Thüringen gegen Flächenfraß: Neuer Fonds soll Entsiegelung vorantreiben
Thüringen startet 10-Millionen-Euro-Offensive gegen Flächenversiegelung: Wie das neue Projekt „Böden entsiegeln, Flächenverbrauch reduzieren“ den Weg für einen landesweiten Kompensationsflächenpool ebnen soll.
Mit einem 10 Millionen Euro schweren Fonds will Thüringen Flächen entsiegeln. Darauf und auf das Vorgehen einigte sich das Umweltministerium mit der Thüringer Landgesellschaft. Wie es hieß, soll das Projekt „Böden entsiegeln, Flächenverbrauch reduzieren“ Erkenntnisse liefern, die perspektivisch in einen landesweiten Kompensationsflächenpool münden könnten.
Weniger Flächenverbrauch bei A+E-Maßnahmen
Umweltminister Tilo Kummer erklärte, dass man „einen wesentlichen Beitrag in Richtung Netto-Null-Versiegelung“ anstrebe: „Natürlich brauchen wir Infrastrukturausbau, Wohnungsbau oder Gewerbeentwicklung – gleichzeitig entsiegeln wir teils schon lange ungenutzte Flächen und geben diese der Natur zurück oder erhalten landwirtschaftlich nutzbare Flächen. Und tragen mit Entsiegelung gleichzeitig dazu bei, weniger landwirtschaftliche Fläche für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen zu beanspruchen“, so der BSW-Politiker.
Der Geschäftsführerin der Thüringer Landgesellschaft, Kathrin Weiß, zufolge, lege das Pilotprojekt bei der proaktiven Entsiegelung den Fokus auf einen bestimmten Flächencharakter und eine definierte Zielgruppe (Kommunen, Landwirtschaft). Die begleitende Evaluation solle überdies zeigen, unter welchen Voraussetzungen die Idee eines revolvierenden Fonds verstetigt werden könne.
Entsiegelung als Angebot für Investoren
Die Landgesellschaft starte zunächst einen thüringenweiten Auswahlprozess für geeignete Flächen, deren Entsiegelung durch Fachfirmen erfolgt. Unternehmen, die Flächen etwa aufgrund einer Investition versiegeln, können sich an die Landgesellschaft wenden, die die bereits entsiegelten Flächen als Kompensation anbietet und das Geld der Vorleistung zurückerhält.
Reizvoll für die Investoren sei, dass sie nicht selbst für die Entsiegelungsmaßnahme aktiv werden müssten. Mit deren Zahlungen soll sich der Fonds immer wieder selbst auffüllen. Um die Maßnahmenkosten für die Entsiegelung gering zu halten, prüfe man einen Eigenanteil der Eigentümer.
In Thüringen den Flächenverbrauch nicht gestoppt
Die Thüringer Brombeer-Koalition aus CDU, BSW und SPD will eine Kompensationsverordnung auf den Weg bringen, die insbesondere den Verbrauch landwirtschaftlicher Flächen reduzieren soll. Die regierungstragenden Fraktionen der rot-rot-grünen Vorgängerregierung hatten trotz aller Ankündigungen, zuletzt im Frühsommer 2023, eine solche Verordnung nicht zustande gebracht.

Ein Brachflächen-Tool, dass die vorherige Regierung den Kommunen zur Verfügung gestellt hat, nutzen nicht mal 30 % der Gemeinden. Die Flächeninanspruchnahme geht derweil auch in Thüringen stetig weiter. Aktuell wehren sich zum Beispiel Landwirte im Altenburger Land gegen ein geplantes 80 ha großes Industriegebiet bei Gerstenberg.
Flächenverbrauch unter 30 Hektar/Tag unrealistisch
Raumordnungs-Wissenschaftler in Deutschland zweifeln stark daran, dass die vom Bund anvisierte Reduktion des Flächenverbrauches auf bundesweit unter 30 ha/Tag bis zum Jahr 2030 gelingen kann.
Zwar gab es einen Rückgang; der stagniere allerdings seit fünf Jahren und lag zuletzt bei rund 52 ha/Tag. Ein erneuter Anstieg scheint eher wahrscheinlich: Der notwendige Bau von jährlich Hundertausenden Wohnungen, Straßenbau, neue Industrie- und Gewerbeflächen sowie der Ausbau der erneuerbaren Energien (PV-Freiflächen; Windkraft) einschließlich A+E-Maßnahmen kann Expertenschätzungen zufolge bis 2030 rund 300.000 ha produktiv genutztes Acker- und Grünland kosten.
Allein der von der scheidenden Bundesregierung angestrebte Ausbaupfad für Solar- und Windenergie beanspruche rechnerisch (2023 bis 2030) täglich rund 40 ha PV-Freifläche und 4 ha für Windkraftanlagen. Wie die EU-Richtlinie zur Wiederherstellung der Natur mittel- und langfristig auf die Produktivität von Ackerflächen und den landwirtschaftlichen Bodenmarkt wirkt, ist noch gar nicht absehbar.
Flächenverbrauch: Thüringen leitet EU-Projekt
Zehn europäische Regionen arbeiten unter der Leitung des Thüringer Innen- und Landesentwicklungsministeriums (TMIKL) vier Jahre lang zusammen, um den Flächenverbrauch zu reduzieren und nachhaltige Raumordnungskonzepte voranzutreiben. Vom vormaligen Infrastrukturministerium (TMIL) mit initiiert, startet im Mai das EU-geförderte Projekt „GreenLUPO – Greening land-use policies by land management to protect and restore nature and biodiversity“.
Ziel sei es, Leitlinien für eine nachhaltige Flächennutzung zu entwickeln und neue Standards für die Raumordnung zu erarbeiten, die in die Gesetzgebung einfließen sollen. Konkret gehe es um ein strategisches Flächenmanagement, das Bodenfunktionen in Planungen verankert, Vorrangflächen für Landwirtschaft, Hochwasserschutz und Naturschutz, den besseren Schutz ungenutzter Flächen in Dörfern und Städten sowie eine „grüne Infrastruktur“ als Gegengewicht zur Bodenversiegelung.
Neben Deutschland (Thüringen) sind Lettland, Belgien, Frankreich (Normandie), Rumänien (Maramures), Italien (Trient), Griechenland (Westmazedonien), Albanien (Durres) und Bosnien-Herzegowina (Herzegowina-Neretva) als Beitrittskandidaten, sowie Polen (Malopolska) beim GreenLUPO-Projekt dabei.
Trotz unterschiedlich starker Ausprägung steht das Zurückdrängen des Flächenverbrauchs in allen EU-Staaten auf der politischen Agenda. Schätzungen gehen davon aus, dass EU-weit pro Jahr 440.000 ha „überbaut“ werden. Gut die Hälfte dieser Flächen wird versiegelt.

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