Rundholzkartell: Schadenersatzklagen gegen Länder
Ein Prozessfinanzierer verklagt neben Thüringen vier Länder auf 800 Mio. € Schadenersatz. Sie sollen angeblich Rundholzkartelle gebildet haben.
Von Frank Hartmann
Der international tätige, börsennotierte Prozessfinanzierer „Burford Capital“ machte sich 2018 auf den Weg, 1,05 Mrd. € von fünf Bundesländern (und damit von ihren Bürgern) zu erstreiten, darunter: Thüringen.
Zuvor hatte das Bundeskartellamt nach einer Untersuchung die eigentumsübergreifende (gemeinschaftliche) Vermarktung von Rundholz (Nadelstammholz) durch die Landesforstbetriebe bemängelt und 2009 länderspezifische Auflagen erteilt. Einige Länder stellten seither die gemeinschaftliche Holzvermarktung ein.
In Thüringen sind seitdem Forstbetriebe mit mehr als 3.000 ha von der Gemeinschaftsvermarktung ausgeschlossen; bei forstlichen Kooperationen liegt die Grenze bei 8.000 ha. Grund der Gemeinschaftsvermarktung ist der kleinteilige private Waldbesitz. Hundertausende Eigentümer können den Verkauf ihres Holzes allein gar nicht stemmen.
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Nach einer weiteren Überprüfung in Baden-Württemberg befand das Bundeskartellamt, dass in dem Bundesland eine Absenkung des Schwellenwerts für die Holzvermarktung inklusive der Beförsterung auf 100 ha notwendig ist. Dagegen wehrten sich die Schwaben. 2018 kippte der Bundesgerichtshof die Anweisung des Kartellamtes – allerdings nur aus formalrechtlichen Gründen.
Kartellschadenersatzklagen an fünf Landgerichten
In der Folge fanden sich in den fünf Bundesländern unterschiedlich viele Sägewerke, die glauben, überhöhte Holzpreise gezahlt zu haben. Der Prozessfinanzierer gründete in jedem Land eine eigene „Ausgleichsgesellschaft für die Sägeindustrie“ (ASG), an die die Sägewerke ihre Ansprüche abtraten. Die ASG reichten Kartellschadenersatzklagen an fünf Landgerichten ein. Gütevereinbarungen lehnten alle Länder ab, die sämtliche Forderungen von Beginn an scharf zurückwiesen. Nun sanken die Forderungen etwa in Nordrhein-Westfalen von 345 Mio. € inklusive Zinsen auf 183 Mio. € oder in Thüringen von 84,5 Mio. € auf noch 32 Mio. €. Aktuell stehen in Summe rund 835 Mio. € im Raum.
Rundholzkartell: erste Urteile
Mittlerweile liegen erste Urteile vor: Anfang 2022 wies das Landgericht Stuttgart die Klage über 450 Mio. € ab. Nach Auffassung der Richter sei das hier praktizierte „Sammelklage-Inkasso“ im Bereich des Kartellrechts unzulässig. Überdies setze das Vergütungsmodell Anreize für eine kostenintensive Prozessführung, zu Lasten der Sägewerke. Der Gewinn der ASG sei umso höher, je höher die Kosten der Rechtsverfolgung seien.
Das Land Baden-Württemberg führte im Verfahren an, dass die aus seiner Sicht zulässige Vermarktungspraxis nicht zu einem höheren Preis geführt habe. Vielmehr wäre ohne den gebündelten Rundholzverkauf der Preis gestiegen – ein Argument vieler Branchenkenner. Gegen das Urteil legte die ASG beim Oberlandesgericht Stuttgart Berufung ein.
Schadendarlegung nicht plausibel
Im Oktober vorigen Jahres wies das Landgericht Mainz die Klage der dortigen ASG gegen das Land Rheinland-Pfalz ebenfalls ab. Wie in Stuttgart hieß es, dass die erfolgten Abtretungen nichtig seien. Zudem beruhte die gebündelte Rundholzvermarktung auf dem seinerzeit geltenden Landeswaldgesetz. Das Land setzte somit lediglich die gesetzlichen Vorgaben um. Darüber hinaus sei der ASG „eine plausible Schadendarlegung nicht gelungen“. Hier belaufen sich Foderungen an das Land auf nahezu 120 Mio. €. Beim Oberlandesgericht Koblenz ging längst der Berufungsantrag der erstinstanzlich unterlegenen ASG ein.
