Unternehmerin des Jahres 2024: Trüffel-Züchterin aus Thüringen gewinnt Ceres-Award
Update 30.10.: Anja Kolbe-Nelde ist Unternehmerin des Jahres 2024. Die Pilz-Züchterin beschäftigt sich vor allem mit Trüffeln, die in Thüringen Tradition haben und eine weltmeisterliche Zukunft bekommen sollen. Wir haben sie begleitet:
Das Gespräch führte Bärbel Arlt
Alles für den Pilz – ja, so könnte man kurz und knapp das Engagement der Unternehmerin Anja Kolbe-Nelde, geschäftsführende Gesellschafterin der Thüringer Freilandpilze GmbH, zusammenfassen. Doch dahinter steckt ein Mosaik aus vielen Bausteinen: Kindheit, Leidenschaft, Herzblut, Interesse, Motivation, unternehmerisches Engagement – und das ehrgeizige Ziel, Thüringen zum Trüffelanbauweltmeister zu machen.
Doch Trüffel in Thüringen? Da „rümpft“ so mancher wohl erst einmal kurz die Nase. Denn kommen die edlen Pilze nicht aus Frankreich und Italien auf die Spaghetti? Ja, leider, sagt Anja Kolbe-Nelde, die seit nunmehr rund sechs Jahren alle Anstrengungen auf den heimischen und vor allem ertragreichen Anbau von Trüffeln in Thüringen richtet. „Wir wollen Trüffelanbauweltmeister werden – und das im Ertrag auf der Fläche. Das heißt, wir legen nicht nur schlechthin Trüffelplantagen an, sondern produzieren Hochleistungsplantagen“, beschreibt sie ihr hochgestecktes Ziel. Und dafür ist die 46-Jährige in diesem Jahr für den Ceres-Award nominiert worden in der Kategorie „Unternehmerin des Jahres“. Die Bauernzeitung hat sie vor der Langen Nacht der Landwirte am 30. Oktober, in der der Preis in Berlin verliehen wird, auf ihrer Pilzfarm im kleinen Dorf Schönewerda im Kyffhäuserkreis besucht. Und wie so oft muss sie gleich diese Frage beantworten:
Von der Oma geerbt: Anja Kolbe-Neldes Leidenschaft für Pilze
Woher kommt Ihre unbändige Pilzleidenschaft?
Meine Oma war Försterin, und ihr Pilz-Gen hat sie wahrscheinlich vererbt. Und so hatte ich schon als Kind einen Sammeltrieb, war sehr oft im Wald unterwegs, auch mit den Eltern. Und das zu jeder Jahreszeit. Denn Pilze sprießen nicht nur im Herbst, sondern das ganze Jahr über.
Doch Ihre Pilzsucht hat Sie beruflich nicht in den Wald, sondern zunächst in ein Geldinstitut geführt.
Ja, ich habe Bankkauffrau gelernt, und die Sehnsucht nach den Pilzen kam nach den pubertären Jahren zurück. Und weil mich Pilzbücher in meinem Wissensdurst nicht mehr weiterbrachten, habe ich Kurse besucht, an Lehrwanderungen teilgenommen, bin geprüfte Pilzsachverständige und Trüffelanbauberaterin.
Bildergalerie: Zu Besuch bei der Trüffelfrau in Thüringen
Von der Bankkauffrau zur Trüffelpionierin
So wurde Ihr Hobby zur Berufung und letztlich zum Beruf.
Ich konnte nicht anders. Ich wollte nicht nur Pilze im Wald sammeln. So habe ich vor den Trüffeln 2014 mit Pilzen am Holz wie Shiitake und Austernseitlingen auf einer alten Pferdewiese bei uns im Dorf begonnen. Doch die Vermarktung war mitunter sehr schwierig. Ich bin auf Märkte gefahren, habe in Gaststätten Klinken geputzt. Und dauerhaft kontinuierliche Einnahmen konnte ich damit nicht erzielen, weil diese Pilze auch nur zweimal im Jahr geerntet werden. Dennoch nahm die Pilzproduktion viel Zeit in Anspruch. Hinzu kamen das Impfen der Holzstämme und der Umbau des alten Dorfkonsums in Schönewerda zu Büros, Eventraum und Hofladen. Nicht selten war ich bis spät in die Nacht im Betrieb. Es kamen so viele Faktoren zusammen, dass ich den Pilzanbau nebenberuflich nicht mehr stemmen konnte und mich entschloss, ein eigenes Unternehmen – die Thüringer Freiland GmbH – zu gründen, wofür ich in der Familie zunächst nicht gerade großen Beifall bekommen habe.
