Grünen-Ministerin: Chancen der neuen Gentechnik mit Verantwortung nutzen

Die neuen Verfahren, mit denen einzelne DNA-Bausteine im Erbgut sehr präzise verändert können, werden oft als "Genschere" bezeichnet. (c) imago-images/Science Photo Library
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Die Grünen diskutieren derzeit intensiv über die Gentechnik auf dem Acker. Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer erklärt, warum.

Interview: Ralf Stephan

Am 10. Juni legten 22 teils prominente Mitglieder der Grünen ein bemerkenswertes Thesenpapier vor. Darin rufen sie ihre Partei auf, in „neuen Zeiten neue Antworten“ zu geben und das Gentechnikrecht „zeitgemäß“ zu regulieren. Prompt kam aus den eigenen Reihen heftiger Gegenwind auf. Die Fraktionen in Bundestag und EU-Parlament fassten umgehend Beschlüsse, am Status quo und damit an einer im Grunde völlig lähmenden Regulierung festzuhalten.

GentechniK: Ruf nach Neubewertung wird stetig lauter

Dabei war der Debattenbeitrag der 22 – überwiegend wissenschaftlich tätigen – Unterzeichnerinnen und Unterzeichner kein neues Signal von der Basis. Im Angesicht der Demonstrationen von „Fridays for future“ für eine klimaschonende Politik hatte der Parteinachwuchs erst im Juli 2019 gefordert: „Grüne Gentechnik neu bewerten“. Verfasser dieses Debattenbeitrages waren die Potsdamer Politikstudentin Mona Noé und der Magdeburger Kybernetikstudent Johannes Kopton.

Den Anfang aber machte ein Diskussionsbeitrag von Theresia Bauer, der Wissenschaftsministerin der grün-schwarzen Landesregierung von Baden-Württemberg. Im Juni 2018 forderte sie: „Die Grünen dürfen die Chancen der Gentechnik nicht länger ignorieren“. In ihrem Papier zitierte sie Urs Niggli, den damaligen Direktor des namhaften Schweizer Forschungsinstitutes für Biologischen Landbau (FiBL). Der hatte gesagt: „Es wäre unschön, wenn der konventionelle Bauer eine Kartoffelsorte hätte, die ohne Pestizide auskommt – und der Biobauer eine Kartoffelsorte, die er mit Kupfer spritzen muss.“

Nun gehörte Ministerin Bauer zu den maßgeblichen Initiatorinnen und Initiatoren des aktuellen Debattenbeitrages. Wir hatten Gelegenheit, sie zu den Hintergründen zu befragen. Hier das vollständige Interview, das wir in unserer gedruckten Ausgabe (Bauernzeitung 26/2020) im Umfeld unseres Hintergrund-Beitrages über Grüne & Gentechnik nur gekürzt wiedergeben konnten.

Ministerin Theresia Bauer im Interview

Theresia Bauer (Grüne) ist seit 2011 Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur in Baden-Württemberg. (c) MWK

Bauernzeitung: Im Moment bewegen die Gesellschaft – und mit ihr die Landwirtschaft – sehr viele Fragen. Und Bündnis90/Die Grünen diskutiert darüber, wie die Partei die neuen Züchtungsmethoden, also Gentechnik, bewerten will. Warum gerade jetzt?
Bauer: Während die Gentechnik heute in der Medizin weitgehend anerkannt ist, sieht das in der Landwirtschaft anders aus. Hier gibt es nach wie vor sehr unterschiedliche Meinungen zu deren Einsatz auf dem Acker. In den letzten Jahren gab es zwei sich kreuzende Entwicklungen: Zum einen die enorme wissenschaftlich-technische Entwicklung, insbesondere Crispr/Cas. Zum anderen sind es die globalen Herausforderungen Biodiversität, Nachhaltigkeit und Welternährung.

Hier müssen wir unbedingt und zeitnah etwas tun. Deshalb brauchen wir auch die neuen Züchtungsmethoden als Option für eine nachhaltigere und ertragreiche Landwirtschaft. Sie kann neue Lösungswege aufzeigen, sie muss vernünftig reguliert werden. Wie die Grünen damit umgehen, diskutieren wir derzeit auf Initiative von Robert Habeck und Annalena Baerbock, weil wir ein neues Grundsatzprogramm erarbeiten. Das finde ich sehr sinnvoll. Die Fähigkeit die eigenen Haltungen immer wieder zu überprüfen ist eine wichtige Tugend.

