Senioren auf dem Bauernhof – ein Pflegedienst der anderen Art
Steffen Eck führt im südthüringischen Floh-Seligenthal ein Pflegedienstunternehmen mit rund 200 Mitarbeitern. Zudem ist er Nebenerwerbslandwirt und betreibt einen Archehof. Was wie völlig verschiedene berufliche Welten anmutet – verbindet er sehr erfolgreich miteinander.
Von Birgitt Schunk
Der Bürokram bleibt jetzt erst mal für eine halbe Stunde liegen. Matthias Vester ist in sein Nachtwächterkostümgeschlüpft. Draußen im Garten will er die Senioren der Tagespflege überraschen. Und schon ist auch er im Grünen, plaudert mit ihnen über längst vergangene Zeiten und gibt manch eine Episode zum Besten. Alles schön verständlich für die betagten Frauen und Männer. Sie kommen wochentags am Morgen hierher, werden betreut und am Nachmittag wieder nach Hause gebracht. „Corona hat sie verändert“, sagt Steffen Eck, der Leiter der Einrichtung aus dem südthüringischen Floh-Seligenthal.
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Ein halbes Jahr musste wegen der Pandemie zuletzt auch seine Tagespflege schließen. „Die Kontakte untereinander haben gefehlt, das hat seine Spuren hinterlassen. Manche der Senioren sind mehr in sich gekehrt als vorher, nicht mehr so aktiv und teilweise auch depressiv.“ Ein ganzes Stück Arbeit also, um ihnen wieder ein wenig Lebensfreude zu geben. Anfang Juni, als die Tagespflege starten durfte, hatte Eck zur Begrüßung für die Senioren sogar Alphornbläser bestellt. Das hat gut getan. Heute nun lauschen sie den Nachtwächter-Geschichten, die der Mitarbeiter seines Büros erzählt.
Erinnerungen wecken
Er kann das gut, denn er ist ehrenamtlich in Schmalkalden als Stadtführer auf Achse. Und während alle zuhören, ist mittendrin im Gras allerhand Federvieh unterwegs, das pickt, scharrt und gackert. „Wie früher bei uns zu Hause, wir hatten auch Hühner“, sagt eine Dame. Eck weiß, dass die Tiere Erinnerungen wecken und Balsam für die Seele sind. Das war auch der Grund, weshalb der Sozialtherapeut sich vor 20 Jahren Thüringer Wald Ziegen für einen Streichelzoo anschaffte. „Viele der älteren Menschen, die wir betreuen, hatten früher selbst Landwirtschaft, haben teilweise die Ziegen noch gemolken.“ Federvieh hatte er ohnehin schon, denn seit über 40 Jahren züchtet Eck Rassegeflügel. Und so reifte der Gedanke, das ländliche Leben noch mehr zu beleben und ein Stückchen davon in den Alltag im Pflegebereich einzubauen. „Wenn die Kinder die Oma besuchen, ist es wie auf einem Bauernhof.“ Esel, Rinder, Schafe, Pferde und Schweine kamen hinzu. Später liebäugelte er dann auch noch mit einem Wildgatter, machte sogar seinen Sachkunde-Schein. „Doch die Genehmigungen hätte ich nur als Landwirt bekommen“, sagt er. Und so meldete der Chef der Pflegedienst Eck GmbH 2013 seine Nebenerwerbslandwirtschaft an, um Flächen kaufen bzw. pachten zu können und natürlich seine Viehhaltung auszubauen.
Zwei Jahre später kaufte er der ortsansässigen Agrargenossenschaft einen alten Stall ab und ließ alles grundhaft sanieren. Inzwischen freuen sich die Senioren, die noch zu Fuß unterwegs sind, wenn sie die Sikahirsche füttern und die Esel streicheln können. Neben den Tagespflegeeinrichtungen betreibt das Unternehmen aus Floh-Seligenthal auch zwei Häuser für betreutes Wohnen sowie zwei ambulante Pflegedienste und eine Wohngemeinschaft. Alles in allem stehen so im Unternehmensverbund rund 200 Frauen und Männer in Lohn und Brot. Es sind Mitarbeiter, keine Angestellten – weil sie mitarbeiten und nicht einfach nur ihren Job machen“, sagt Eck.
