Tiertransport-Drama: Das Leid der Tiere auf dem Weg in die Türkei
69 Zuchtrinder vegetieren 29 Tage im Zollbereich zwischen Bulgarien und der Türkei. Sie stehen auf den Transportern, bis sie in einem türkischen Schlachthof enden. Am 26. November, lief die halbstündige Dokumentation „Tiertransporte: Gefangen zwischen Grenzen“ im ZDF. Jetzt meldete sich Prof. Dr. Wilfried Brade mit einem Vorschlag.
„Tiertransporte: Gefangen zwischen Grenzen“ zeigt, wie 69 Zuchtrinder aus Deutschland 29 Tage im Zollbereich zwischen Bulgarien und der Türkei dahinvegetieren. Sie stehen in ihren Exkrementen. Sie können vom Fahrer nur behelfsmäßig versorgt werden. Einige gebären in Dreck und Enge ihre Kälber, manche sterben. Am Ende werden die Kadaver auf einer Deponie entsorgt. Die Tiere, die bis dahin überlebt haben, enden in einem Schlachthof in der Türkei.
Die Tiere in den Transportern kamen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg, der Transport wurde vom Landkreis Elbe-Elster genehmigt. Die Türkei verweigerte die Einreise der Tiere wegen der Blauzungenkrankheit (BTV), die EU-Kommission lehnte einen Rücktransport der Tiere ab.
Strafanzeigen gestellt, Ermittlungen laufen
Die Schuldfrage klärt nun die Justiz. „Derzeit werden bei der Staatsanwaltschaft Cottbus Strafanzeigen von PETA, Vier Pfoten, dem Deutschen Tierschutzbund sowie einer Privatperson geführt. Die Verfahren wurden zusammengefasst und werden gemeinsam bearbeitet“, teilte die Staatsanwaltschaft Cottbus der Bauernzeitung auf Nachfrage mit.
Tiertransport: Gerangel um Schuld und Zuständigkeiten
Von politischer Seite beschuldigte das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) den Landkreis, die Genehmigung unrechtmäßig erteilt zu haben. „Die zuständigen Landesbehörden hatten sich auf Angaben des Importeurs verlassen, wonach Veterinärbescheinigungen auch mit aberkanntem Status der BTV-Freiheit von Seiten der Türkei akzeptiert würden. Dies war aber nicht der Fall: Die Türkei hat die Einreise verweigert“, teilte das BMEL der Bauernzeitung mit. Das BMEL habe sich in Person der obersten Veterinärin Deutschlands (Chief Veterinary Officer, CVO), Frau Dr. Katharina Kluge, frühzeitig und wiederholt an die Türkei gewandt. Sie habe die dortigen Behörden gebeten, die Tiere tierschutzgerecht zu versorgen.
Zudem hatte sich das BVL als Verbindungsstelle des BMEL an die EU-Kommission (KOM) gewandt. Sie sollte eine grundsätzliche Wiedereinfuhr der Tiere zu ermöglichen, um sie innerhalb der EU tierschutzgerecht versorgen zu können. „Die KOM hatte dies jedoch abgelehnt. Das BMEL hat die deutsche Botschaft in Ankara informiert.“
Tiertransport: Voraussetzungen erfüllt
Der Landkreis widerspricht dem BMEL in seiner Stellungnahme. „Die Einhaltung sämtlicher nationaler- und unionsrechtlicher Bestimmungen, unter anderem die Einhaltung der Transportdauer, der Ruhepausen, der Wartezeiten an der Grenze, der trächtigkeitsbedingten Transportfähigkeit der Tiere sowie der Temperaturvorgaben, wurden durch den Exporteur glaubhaft gemacht und vom Amt auf Plausibilität geprüft. Im Ergebnis der Prüfung waren alle Voraussetzungen für die Genehmigung des Transports erfüllt. Rechtlich belastbare Gründe, die eine mögliche Ablehnung der Abfertigung des Transports hätten rechtfertigen können, lagen nicht vor. Es bestand insofern ein zwingender Rechtsanspruch des Exporteurs auf Abfertigung des von ihm zur Ausfuhr vorgesehenen Tiertransports.
Ein Blick auf die türkische Verbotsliste für Einfuhren zeigt, dass Tiere aus dem „Bezirk Berlin“ erst ab dem 22.. November mit einem Einfuhrverbot belegt sind. Demnach hätten die türkischen Behörden die Einreise gestatten müssen. Generell sieht sich der Landkreis Elbe-Elster überfordert und möchte am liebsten ein generelles Verbot von Lebendtiertransporten in Drittländer.