Nach zahlreichen Gesprächen mit der Wissenschaft bin ich mittlerweile davon überzeugt, dass eine grundsätzliche Ablehnung der Gentechnik, zum Beispiel in Form eines Anbauverbotes, ob rechtlich oder de facto, kein guter Weg ist. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir eine Grundlage für eine sinnvolle Regulierung schaffen können, damit die Chancen der neuen Gentechnik verantwortungsvoll genutzt werden können. Es gibt zahlreiche Beispiele neuer Sorten, die einen Verringerung von Pestiziden und Herbiziden ermöglichen oder andere Toleranzen aufweisen.

Technologien selbst sind weder gut noch schlecht

Bauernzeitung: Von wem ging die Initiative für das Thesenpapier aus?
Bauer: Als grüne Wissenschaftspolitikerinnen und Wissenschaftspolitiker stehen wir seit Jahren untereinander im Austausch zur neuen Gentechnik – und mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in der Agrarökonomie, der Ökologie und der Molekularbiologie. Natürlich diskutieren wir als Grüne, wie wir Nachhaltigkeit mit den aktuellen biotechnologischen Entwicklungen zusammenbringen können. Im Rahmen dieser Gespräche ist die Idee entstanden, dass wir eine neue Haltung dazu gemeinsam ausformulieren und öffentlich zur Diskussion stellen. Unser Ausgangspunkt ist die Annahme, dass Technologien selbst weder gut noch schlecht sind, sondern dass es auf deren Anwendung ankommt.

Bauernzeitung: Zahlreiche Unterzeichner sind – wie Sie – beruflich mit Wissenschaft und Forschung befasst. Lässt sich daraus ableiten, dass in diesen Kreisen Sorge besteht, Ihre Partei würde sich bei Zukunftsentscheidungen zu wenig von wissenschaftlichen Erkenntnissen leiten lassen?
Bauer: Mich treibt eher die grundsätzliche Sorge an, dass unsere Gesellschaft in Silos zerfällt und eine offene Diskussion kaum noch stattfindet: Statt in den offenen Dialog zu gehen, bauen sich verschiedene Interessensgruppen, Branchen und politische Gruppen jeweils ihre eigenen Argumentations-Burgen. Bei dem Gentechnik-Thema sehen wir das: Viele Gruppen, ob in der Landwirtschaft oder der Politik haben eine feste Haltung zur Gentechnik – ohne dass sie untereinander noch ins direkte Gespräch kommen. Deshalb ist die aktuelle grüne Diskussion so wichtig, weil hier die unterschiedlichen Interessen und Perspektiven direkt aufeinanderstoßen. Die Grünen können so etwas wie ein Brennglas für eine entstehende Gentechnik-Diskussion. Eigentlich muss diese noch viel breiter in der Gesellschaft zwischen Landwirtschaft, Wissenschaft und Politik geführt werden.

Die Politik kann nicht einfach wissenschaftliche Erkenntnisse 1:1 umsetzen, das gilt bei der Klimaforschung wie bei der Gentechnik. Sonst bräuchten wir auch keine Politik mehr, wenn das anders wäre. Politik muss in ihren Entscheidungen anderes berücksichtigen: etwa Interessenausgleich, Finanzierbarkeit und Akzeptanz. Wenn uns die Wissenschaft aber deutlich aufzeigt, dass unsere Regulierung nicht mehr zum aktuellen Wissensstand passt, sollten wir als Politik und als Grüne genau hinhören.

Im Dialog über Gentechnik auf gemeinsame Ziele verständigen

Bauernzeitung: Im Frühjahr 2018 überraschten die Parteivorsitzenden, Annalena Baerbock und Robert Habeck, mit der Aufforderung, die kompromisslose Ablehnung der grünen Gentechnik zu hinterfragen. Die Reaktionen der bisherigen Meinungsführer – etwa Herr Ebner im Bundestag und Herr Häusling im EU-Parlament – lassen nicht erkennen, dass sich bei den Grünen seitdem tatsächlich etwas bewegt hat. Täuscht diese Außensicht?
Bauer: Es geht nicht darum, dass die Grünen plötzlich alles mit Gentechnik gutheißen. Das ist auch nicht mein persönliches Ziel und Maßstab. Die Parteivorsitzenden haben 2018 erkannt, dass „neue Zeiten neue Antworten“ erfordern, wie sie es treffend formuliert haben. Das heißt: Wir leben in einer Zeit, in der dogmatische Antworten zumeist rückwärtsgewandt sind. Statt Dogmen brauchen wir Dialog. Wir müssen im Dialog unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen uns auf gemeinsame klare Ziele verständigen. Wenn die möglichen Antworten auf dem Tisch liegen, schauen wir mithilfe der Wissenschaft, was sinnvoll ist und was passt. Am Ende entscheidet die Politik. Sie gleicht dann unterschiedliche Interessen und Ziele aus. Dass wir heute in der Partei über Gentechnik diskutieren, ist bereits ein großer Erfolg. Wir sind der Ort, wo zurzeit tatsächlich zwischen Wissenschaft, Ökologie und Landwirtschaft verhandelt wird. Andere Parteien schlagen sich hingegen auf eine Seite – ohne die andere Seite und das große Ganze im Blick zu haben.

