Bauern-Protest in Thüringen: Schulterschluss mit Industrie und Handwerk
In Thüringen geht der Protest der Bauern weiter. Am Mittwoch (7.2.) gab es eine große Demo der Landwirte in Suhl. Außerdem machten Handwerker und Firmen-Vertreter ihrem Ärger Luft. Es ging nicht nur um den Agrardiesel.
Von Birgitt Schunk
Einige hundert Teilnehmer kamen – und harrten zwei Stunden bei Dauerregen und später Schnee am 7. Februar in Suhl aus. Ihr Anliegen, eine bessere Politik in Berlin einzufordern, war ihnen das wert. Bei der Protest-Aktion des Regionalbauernverbandes (RBV) Süd-Thüringen ging es um mehr als die von der Ampel-Regierung geplante Streichung der Agrardiesel-Unterstützung. Politikvertreter hatte man bewusst nicht eingeladen. „Zu viele Politiker sind derzeit am Werk, die ihr Handwerk nicht verstehen. Die reden oft lange und sagen nichts“, erklärte Johannes Schmidt (Agrargesellschaft Herpf mbH, Rippershausen), einer der drei RBV-Vorsitzenden, der die Kundgebung moderierte: „Und wenn sie mit Gegenwind konfrontiert werden, können sie damit nicht umgehen.“
Bauern-Protest in Thüringen:
Als Astrid Hatzel, Vorstandschefin der Agrargenossenschaft Schmalkalden-Schwallungen ihre Rede beendete, wurde eine Zugabe gefordert. Sie hatte dargelegt, wie der Berufsstand immer mehr „unter Gängelei“ leide und den Bauern durch „Kontrollwahn“ stetig Misstrauen entgegengebracht werde. Die Mitarbeiter ihres Betriebes mussten sich letztes Jahr ebenso mit der Thüringer Fan-App (Ökoregelungen/Kulap Monitoring) und dem Portia (Agrarportal Thüringen) rumschlagen. Die Programme funktionierten nicht richtig, brachten den Landwirten nur mehr Aufwand, so Hatzel. Nachweise mussten per Handy-Fotos erbracht werden.
Allein in der Agrargenossenschaft Schmalkalden-Schwallungen liefen so die Beschäftigten rund 2000 Hektar Fläche ab. Doch das Hochladen der Fotos funktionierte sehr oft nicht. Mal fehlte in der Flur die Internetverbindung – mal stieg der Satellit aus. „In der normalen Arbeitszeit war das nicht mehr zu schaffen“, so Hatzel. „Unsere Kollegin hat oftmals abends versucht, beim Fernsehschauen nebenbei die Datenbank zu füttern. Normal ist das alles nicht mehr!“ Und nun solle 2024 auch noch Neues mit einem Thüringer Flächenregister kommen – aufgesattelt, auf ein bestehendes System, das mit Fehlern behaftet sei. Sie frage sich, warum übereilt mit unausgereifter Technik Thüringen solche Schritte gehe, während in anderen Bundesländern noch „mit Liste und Abhaken“ gearbeitet werde.
Protest in Suhl: Offenbarungseid von Robert Habeck
Die Dieselbeihilfe, stellte Hatzel klar, sei kein Geld zum Spekulieren. „Wir müssen damit Lohn und Rechnungen bezahlen.“ Sie erinnerte daran, dass die Tierbestände hierzulande beständig sinken, auch Unternehmen anderer Branchen führen ihre Produktion runter oder wanderten ab. „Wir geben heute Geld aus, das wir bald nicht mehr erwirtschaften – das kann nicht gut gehen.“
Dass Wirtschaftsminister Robert Habeck dieser Tage in einer Talk-Show gesagt habe, man müsse die Quadratur des Kreises versuchen, stellt für Hatzel einen Offenbarungseid dar. Viel zu oft würde auf die Sorgen und Nöte der Bauern „mit Geschwätz“ von der Politik geantwortet. Hatzel machte ebenso deutlich, dass sich die Bauern nicht in eine extreme Ecke drängen ließen. „Die Zugewinne links und rechts resultieren nicht aus der Spaltung der Bevölkerung, sondern aus der schlechten Politik der Ampelregierung.“
Sehr emotional war die Rede von Gregor Weidner, einem der Geschäftsführer der Wegra Anlagenbau GmbH Westenfeld. Das Unternehmen ist eng verbunden mit der Landwirtschaft – begleitet die Bauern in Thüringen schon seit 70 Jahren. Ihm liegt deshalb bitter im Magen, dass Finanzminister Lindner Angst vor „schrecklichen Bildern“ hatte – wie der auf der Großdemo am 8. Januar in Berlin bekannte. Linder habe befürchtet, dass Alles könne mit den Bauern aus dem Ruder laufen. „Schämen Sie sich, so über uns gedacht zu haben“, schickte Weidner einen Gruß in die Bundeshauptstadt.