Dann kam auch noch der Trüffel in Ihr Leben. Wie wurde diese Leidenschaft geweckt?
Die wurde in einer mobilen Pilzschule geweckt, deren Leiter und Lehrer heute auch mein Kooperationspartner ist. Er erzählte von Trüffeln in Deutschland, von Vorkommen in Thüringen, von verloren gegangenem Wissen und „dass wir was machen müssen“.
Und Sie haben gemacht?
Na klar, mich hat regelrecht das Trüffelfieber gepackt, weil dieser Pilz so geheimnisvoll, spannend, interessant ist. Seinen Fruchtkörper, seine Sporen, sein Myzel kann man nicht sehen. Und er hat eine Geschichte in Thüringen. In historischen Büchern und Gartenzeitungen habe ich von Trüffelmanufakturen gelesen. 1892 gab es sogar eine Trüffelleberwurst. Auch Zeitzeugen haben Trüffelvorkommen, Trüffelsuche und Trüffelvermarktung bestätigt.
Trüffel-Suche mit Hund: Wissenschaft trifft Natur
Aber Trüffel in Thüringen – das will dennoch nicht so recht in den Kopf bzw. in den Mund …
Trüffel assoziieren viele von uns mit Frankreich und Italien, der Meinung war ich auch. Dabei wachsen diese Edelpilze direkt vor unserer Nase auf kalkhaltigen Böden am Wegesrand, in Ortschaften, in Parks, Wäldern. Bei diesen Trüffeln handelt es sich um Burgunder- und Sommertrüffel, also um Tuber aestivum/uncinatum. Meine ersten habe ich übrigens mit der Nase erschnüffelt und mit den Füßen erfühlt. Jetzt helfen mir bei der Trüffelsuche meine drei ausgebildeten Trüffelhunde Jette, Alba und Elli.
Mit denen suchen Sie Trüffel in Thüringen – und das unter einem wissenschaftlichen Aspekt?
Zunächst muss man wissen, dass Trüffel in Deutschland nur geerntet werden dürfen, wenn sie angebaut werden. Ein Entnehmen aus der Natur ist aus Naturschutzgründen verboten. Wir suchen in einem Forschungsprojekt nach natürlichen Trüffelstellen, kartieren sie und beobachten dort in den Folgejahren die Entwicklung der Fruchtkörper im Boden.
Ziel ist es, von der Natur immer mehr zu lernen, diesen Prozess in den kultivierten Anbau zu übertragen und sogar noch besser zu machen. Das heißt, wir wollen in einem Thüringer Modell auf der Fläche den höchstmöglichen Ertrag mit einer hohen Rendite erzielen und zugleich Biotope schaffen. Und das wohlgemerkt ohne Chemie, Dünger, mit wenig maschinellem Einsatz und Pflegeaufwand. Damit das gelingt, müssen wir das Trüffelwachstum entsprechend steuern. Denn im Gegensatz zur Natur kann im kultivierten Anbau in den Entwicklungszyklus eingegriffen und das Wachstum beeinflusst werden.
Dabei arbeiten wir eng mit der Friedrich-Schiller-Universität in Jena zusammen, mit der wir gemeinsam hochproduktive Fundstellen in der Natur und auf Versuchsanlagen mikrobiell untersuchen. Zum Trüffelanbau gehören mindestens 40 bis 50 Faktoren, die beeinflussen, wie sich der Pilz ausbildet und Jahr für Jahr weiterentwickelt, darunter Bodeneigenschaften, Sex- und Baumpartner.
An welchen Bäumen wachsen denn Trüffel in Thüringen?
