltbundesamtes zur Belastung von Kleingewässern mit Pflanzenschutzmitteln sieht von Tiedemann große Fragezeichen. Die gemessenen Werte von Wirkstoffen lägen teils bei Bruchteilen der Grenzwerte für Trinkwasser. Die biologischen Effekte seien nur modelliert.

„Falsche Impulse aus der Wissenschaft tragen zur Fehleinschätzung des Pflanzenschutzes bei“, beklagt der Pflanzenpathologe. Auf den Pflanzenschutz könne man jedoch nicht verzichten. Denn biologische Mittel und Stimulanzien seien, wenn überhaupt hinreichend wirksam, nur für sehr wenige Indikationen vorhanden. Gegenüber modernen Pflanzenzüchtungsmethoden bestünden ebenfalls Vorbehalte, und digitale Lösungen deckten nur Teilbereiche des Pflanzenschutzes ab.

Pflanzenschutz-Tagung: Weidelgras macht Ärger

In weiteren Vorträgen widmeten sich Ewa Meinlschmidt vom LfULG und Landwirt Georg Stiegler aus Callenberg der zunehmenden Bedeutung von durchwachsendem Weidelgras als Ungras. Während Ewa Meinlschmidt auf das zunehmende Auftreten von Weidelgras hinwies, das resistent gegen eine oder alle der drei zugelassenen Wirkstoffgruppen ist, gab Georg Stiegler Einblicke in den praktischen Umgang. Ein hohes Keimpotenzial des Weidelgrases und die Weiterverbreitung durch Lohnunternehmen, Wirtschaftsdünger und den Wind sorgten für hohen Befall, der teils bis zum Totalausfall führt.

  • Zwischenfrüchte könnten nur helfen, wenn sie schneller abschatten als das Weidelgras keimt.
  • Hafer verdrängt Gräser.
  • Wirkungsvoll ist die Bekämpfung resistenten Weidelgrases im Mais mit MaisTer power.
  • Die mechanische Bekämpfung mit der Hacke zeige unterschiedlichen Erfolg, wirke sich durch Mineralisierung gut auf die Kultur aus, steigere aber das Erosionsrisiko, weil die Mulchauflage durch das Hacken verschwinde.

Aktuelle Informationen zum Pflanzenschutzrecht gab Ralf Dittrich (LfULG) und wies insbesondere auf die Verlängerung der Glyphosat-Zulassung hin. Den neuen elektronischen Beratungsassistenten für das Informationssystem ISIP, der jetzt als App für das Smartphone verfügbar ist, stellte Dr. Michael Kraatz (LfULG) vor.

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