Mobile Schlachtung in Thüringen
Das Ziel ist ambitioniert: Ein Innovationsprojekt möchte für Thüringen einen fahrbaren Schlachthof entwickeln. Neben rechtlichen und technischen Fragen dreht es sich um den wirtschaftlichen Betrieb.
Nahezu 30 % der an vollmobiler Schlachtung Interessierten sehen in der Wirtschaftlichkeit die größte Herausforderung für das Verfahren. Mit knapp 23 % folgt bereits der behördliche Aufwand und mit rund 16 % die Verfügbarkeit von Fleischern. Diese Ergebnisse lieferte vorige Woche eine Umfrage unter den knapp 120 Teilnehmern des Online-Seminars „Vollmobile Schlachtung in Thüringen“ – und sie ist freilich nicht repräsentativ.
Erstmals präsentierte sich hier das gleichnamige Thüringer Projekt der Europäischen Innovationspartnerschaft (EIP), das Mitte letzten Jahres seine Arbeit aufnahm, in einem öffentlichen Seminar. Gefördert mit Eler-Mitteln, arbeiten hier federführend das Ingenieurbüro Robby Tulke in Weida, der Thüringer Verein Weideschuss, die Tierarztpraxis Irina Rusch, der Thüringer Bauernverband und die Veterinärmedizinische Fakultät der Universität Leipzig zusammen.
Hinzu kommen neun haupt- und nebenerwerblich tätige Landwirtschaftsbetriebe sowie assoziierte Partner, die das Vorhaben fachlich begleiten (u. a. TLLLR, SVLFG, Kassel).
Unsere Top-Themen
• Baumschulengärtner Florian Wolf
• Samenernte mit Bürsten
• Technik für Gülle und Mist
• Märkte und Preise
Projekt will vollmobile Schlachteinheit ermöglichen
Ziel dieses EIP-Projekts ist die Konstruktion und EU-rechtlich zulassungsreife Planung einer vollmobilen Schlachteinheit für mehrere Tierarten, um gewerbliche Schlachtungen am Haltungsstandort/am Hof zu ermöglichen. Die Konzeptplanung erfolgt dabei in Abstimmung mit dem Sozialministerium und dem Landesamt für Verbraucherschutz (TLV) in Bad Langensalza.
Wunsch der Partner ist es, in einem Folgeprojekt den Bau und die Erprobung des mobilen Schlachthofes zu realisieren. Wie Projektleiter Robby Tulke im Online-Seminar erläuterte, habe man keine technische Lösung am Markt finden können, die den Ansprüchen genügt. Daher verfolge man die eigene Entwicklung eines fahrbaren Schlachthofes.
Bevor Tulke seine technischen Überlegungen präsentierte, ordneten Dr. Philipp Rolzhäuser vom Institut für Lebensmittelhygiene der Veterinärmedizinischen Fakultät der Universität Leipzig und Dr. Heike Palla vom Sozialministerium die rechtlichen Rahmenbedingungen ein. Mit den neuen Möglichkeiten, die 2021 die EU-Kommission für das „Schlachten im Herkunftsbetrieb“ geschaffen habe, verbindet sich Rolzhäuser zufolge vor allem das teilmobile Schlachten.
Teilmobiles Schlachten mit hohem Aufwand
Dieses umfasst die Hoftötung mittels Bolzen- oder Kugelschuss sowie das Entbluten auf dem Hof. Hiernach müssen die Tiere innerhalb von zwei Stunden zu einer Schlachtstätte verbracht werden. Pro Schlachtvorgang ist die Zahl der Tiere auf drei Rinder, sechs Schweine oder drei Equiden begrenzt. Die vollmobile Schlachtung gestattet neben dem Töten/Betäuben und Entbluten alle Schlachtarbeiten bis zur Grobzerlegung.
Die Anforderungen an diese mobile Schlachtstätte gleichen denen eines stationären Schlachthauses. Rechtlich ist die Zahl der zu schlachtenden Tiere nicht begrenzt. Dies, so ergänzte Dr. Heike Palla, regelt die Genehmigungsbehörde, in Thüringen also das TLV. Die maximal zulässige Leistung werde etwa bestimmt von der Sicherstellung eines hygienisch einwandfreien Schlachtens oder den Kühlkapazitäten.
Pallas erläuterte zudem, dass in den EU-Regeln Schafe und Ziegen noch nicht erfasst sind, was aber in absehbarer Zeit passieren wird. Sie erinnerte die Teilnehmer an den kürzlich vorgelegten Thüringer Leitfaden zum Mobilschlachten, der auf knapp 20 Seiten alle rechtlichen Voraussetzungen für das mobile Schlachten darstellt. Zudem erörtert er ausführlich die engen Bestimmungen für den Kugelschuss.
2022 hatten gut ein Dutzend Landwirte eine zuvor beantragte Erlaubnis für diese Methode. Robby Tulke erläuterte hiernach die technischen Überlegungen hin zu einem Lkw-Anhängergespann. Die Schlachteinheit soll autark von Strom und Wasser sein, muss die tierartspezifischen Anforderungen der Schlachtpraxis auf engstem Raum gewährleisten, will Kühlzellen mitliefern, soll zeitsparende und unkomplizierte Abläufe garantieren und schwierige Anfahrtswege bewältigen.
Hohe Kosten für fahrbaren Schlachthof
Unabhängig von der technischen Raffinesse, das betonte der Ingenieur mehrfach, besitze die Wirtschaftlichkeit höchste Priorität. In einer ersten groben Schätzung bezifferte Tulke die Investitionskosten für den fahrbaren Schlachthof auf fast 900.000 € und die jährliche Betriebskosten, inklusive Personal und Betriebsmittel, auf gut 400.000 €.
Neben Konstruktions- und zulassungskonformen Betriebsplänen sowie belastbaren betriebswirtschaftlichen Kalkulationen wollen die Partner des Projektes bis Ende des Jahres auch Ideen für ein Betreibermodell des fahrbaren Thüringer Schlachthauses vorlegen. Eine Projekt-Homepage informiert fortlaufend über die Entwicklungen.