Tiertransport: Bauernverband sieht Ministerium in der Pflicht
Der Landesbauernverband äußerte seine Betroffenheit. Er sieht das zuständige Landesministerium, das Landesministerium für Soziales, Gesundheit, Integration und Verbraucherschutz (MSGIV) in der Verantwortung und dessen Verhalten als „sehr problematisch“. Der LBV begründet: „Die Behörde hätte im Zuge des Genehmigungsverfahrens zum Transport nach Artikel 20a des Grundgesetzes den Tierschutz als übergeordnetes Gebot geltend machen und den Rücktransport kurzfristig zulassen können. Stattdessen wurde offensichtlich falsches formales Recht – nämlich die Frage nach Zuständigkeiten – vorgeschoben, um Strafzahlungen an Brüssel zu vermeiden, heißt es vonseiten des LBV auf Nachfrage.
Konsequenzen in Brandenburg: Meldepflicht der Landkreise
Die Bauernzeitung wollte vom MSGIV wissen, welche Konsequenzen aus dem Tiertransport-Vorfall gezogen werden. Man habe am 20. November mit den Amtstierärzten den Fall besprochen, heißt es in der Antwort. Alle langen (mehr als acht Stunden), grenzüberschreitenden Transporte seien nun beim MSGIV und dem Fachteam Tiertransporte des Landesamtes (LAVG) anzumelden. Die Verbraucherschutzabteilung habe bereits in der Vergangenheit befristet für drei Jahre ein Kontrollteam Tiertransporte, bestehend aus drei Personen im LAVG, eingerichtet, das 2024 mit nur einer entfristeten Stelle weitergeführt wurde. Die Erlasslage werde aktualisiert, die Meldepflicht hervorgehoben bzw. um die exportrechtliche Anmeldung ergänzt.
Tierärzte in der Zwickmühle
Darüber hinaus wies das MSGIV darauf hin, dass alle abfertigenden Tierärzte auch bei größtem Prüfaufwand Gefahr laufen, dem Vorwurf einer Straftat oder mindestens einer Ordnungswidrigkeit ausgesetzt zu werden. „Auf der anderen Seite müssen sie bei Untersagung eines Transports einer Amtshaftungsklage in Höhe von ca. 50.000 Euro entgegensehen. Daher stimmt das MSGIV der Aussage des Landkreises zu, dass die Gesetzgebung national oder besser europäisch das Wiederholen solcher Transporte in Unrechtsstaaten verhindern muss“, teilt ein Pressesprecher mit. Seit Einführung der Meldepflicht sei nur noch ein Tiertransport von Bisons in den Kosovo genehmigt worden.
Statement von Prof. Dr. Wilfried Brade
Prof. Dr. Wilfried Brade, langjähriger Autor der Bauernzeitung und Experte für Milchviehhaltung, hat sich am Donnerstag (5.12.) mit einem persönlichen Statement an die Fachpresse gewandt. Ihn habe die Dokumentation so sehr erschüttert, dass er sich schäme, jahrelang in der Nutztierzüchtung gewirkt zu haben, schreibt Brade. „Man exportiert hochtragende Färsen und Kühe über mehr als 5.000 km per LKW in die Türkei und noch weiter, obwohl die Hochträchtigkeit eine besondere Belastung für jedes weibliche Rind (Tier) darstellt. Den Beleg findet man auch wieder im oben genannten Film: die Färsen (= Erstkalbende) mussten ihre Kälber auf dem Transport gebären und zwangsläufig in den Kot absetzen und bis zum Tottreten ihrer Kälber eingepfercht bleiben.“ Brade klagt in seinem Statement Verbände und Hochschulen an, das Tierleid in Kauf zu nehmen.
Vorschlag: Exporte nur bis zum 210. Trächtigkeitstag
Brade schlägt ein sofortiges Verbot von Tiertransporten mit hochträchtigen Rindern ab dem 210. Trächtigkeitstag vor. Der Bundesverband Rind und Schwein e.V. solle eine Selbstverpflichtungserklärung für die deutschen Zuchtorganisationen abgeben und die Bundestierärztekammer eine Erklärung für die deutschen Tierärzte, so Brade. Er schäme sich für die schweigende Mehrheit der deutschen Hochschullehrer, die sich vor der Wahrheit versteckt und lieber überflüssiges Papier darüber verfasst, wie gut alles sei. „Mein Schamgefühl gegenüber unseren Nutztieren, in Sonderheit zu den getätigten Tierexporten und dem Schweigen zu dieser Thematik seitens der meisten deutschen Professoren und Institutsleiter auf dem Gebiet der Nutztierhaltung ist so groß, dass ich meine Mitgliedschaft in der Gesellschaft für Tierwissenschaften (GfT) mit sofortiger Wirkung beende.“
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