Rundholzkartell: Schadensersatzforderung von über 1 Mrd. Euro
Die Holzindustrie wirft fünf Bundesländern vor, gegen das Kartellrecht verstoßen zu haben. Dabei geht es um Holz, das Landesforstbetriebe von kleinen privaten und körperschaftlichen Waldbesitzern bündelten und mit vermarktet haben.
Von Frank Hartmann
Thüringen und vier weitere Bundesländer sehen sich mit Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe konfrontiert. Angestrengt werden diese von Teilen der Sägeindustrie. Sie argumentieren, dass die Landesforstbetriebe mit einer kartellrechtlich bedenklichen Marktbeherrschung zu hohe Preise bei der Vermarktung von Rundholz hätten durchdrücken können. Speziell geht es dabei um Holz, das die Landesbetriebe für private und körperschaftliche Waldbesitzer bündelten und mit vermarktet haben. Ohne diese Bündelung, glauben die Sägewerke, hätten sie weniger zahlen müssen.
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Britische Muttergesellschaft fordert Schadenersatz
Als unangemessen bezeichnete Thüringens amtierender Forstminister Benjamin-Immanuel Hoff, „dass Teile der Thüringer Sägeindustrie es einer Schadenausgleichsgesellschaft ermöglichen, gegenüber dem Freistaat und der Landesforstanstalt 84,5 Millionen Euro einzufordern“. Unter Hinzuziehung einer spezialisierten Anwaltskanzlei werde Thüringen die Forderungen genauestens prüfen, kündigte der Minister an.
Betroffen sind neben Thüringen als letztes Bundesland Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Hessen und Rheinland-Pfalz. In den fünf Ländern haben sich – unter dem Dach einer Muttergesellschaft in Großbritannien – sogenannte Ausgleichsgesellschaften gegründet. So wie die „Ausgleichsgesellschaft für die Sägeindustrie Thüringen GmbH“ ließen sich alle fünf Gesellschaften die Schadensersatzforderungen der vermeintlich geschädigten Holzabnehmer abtreten und machen diese nun geltend. Weil es sich die klagenden Sägewerke nicht mit dem Land verderben wollten, hätten sie bei ihren Ansprüchen bewusst nicht überzogen, zitierte das Online-Fachportal forstpraxis.de den Sprecher der baden-württembergischen Ausgleichsgesellschaft. Einen Teil der „erlittenen Schäden“ wolle man jedoch ersetzt bekommen.
Beschwerde der Holzindustrie: Kartellamt ermittelte bis 2009
Die eigentumsübergreifende Holzvermarktung beschäftigte mehrmals das Bundeskartellamt, das einer Beschwerde der Sägeindustrie in den Jahren 2001 bis 2009 nachging. In Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Thüringen wurde ermittelt. Das Bundeskartellamt vertritt die Auffassung, dass die gebündelte Vermarktung nicht konform mit den Vorgaben des Wettbewerbsrechts gehe. Das Verfahren wurde unter Erteilung länderspezifischer Auflagen und Berichtspflichten im September 2009 beendet. Thüringen wurde verpflichtet, den gebündelten eigentumsübergreifenden Holzverkauf durch die Landesforstverwaltung zu begrenzen. Konkret hieß das: Keine Vermarktung mehr durch den Landesforstbetrieb (heute ThüringenForst) für Forstbetriebsflächen einzelner Forstunternehmen mit mehr als 3.000 ha; bei forstlichen Kooperationen wurde die Schwelle auf 8.000 ha festgelegt. Überdies verpflichtete sich der Freistaat, private und kommunale Holzvermarktungskooperationen darin zu unterstützen, selbst am Markt aktiv zu werden, das heißt, deren Professionalisierung voranzutreiben.