Von 32 potenziellen Baumarten sind das vor allem Haselnuss, Rotbuche, Hainbuche, Linde und Stieleiche. In unserer Trüffelbaumschule produzieren wir im Jahr zwischen 60.000 und 100.000 solcher Baumpartner. Denn Trüffel sind sogenannte Mykorrhiza-Pilze, die über die Baumwurzeln eine Symbiose eingehen. Das Pilzgeflecht ist mit dem Baum verbunden und bildet jedes Jahr neue Fruchtkörper aus.
Trüffel-Anbau als nachhaltige Investition
Neben dem eigenen Trüffelanbau gewinnen, beraten und betreuen Sie Trüffelanbauer. Wer sind Ihre Kunden?
Vom Hobbygärtner über den Arzt, Handwerker, Landwirt, Winzer, Spargelanbauer bis hin zu Investoren in ganz Deutschland. Da geht es von der Trüffelhecke im Garten bis zu großen Plantagen, von denen es rund 120 in Thüringen gibt. Wir selbst haben drei Plantagen in Thüringen mit 1.000, 5.000 Quadratmeter und 1,5 Hektar sowie Kunden auch in anderen Bundesländern sowie über die Landesgrenzen hinaus, so auf Mallorca, in Österreich, Italien, Tschechien und Bulgarien.
Inwiefern ist der Trüffelanbau für Landwirte interessant?
Um im Bankjargon zu bleiben, bedeutet eine Trüffelplantage für den Landwirt eine Risikostreuung mit Kapitalanlage und laufenden Erträgen auf dem Feld, zumal durch den Anbau die Flächen ihren landwirtschaftlichen Charakter nicht verlieren. Denn Trüffelanbau ist keine Aufforstung, der Ackerstatus bleibt erhalten. Es geht beim Trüffelanbau nicht um Holz-, sondern um Pilzproduktion, eine Wertsteigerung der Fläche und Einnahmequelle über viele Jahre. Der Baum ist sozusagen Mittel zum Zweck.
Trüffelanbau: 20.000 bis 50.000 Euro Investitionen pro Hektar
Mit welchen Investitionen muss man rechnen, und wann kann überhaupt der erste Trüffel geerntet werden?
Das hängt von vielen Faktoren ab wie Boden, Witterung, Bewässerung. Aber fünf Jahre und mehr sollte man sich schon gedulden. Wir haben in unserer Trüffelplantage in Schönewerda vor wenigen Wochen im fünften Jahr planmäßig die ersten Trüffel geerntet.
15 Fruchtkörper waren allein an einem Haselnussbaum! Das war durchaus eine Sensation, denn mit herkömmlichen Methoden beginnt die Produktion nach dem siebten bis neunten Jahr. Und auf den Hektar muss man mit 20.000 bis 50.000 Euro an Investitionen rechnen. Der Ertrag einer Hochertragsplantage beträgt mehr als 100kg/ha ab dem zehnten Jahr.
Welche Rolle spielt Ihr Unternehmen in diesem Prozess?
Wir beraten und betreuen Interessenten und Kunden in allen Phasen des Trüffelanbaus. Das beginnt mit der Grundstücksbegehung und Bodenanalyse, geht über das Anlegen der Plantage mit einer steuernden Pflege und Beratung bis über den Erntebeginn hinaus. Wir organisieren Kurse und Seminare, bieten unseren Kunden Weiterbildung an, denn Wissensaustausch ist ungemein wichtig. Wir bilden auch Trüffelhunde und Erntehelfer aus und sind natürlich auch Pilzberatungsstelle.
Welche Pläne haben Sie für Ihr Unternehmen?
Wir arbeiten weiter unermüdlich an dem Ziel, Trüffelanbauweltmeister zu werden, legen weitere Plantagen an, darunter auch im Ausland. Wir wollen unseren Hofladen und das Onlineangebot weiter ausbauen. Unser neuer Markenname „Elanti“ steht bereits auf Prospekten und Visitenkarten. Im Gebäude der Neuen Apostolischen Kirche in Schönewerda, die wir gekauft haben, wollen wir eine Ferienwohnung anbieten, den Trüffeltourismus anschubsen und Schönwerda als Wiege des Thüringer Trüffelanbaus zum Trüffeldorf machen. Auch bei den Grünen Tagen Thüringen 2024 waren wir wieder mit dabei.
Die Bauernzeitung bedankt sich für das Gespräch und drückt die Daumen für den Ceres-Award.
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