Heimisches genießen
Mit dem Ausbau der Viehhaltung stand irgendwann auch die Frage der Vermarktung seiner Nutztiere an. Da lag es nahe, Fleisch von Schwein, Rind, Wild und Geflügel selbst zu nutzen für das Mittagessen der Senioren. Inzwischen werden nicht nur für sie warme Mahlzeiten gekocht, sondern auch für Leute im Dorf oder für Betriebe. Zwischen 200 bis 300 Portionen verlassen täglich die Küche, die ebenso zum Unternehmen gehört. Weil man hier aber an Grenzen stößt, ist eine neue Großküche geplant. Und Eck weiß auch schon wo. Im März hat er die gut gehende Fleischerei Frank in Struth-Helmershof übernommen. „Der dortige Altmeister wollte sich zurückziehen. Die jungen Leute waren zwar bereit, weiterzumachen, aber das wollten sie gerne mit einem Partner an der Seite tun, um alles gemeinsam stemmen zu können“, erzählt er.
Schließlich besitzt die Fleischerei, die in vierter Generation geführt wird, auch eine Schlachtung mit EU-Standard. Nur 300 Metersind es von der landwirtschaftlichen Stallanlage bis hierher – kürzer könnten die Transportwegewohl nicht sein. „Die Tiere sind unaufgeregt und haben keinen Stress“, sagt der Nebenerwerbslandwirt. In der Fleischerei wird geschlachtet, zerlegt und verarbeitet– die Küche gibt an, welche Teile sie wann von Rind, Schwein und auch Wild benötigt. „Die Fonds für Suppen und Soßen kommen nicht aus Tüten oder Dosen, das wird alles selbstgemacht.“ Auf diese Weise werden die Schlachttiere komplett verwertet. Zum Frühstück oder Abendbrot im betreuten Wohnen kommt ebenso Wurst aus der eigenen Metzgerei auf den Teller.
Eck hat eine Vision: „Die Metzgereisoll autark werden – Handwerk und Qualität wollen wir dabei hochhalten.“ Noch wird natürlich zugekauft, denn das Auf kommen aus dem Nebenerwerbsbetrieb deckt nicht alles ab, was für die warmen Mahlzeiten benötigt wird oder gar über die Fleisch und Wursttheke geht. Doch die regionale Tierhaltung kommt an, die Kunden sind bereit, für frisch gekochtes Essen mit heimischen Zutaten auch etwas mehr auf den Tisch zu legen. Beteiligt hat man sich sogar schon an einem Forschungsprogramm der Uni Leipzig zur gesunden Ernährung. Und weil es dorthin gute, persönliche Kontakte gibt, wurde in der Schlachtung sogar ein Lehrvideo gedreht.
Seine Schweinehaltung will Eck noch ausbauen. Die Tiere stehen auf Stroh und haben alle noch ihre Ringelschwänze. Probleme mit Schwanzbeißen kennt er nicht. Neben den Futterfertigmischungen mit Eiweiß, Mineralstoffen und gequetschter Gerste wird im Sommer Gras gefüttert, im Wintergibt es Rüben. Das Wasser wird separat angeboten. „Die Schweine wollen Abwechslung haben und beschäftigt sein.“ Ab und an darf es auch mal eine kleine Fichte zum Knabbern sein. Auf seine Sattelschweine hält er große Stücke – vor allem, weil sie bei hoher Fruchtbarkeit auch noch gute Mütter sind. „Sie bauen Nester für die Ferkel.“ Die Sterblichkeit ist sehr gering. Relativ hoch ist allerdings der Fettanteil, deswegen kreuzt Eck mit Duroc oder Pietrain-Schweinen, um den Anteil an Muskelmasse zu erhöhen. „Hier sind wir noch am Experimentieren“, sagt er. So wie früher auf den Höfen werden die Tiere länger gehalten. „Die alten Bauern sagten immer: Ein Schwein muss Geburtstag gehabt haben, damit die Wurst richtig gut wird.“ Und weil die Schweine dann naturgemäß auch voluminöser sind, soll für die Schlachtung eine größere Brühwanne angeschafft werden.