Das fordern die Sägewerke im Detail
Von Thüringen fordern sechs Holzabnehmer über ihre sogenannte Ausgleichsgesellschaft (ASG) wegen des behaupteten Kartellrechtsverstoßes Schadenersatz in Höhe von 84,5 Mio. €. Rund ein Viertel davon sind Zinsen (ab 2009). In Baden-Württemberg fordern 36 Sägewerke/Holzkäufer eine Summe von rund 416 Mio. €, inklusive Zinsen. Rheinland-Pfalz nennt zwar keine konkreten Zahlen. Geschätzt wird, dass sich die Summe um die 200 Mio. € bewegt. Das hessische Umweltministerium erklärte, dass die ASG Schadenersatzansprüche wohl geltend machen wolle. Über deren Höhe könne derzeit keine Aussage getroffen werden. Und in Nordrhein-Westfalen erheben 33 Sägewerke der ASG Ansprüche auf 345 Mio. €, davon 83 Mio. € Zinsen. Ein vorgeschlagenes Güteverfahren lehnte das Land ab. FH
BGH kippt Urteil
Nach einer Überprüfung in Baden-Württemberg im Jahr 2012 befand das Bundeskartellamt, dass in dem Bundesland eine Absenkung des Schwellenwerts für die Holzvermarktung inklusive der Beförsterung auf 100 ha notwendig sei. Dagegen wehrten sich die Schwaben. 2018 kippte der Bundesgerichtshof die Anweisung des Kartellamtes – allerdings nur aus formalrechtlichen Gründen.
Thüringen: Alle Auflagen erfüllt
Das Thüringer Agrarministerium stellt heraus, dass die Landesforstverwaltung den Auflagen und Berichtspflichten seit 2009 in vollem Umfang nachgekommen sei. So begleitete ThüringenForst zuletzt die Forstwirtschaftliche Vereinigung Nordthüringen w. V., deren 800 Mitglieder 7.200 ha Wald bewirtschaften, auf dem Weg zur eigenständigen Vermarktung. Insgesamt drei forstwirtschaftliche Vereinigungen (neben „Nordthüringen“ die im „Henneberger Land“ in Südthüringen und „Saale-Orla“ in Ostthüringen) zuzüglich der Waldbesitzer Service GmbH in Remptendorf, die den Einschlag mehrerer Forstbetriebsgemeinschaften (FGB) bündelt, verkaufen ihr Holz in Eigenregie.
Die Kleinteiligkeit des privaten Waldbesitzes belegen nicht zuletzt die 221 FBG mit 16.000 Mitgliedern (100.000 ha), wobei die größeren ihr Holz selbst verkaufen. Bei den 326 Waldgenossenschaften mit ihren 19.000 Mitgliedern summiert sich die Waldfläche auf rund 29.000 ha. ThüringenForst vermarktete laut seinem Geschäftsbericht im Jahr 2018 auf kostenpflichtiger, vertraglicher Basis rund ein Viertel des im Thüringer Privat- und Körperschaftswald angefallenen Holzes.
Laubholzsäger wollen Bündelung
Unter den Sägewerken, die im Bundesverband Deutsche Säge- und Holzindustrie (DeSH) organisiert sind, ist das Vorgehen im Kartellrechtsstreit nicht unumstritten. Die auf Laubholz spezialisierten Sägewerke warnten in der Vergangenheit davor, dass das Vorgehen des Bundeskartellamtes zurück in die Kleinteiligkeit führe. Gerade Laubholzbetriebe seien aber in besonderem Maße auf eine professionelle Bündelung und Bereitstellung angewiesen. Sie forderten daher den Erhalt der eigentumsübergreifenden Holzvermarktung.
Holzindustrie profitierte jahrzehntelang
Angesichts der dramatischen Waldschadenssituation und der Herausforderungen, die vor den Waldbesitzern, der Holzwirtschaft und dem Freistaat sowie seinen Gebietskörperschaften stünden, warnte Minister Hoff, dass das eingeforderte Geld am Ende allen Betroffenen fehlen würde. Das rheinland-pfälzische Umweltministerium erklärte gegenüber der Bauernzeitung, dass es nicht sein könne, dass international operierende Prozessfinanzierer und von ihnen gegründete „Ausgleichsgesellschaften“ über das kartellrechtliche Sanktionssystem versuchten, aus Steuermitteln Kapital zu schlagen. Die rheinland-pfälzische Sägeindustrie habe von der jahrzehntelangen gemeinsamen Holzvermarktung in hohem Maße profitiert.