Bauernzeitung: Wie bewerten Sie die auf dem Fuße folgenden Reaktion der Grünen-Fraktion im Deutschen Bundestag?
Bauer: Die Bundestagsabgeordneten haben in ihrem Debattenbeitrag zum Grundsatzprogramm dafür plädiert, die neue Gentechnik nicht anders zu behandeln als die alte Gentechnik. Das ist an sich erst einmal eine konsequente politische Perspektive. Ich tue mich allerdings schwer damit, da die alte Gentechnik als Gegensatz von Natur verstanden und auch so reguliert wurde. Diese Unterscheidung wird durch die neue Gentechnik deutlich infrage gestellt, da mit ihr Organismen so verändert werden können wie es auch in der Natur von selbst vorkommt.

Das strikte Nein zur Gentechnik in der Landwirtschaft wirkte bisher wie ein Kitt, der viele unterschiedliche Akteure zusammenhielt. (c) Sabine Rübensaat


Mein Blick auf das Thema kommt also aus einer anderen Richtung, deshalb teile ich nicht alles was in dem Diskussionsbeitrag der grünen Bundestagsfraktion für das neue grüne Grundsatzprogramm steht. Es gibt zugleich viele Gemeinsamkeiten, zum Beispiel muss das Vorsorgeprinzip auf EU-Ebene natürlich gelten – aber es gibt eben unterschiedliche Interpretationen dazu, was das heißt. Risiken für Mensch und Umwelt müssen ausgeschlossen werden.

Was eine neue Regulierung der neuen Gentechnik angeht, ist mein Maßstab, ob biologisch Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandelt wird. Das ist heute teilweise nicht mehr der Fall und deshalb bedarf es eines neuen Ansatzes. Eine nachvollziehbare Regulierung schafft das nötige Vertrauen, um Gentechnik in Europa – dort wo sinnvoll – verantwortungsvoll zu nutzen.

Gleichbehandeln statt Deregulieren

Bauernzeitung: Wäre es eine Lösung, das europäische Gentechnikrecht einfach so anzupassen, dass neue Züchtungstechniken rein juristisch nicht mehr mit „klassischer“ Gentechnik gleichgesetzt werden können?
Bauer: Das wäre zu einfach, dann würden beispielsweise identische Organismen mit transferierten Genen unterschiedlich reguliert. Teilweise können diese mit Crispr/Cas oder mit alter Gentechnik hergestellt werden. Das würde genau dem bereits genannten Maßstab der Gleichbehandlung widersprechen. Wir sollten Formen der neuen Gentechnik neu regulieren, gegenüber deren Einsatz und dessen Auswirkungen auf das Ökosystem wissenschaftlich keine nachvollziehbaren Bedenken bestehen. Hierzu liegen sehr sinnvolle juristische und wissenschaftliche Vorschläge auf dem Tisch, etwa von der Leopoldina.

Der wissenschaftliche Konsens zur Sicherheit der alten Gentechnik ist ohne Zweifel sehr groß. Das gilt aber nicht automatisch auch für alle zukünftigen Organismen. Ohne breite Risikoprüfung kommen wir deshalb nicht aus, aber diese muss sich auf die Risiken des konkreten Organismus beziehen – unabhängig von der Technologie der Herstellung. Konkret heißt das – ähnlich wie es Michal Bobek, Generalanwalt in dem EuGH-Verfahren zur neuen Gentechnik im Jahr 2018, bereits juristisch vorgeschlagen hat – dass wir uns öffnen für die Zulassung und Freisetzung von veränderten Organismen, die auch auf natürliche Weise hätten so zustande kommen können. Das ist keine Frage der Deregulierung, sondern eine Frage der rechtlichen Gleichbehandlung.