Feldmäuse vernichten Saaten
In Thüringen müssen die Landwirte zusehen, wie Feldmäuse die neuen Saaten vernichten. Eine Notfallzulassung für den Einsatz von Rodentiziden erweist sich als völlig unnütz, so die Kritik.
Von Frank Hartmann (Text und Fotos)
Es war lange vor der Ernte abzusehen und auch prognostiziert worden, dass der extreme Feldmausbefall in Thüringen nach dem Drusch anhält. Seit Herbst 2019 ist die Population in den Ackerbauregionen stetig angewachsen. Und das nahezu flächendeckend. Sobald etwas grünt, wandern die Schadnager ein: vom abgeernteten Getreidefeld in die Kartoffeln oder Zuckerrüben, auf Futterflächen, selbst im Mais sind sie aktiv. Neue Rapsflächen sind bis zum Totalausfall betroffen. Da half es nicht, vor der Aussaat vier oder fünfmal zu grubbern. Oder wie in der Agrargesellschaft Pfiffelbach mbH tief zu pflügen und zu grubbern. „Auf einigen Schlägen zeigte die tiefe Bodenbearbeitung durchaus Wirkung“, sagt Geschäftsführer Dr. Lars Fliege. Aber in dem Moment, wo der Raps auflief, begannen die Feldmäuse wieder einzuwandern. In Pfiffelbach hat man versucht, mit tiefen Gräben am Schlagrand die Mäuse abzuhalten. Es blieb beim Versuch, weil der Aufwand nicht zu stemmen sei. Fliege sagt, „es ist erniedrigend, was man mit uns hier macht“.
Gutachten sind „Luftnummer“
Rodentizide dürfen von 1. März bis zum 31. Oktober nicht in Vorkommensgebieten des Feldhamsters (u.a. auch nicht in FFH-, und Vogelschutzgebieten; grundsätzlich nicht an Rastplätzen von Zugvögeln) eingesetzt werden. Dies ist ohnehin nur verdeckt und mit der Legeflinte von Loch zu Loch gestattet. In Thüringen gelten 70 % der Ackerflächen als Hamstergebiete. Diese sind nahezu flächendeckend pauschal ausgewiesen worden. Das Umweltministerium in Erfurt gestatte in Absprache mit dem Agrarressort im August das Ausbringen von Giftködern, wenn die Fläche zuvor von einem Gutachter als „hamsterfrei“ beurteilt wurde. Kaum mehr als zehn Gutachter für den ganzen Freistaat wurden benannt. Acht Hektar schafft ein Gutachter am Tag, was rund 400 € kosten würde, kritisierte der Thüringer Bauernverband (TBV). Er nannte das ganze Verfahren eine „Luftnummer“ und völlig realitätsfern. Agrarminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) konnte bei seiner Kollegin aus dem Umweltressort, Anja Siegesmund (Grüne), offensichtlich nicht mehr herausholen.
„Irrwitz“ Notfallzulassung
Am 10. September erteilte das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) eine „Notfallzulassung“ für Rodentizide. In mehreren Ländern, darunter auch im stark betroffenen Sachsen-Anhalt, hatten Verbände und Fachbehörden Notfallzulassungen beantragt. Die Restriktionen für die genannten Schutzgebiete wurden nicht aufgehoben. Lediglich der Einsatz von Köderlegemaschinen ist wieder gestattet. Von „Irrwitz“ sprach TBV-Präsident Dr. Klaus Wagner: „Statt mit der Aussaat die Grundlage für eine erfolgreiche Ernte und damit unser aller Lebensmittelversorgung zu legen, füttern wir derzeit die Feldmäuse. Diese fressen nämlich die ausgesäten Körner und die jungen Pflanzen. Das ist nicht nur aus sozialer Sicht völlig widersinnig, sondern auch ökonomisch für uns Landwirte desaströs.“
Vorbild Sachsen-Anhalt?
Siegesmunds Partei- und Ressortkollegin in Sachsen-Anhalt, Claudia Dalbert, teilte in dieser Woche mit, dass man ebenso die Flächen auf aktuelle Hamstervorkommen überprüfen will, um gegebenenfalls Rodentizide anwenden zu können. Ende August hatte das Pflanzenschutz-Dezernat der Landesanstalt für Landwirtschaft und Gartenbau erhöhten bis massiven Feldmausbefall auf fast 150.000 ha „Anbaufläche der Hauptkulturen im Ackerbau“ ausgemacht. Anders als in Thüringen, dürfen die Sachsen-Anhalter Landwirte selbst ihre Flächen auf Hamstervorkommen untersuchen. Der Thüringer Bauernverband forderte daher das Erfurter Umweltministerium auf, „den pragmatischen Weg, der in Sachsen-Anhalt beschritten wird, mitzugehen und nicht weiter alle Möglichkeiten zur Feldmausbekämpfung zu blockieren“, hieß es in einer Mitteilung am Freitag. Agrarminister Hoff reagierte auf Twitter und erklärte, seine Kabinettskollegin um Prüfung gebeten zu haben.
Feldmäuse längst in den Dörfern
Unabhängig davon, dürfte das für den Raps in den meisten Fällen zu spät sein. Im TLPVG Buttelstedt, das die ersten 100 ha bereits als Totalverlust abschreiben kann, sieht man schwarz für die Weizenaussaat. Pflanzenbauleiter Andreas Kröckel berichtet, dass ihn schon mehrfach Fragen von Dorfbewohnern erreichten, warum der Betrieb nichts gegen die Feldmäuse unternehme. Denn die sind nach der Ernte auch über die Gärten in den Dörfern hergefallen.