Rücktritt nach einem Tag – Thüringen ohne Regierung
Am Tag nach seiner überraschenden Wahl verkündetet Thüringens Ministerpräsident Thomas Kemmerich bereits seinen Rücktritt. Damit wird der Weg frei für Neuwahlen.
Nach massiven Protesten gegen die Wahl des neuen Ministerpräsidenten durch die AfD will die FDP-Fraktion die Auflösung des Landtages beantragen, um den Weg für Neuwahlen frei zu machen. Das gab der erst gestern gewählte Ministerpräsident und FDP-Landesvorsitzende Thomas Kemmerich am Donnerstag kurz nach 14 Uhr in einer eigens einberufenen Pressekonferenz in Erfurt bekannt. Damit wolle man den „Makel der Unterstützung durch die AfD vom Amt Ministerpräsidenten nehmen“, sagte Kemmerich. „Demokraten brauchen demokratischen Mehrheiten, die aber sind in diesem Parlament offenbar nicht herzustellen“, begründete er den Schritt.
Thüringer Regierung: Politisch nicht mehr handlungsfähig
Damit steht Thüringen vor einer schwierigen Situation: Es verfügt über keine handlungsfähige Regierung. Mit der Wahl Kemmerichs war die Amtszeit der rot-rot-grünen Minister beendet. Der völlig unerwartet gewählte Ministerpräsident hatte keine Regierungsmannschaft in der Hinterhand, die er hätte vereidigen lassen können. Nach seinem Rücktritt repräsentiert er nun die gesamte geschäftsführende Regierung allein.
In der Verwaltungsebene werden die Arbeiten deshalb zwar nicht eingestellt. So führt im Landwirtschaftsministerium Staatssekretär Klaus Sühl (Linke) bis zur Ernennung eines Ministers die Geschäfte weiter. Wie das Ministerin auf Anfrage der Bauernzeitung mitteilte, sei die Thüringer Agrarverwaltung voll funktions- und handlungsfähig. Auf der Basis des vom Thüringer Landtag beschlossenen Haushaltes für das Jahr 2020, der einschlägigen Förderrichtlinien, Verwaltungsvorschriften sowie Gesetze und Verordnungen würden die laufenden Aufgaben der Agrarverwaltung ohne Unterbrechung oder Verzögerung wahrgenommen.
Offen ist aber, ob und wie Kemmerich die politischen Aufgaben der Ressorts vertreten kann und wird. So entscheidet zum Beispiel am nächsten Freitag (14. Februar) der Bundesrat über eine ganze Reihe von Gesetzen, darunter die Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung zur Schweinehaltung. Erwartet wird ein knappes Abstimmungsergebnis, so dass die vier Stimmen Thüringens durchaus das Zünglein an der Waage sein könnten.
Regierungschef Bodo Ramelow war am Mittwoch überraschend abgewählt worden. Der Landtag bestimmte stattdessen den FDP-Politiker Thomas Kemmerich zum neuen Ministerpräsidenten. Bei der Wahl hatte die FDP ihren Landesparteichef und Fraktionsvorsitzenden im dritten Wahlgang gegen Bodo Ramelow und den parteilosen AfD-Kandidaten Christoph Kindervater ins Rennen geschickt. Auf Ramelow entfielen 44 Stimmen, und damit zwei mehr als die rot-rot-grüne Koalition Sitze hat. Bei einer Enthaltung votierten 45 Abgeordnete für Kemmerich. Der AfD-Kandidat erhielt im letzten Wahlgang keine Stimme mehr. Nach Bekanntgabe des Ergebnisses wurde Kemmerich umgehend von Landtagspräsidentin Birgit Keller (Linke) vereidigt.
Mit 26 Sitzen regieren?
Erwartet wurde, dass Kemmerich die Thüringer CDU zügig zu Gesprächen über die Bildung einer Minderheitsregierung einladen wird. Zusammen verfügen die beiden Parteien aber gerade mal über 26 Sitze im Landtag. Damit sind weit entfernt von den 46 Sitzen für eine Mehrheit. Linke, SPD und Grüne wollten mit 42 Mandaten ebenso in einer Minderheitsregierung ihr 2014 gestartetes Bündnis fortsetzen. Seit Ende Oktober 2019 hatte das Dreierbündnis einen Koalitionsvertrag ausgehandelt und diesen erst Dienstag dieser Woche unterschrieben. In seiner Antrittsrede im Landtag kündigte Kemmerich an, auch mit SPD und Grünen Gespräche führen zu wollen. Beide Parteien lehnten diese Avancen bereits ab.
Keine Minister mehr im Amt
Mit der Wahl Kemmerichs endete die Amtszeit der rot-rot-grünen Minister. Der neue Ministerpräsident stand somit ohne Regierung da. Im Landwirtschaftsministerium wird Staatssekretär Klaus Sühl (Linke) bis zur Ernennung eines Nachfolgers von Benjamin-Immanuel Hoff die Geschäfte weiterführen.
Wichtige agrarpolitische Entscheidungen
In einer ersten Reaktion zeigte sich auch der Präsident des Thüringer Bauernverbandes (TBV), Dr. Klaus Wagner, über den Wahlausgang überrascht. In den nächsten Wochen und Monaten stünden auf Bundes- und EU-Ebene zahlreiche agrarpolitische Entscheidungen an, die die Zukunft der Thüringer Landwirtschaft maßgeblich beeinflussten. Wagner forderte daher die Bildung einer stabilen und handlungsfähigen Regierung: „Thomas Kemmerich hat die Wahl zum Ministerpräsidenten im Parlament gewonnen und muss nun verantwortlich im Interesse des Freistaates handeln.“ (Wir haben die Meldung vom Vortag am 6. 2. um 14.35 Uhr aktualisiert.)