Er erinnerte daran, dass die Landwirte 365 Tage im Jahr arbeiteten, sich ständig neuen Herausforderungen stellten und viel über sich ergehen lassen müssten. Für ihn sind es „Helden“. Wenn Ställe oder landwirtschaftliche Gebäude errichtet würden, kämen in der Regel 20 bis 30 Träger öffentlicher Belange auf die Tagesordnung. „Ein bäuerlicher Freund sagte mal zu mir, dass diese Antragsflut aussehe, als gehe es um ein Kernkraftwerk.“
WEGRA: Alternative Energien in Blick
Die Wegra kennt sich aus mit alternativen Energien – mit Wärmepumpen, Blockheizkraftwerken, Pflanzenölmotoren, solarer Kühlung, Speichern und vielem mehr. „Damit befassen wir uns seit 1993“, so Weidner. Damals waren das für viele noch Fremdwörter. Das Unternehmen habe über 700 Blockheizkraftwerke gebaut – man habe „immer auf die Vorgaben der Regierung gehört und Millionen für die Entwicklung von alternativen Energieprodukten ausgegeben“. Doch nun sei alles ganz anders. „Wir haben null Aufträge in dieser Branche für die Zukunft: Seid ihr denn alle wahnsinnig?“
Weidner fordert, dass endlich die Wissenschaft wieder an den Tisch muss und keine Nichtregierungsorganisationen (NGO) das Sagen haben. „Keine Entscheidung unserer Zukunft ohne die Professoren unserer Universitäten, prägen Sie sich das gefälligst ein!“ Vor allem aber forderte Weidner, endlich mehr Bemühungen an den Tag zu legen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. „Wir Handwerker, Bauern und Gewerbetreibende wollen endlich Waffenruhe, schaut dem Volk aufs Maul – nein und nochmals nein: wir wollen nicht tüchtig werden im Krieg, Herr Pistorius!“ Alle Bemühungen müssten in die Richtung gehen, Russlands Präsidenten Putin zu Verhandlungen zu zwingen. Nicht zuletzt vermisst Weidner Friedenskonzerte. „Wo sind Lindenberg, Maffay, die Scorpions …?“
Kundgebung in Thüringen: Appell gegen den Krieg
Der Firmenchef stellte klar: „Wir sind nicht links oder rechts, braun oder grün – wir sind hellwache Humanisten und Demokraten!“ Weidner will weder seine Söhne noch die 240 Gesellen, die der Betrieb in drei Jahrzehnten ausgebildet hat, oder die 34 Meister jemals in einen Krieg ziehen sehen. In seinen Appell schloss er auch Kasachen, Moldawier und Russen ein, „die schon klasse bei uns gearbeitet haben“ – und neuerdings auch fünf Kosovaren. Weidner erntete viel Beifall.
Handwerksmeister Mike Kämmer aus Zella-Mehlis erklärte, dass Probleme wie eine überbordende Bürokratie nicht nur die Landwirte betreffen würden, sondern auch Handwerk und Gewerbe. Deshalb seien die Handwerker solidarisch mit den Bauern. Immer mehr Unternehmen hätten wegen ständig neuer Vorschriften immer weniger Zeit für ihre eigentliche Arbeit. „In der Industrie sieht es nicht anders aus“, erklärte Unternehmer Torsten Herrmann aus Steinbach-Hallenberg. „Auch bei uns brennt die Hütte.“ Viele Entscheidungen aus Berlin seien einfach realitätsfern.
Bauern-Protest: Erinnerung an Planwirtschaft der DDR
Handwerkskammer und IHK aus Südthüringen hatten vor zweieinhalb Wochen mit einer Anzeigenkampagne öffentlich von der Politik ein sachorientiertes, statt ideologiegetriebenes Agieren eingefordert. Als Industriebetrieb könne man nicht mit der Fräsmaschine nach Berlin zum Protest fahren. Die Bauern hätten es getan mit ihren Traktoren. „Gut so, sonst wäre in Berlin bis heute noch keiner aufgewacht“, sagte Herrmann. Er berichtete, dass immer mehr Unternehmen abwanderten – gerade im Chemiebereich.
Herrmann kritisierte viel zu viele Eingriffe in die Unternehmen: „Das erinnert mich an die Planwirtschaft DDR.“ Bauchschmerzen bereiteten das Lieferkettengesetz. Das verlange, die Herkunft jedes einzelnen Stoffes für die Beschichtung eines Werkteils nachzuweisen. Aber auch das Hinweisgeberschutzgesetz steht in der Kritik. Solch eine „Stelle für Denunziantentum“ erinnere den Unternehmer an frühere Zeiten.
Auch Suhls Oberbürgermeister André Knapp (CDU) überbrachte ein Grußwort. Wie schon die anderen Redner hatte er den Eindruck, dass hinter den Entscheidungen aus Berlin der Plan fehle. Er forderte, dass der ländliche Raum endlich stärker im Blickfeld steht.
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