Das Verfahren in Hessen (49 Mio. €) wird mittlerweile am Landgericht Kassel geführt. Einen Verhandlungstermin gab es noch nicht. Am Landgericht Dortmund erschien zur ersten Verhandlung im Juni 2022 keiner der Beteiligten. Die zuständige Zivilkammer verkündete seinerzeit einen Hinweisbeschluss, in dem sie sich durchaus kritisch zur Klage äußerte.
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EU-Gerichtshof entscheidet?
Nicht zuletzt erwägt das Dortmunder Landgericht, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg vorzulegen. Bis zu einem Urteil des EuGH vergehen in der Regel fast zwei Jahre. Käme es dazu, dürften bis zu einer EuGH-Entscheidung alle Verfahren ausgesetzt werden.
Thüringen wehrt sich weiter vor Gericht
In Thüringen sollte Donnerstag letzter Woche am Landgericht Erfurt die mündliche Verhandlung stattfinden. Der Termin wurde kurzfristig auf Ende April verschoben. Thüringens Agrarstaatssekretär Torsten Weil erklärte, man wehre sich rechtlich weiter entschieden gegen das Projekt des Prozessfinanziers, um Belastungen für die Steuerzahler, den Wald und die Waldbesitzenden abzuwenden.
Wald in Thüringen: Eigentümerstruktur
Die Thüringer Privatwaldfläche summiert sich auf 240.000 ha, verteilt auf 180.000 Eigentümer. Gut 590 Kommunen besitzen 90.000 ha Wald. Nur 20 % von ihnen nennen 200 ha und mehr ihr Eigen. Die Kleinteiligkeit des privaten Waldbesitzes belegen nicht zuletzt die 212 Forstbetriebsgemeinschaften (FBG) mit 16.800 Mitgliedern (104.000 ha), wobei die größeren ihr Holz selbst verkaufen. 333 Waldgenossenschaften zählen 19.000 Mitglieder, deren Waldfläche sich auf rund 29.000 ha summiert.
2019 begleitete der Staatsbetrieb ThüringenForst die Forstwirtschaftliche Vereinigung Nordthüringen w. V., deren 800 Mitglieder 7.200 ha Wald bewirtschaften, auf dem Weg zur eigenständigen Vermarktung. Insgesamt zwei forstwirtschaftliche Vereinigungen, neben der in Nordthüringen die im „Henneberger Land“, zuzüglich der Waldbesitzer Service GmbH in Schleiz, die als Tochterunternehmen großer Ostthüringer FBG gegründet wurde und die den Einschlag mehrerer FGB bündelt, vermarkten ihr Holz in Eigenregie.
ThüringenForst vermarktete laut seinem Geschäftsbericht im Jahr 2021 auf kostenpflichtiger, vertraglicher Basis im Auftrag von Körperschaftswaldbesitzern 222.000 fm (2020: 253.400 fm) und im Auftrag von Privatwaldbesitzern 257.000 fm (2020: 323.600 fm). red
Länder ziehen Waldbesitzer mit ins Boot
Wie in Nordrhein-Westfalen zieht Thüringen etliche Waldbesitzer im Zuge des Verfahrens mit ins Boot. 186 privaten, kommunalen und genossenschaftlichen Waldbesitzern, „die sich signifikant an der gemeinsamen Holzvermarktung beteiligt haben“ ging eine sogenannte Streitverkündung zu. Dies, so das Agrarministerium, sei haushaltsrechtlich notwendig. Theoretisch bedeutet dies, dass der Freistaat im Falle einer Niederlage die Waldbesitzer an den Schadenersatzleistungen beteiligen könnte. Der Thüringer Waldbesitzerverband missbilligt dies, zumal in Baden-Württemberg die Waldbesitzer außen vor blieben.
„Die Säger haben uns verkauft“
In Nordrhein-Westfalen wurde 800 Waldbesitzern vom Land der Streit verkündet (PDF „Hintergrundinformationen“ hier zum Download). Der Waldbauernverband kritisierte dies mit klaren Worten, weil „die Streitverkündung rechtlich nicht zwingend, parteipolitisch unklug und gesellschaftspolitisch katastrophal ist!“. Zugleich unterstrich er: „Die klagenden Säger haben uns verkauft. Wir sind von ihrem Handeln enttäuscht. Es zerstört nachhaltig das Vertrauen!“