Tierische zweite Schicht
Wenn Steffen Eck sein Tagwerk als Geschäftsführer geschafft hat, geht es an die zweite Schicht. Dann sind seine Tiere dran. Jeden Abend zieht er mit seinem 12-jährigen Sohn los. Gemeinsam bauen sie Koppeln, fahren Wasser, schauen hier und da nach dem Rechten. Mitunter ist der 55-Jährige auch nachts draußen, wenn die Mutterkühe kalben. Mit Julia Beyer hat er eine tiermedizinische Fachangestellte als Mitarbeiterin, die sich tagsüber um das Vieh kümmert und nachmittags Kindern vom Dorf das Reiten beibringt. Sie studiert Landwirtschaft in Bernburg und wird bald ihren Bachelor in der Tasche haben. 50 Hektar Grünland bewirtschaftet der Nebenerwerbslandwirt – von der Hälfte werden Silage und Heu gemacht, die übrigen Flächen sind Weide. Die Galloway-Rinder sind ganzjährig draußen. Darüber hinaus hält der Betrieb Rätische Graurinder. „Ich bin ein Ästhet – die Tiere sind etwas für Auge“, sagt der Züchter. Fast weiß würden die Kälber geboren, nach einem Jahr seien die Kühe dann eisengrau und die Bullen schwarz. „Dieser Farbwechsel fasziniert.“
Er hat sich die Graurinder als Dreinutzungsrasse aber auch ausgeguckt, weil sie in einer ähnlichen Höhenlange auf den Almen der Alpen beheimatet sind. Mit 20er- und 30er-Böden sowie Weiden bis in 800 Metern Höhe oben am Rennsteig ist der Gehalt des Futters auch in dem Südthüringer Nebenerwerbsbetrieb nicht so üppig. „Die Rinder kommen aber gut damit zurecht“, sagt Eck. Sie seien leichtkalbig, brächten jedes Jahr Nachwuchs zur Welt und hätten viel Milch – auch ohne die Zugabe von Kraftfutter. Eines hat der Landwirt aber bislang noch nicht ergründet: Von 14 Nachkommen der letzten Jahre gab es nur ein weibliches Kälbchen. „Aus Brandenburg haben wir uns einen Jungbullen geholt und hoffen, dass der auch Mädels kann.“ 25 Mutterkühe hält der Betrieb insgesamt, hinzu kommen zwölf Pferde, 30 Mutterschafe, elf Ziegen, vier Sauen und ein Eber – und das alles samt Nachzucht.
Traditionen erhalten
Steffen Eck hat eine Vorliebe für das Traditionelle – und das will er erhalten. Aus seiner Sicht wird die Welt sonst immer uniformer und ärmer. Überall gebe es in den Supermärkten das Gleiche. Tiere, die nicht genug Fleisch, Eier oder Milch liefern, oder auch für die Arbeit nicht mehr gebraucht werden, verschwinden immer mehr. „Und, was einmal weg ist, ist weg.“ Für gefährdete Nutztierrassen macht er deshalb Lobbyarbeit. Nicht umsonst hält er Rätisches Grauvieh, Pinzgauer, Deutsche Sattelschweine, Thüringer Wald Ziegen, Rheinisch-Deutsche Kaltblutpferde, Vorwerkhühner, Kupferputen oder Dorperschafe. 2019 wurde der Landwirtschaftsbetrieb als Archehof anerkannt.
Regelmäßig kommen so auch Besuchergruppen und Schulklassen. Eck freut es, seine Begeisterung an andere weitergeben zu können. Da werden auch mal alte Handwerkstechniken vorgeführt. „Das darf alles nicht verschwinden,“ sagt er. Deshalb ist er mit Esel und Pferden auch gern in historischen Umzügen mit dabei. Als 2017 in Schmalkalden 500 Jahre Reformation gefeiert wurden, aber sich mit Gleichgesinnten auf Luthers Spuren. Zu Fuß, mit Wagen, Pferden und im historischen Gewand war der Tross auf alten Wegen des Reformators unterwegs. Eck kann sich auch noch gut an Zeiten erinnern, als im Dorf zum Tanz aufgespielt wurde. Der Saal, der ebenso wie eine Pension zur Metzgerei Frank gehört, soll wieder hergerichtet werden. So könnte in Zukunft etwas mehr los sein. „Wir müssen dafür sorgen, dass das urbane Leben auf den Dörfern nicht ausstirbt.“ Die Suche nach Verbündeten und neuen Ideen treibt ihn dabei immer wieder an.