DLG-Wintertagung

Hubertus Paetow: „Sie haben es in der Hand“

Das Plenum auf der DLG-Wintertagung 2020 in Münster. (c) DLG/F. Holland
Überregional
Artikel teilen

Bei der Entwicklung Ihres Betriebs sollten Sie alle Optionen im Blick behalten. Und auch das Gemeinwohl können Sie sich honorieren Sachen. Das und mehr waren Themen auf der DLG-Wintertagung, die vor Kurzem im westfälischen Münster stattgefunden hat.

Von Klaus Meyer

„Wir haben es in der Hand.“ So fasste DLG-Präsident Hubertus Paetow in seiner Eröffnungsrede zur DLG-Wintertagung letzte Woche in Münster die Antwort zur Frage nach dem Agrarstandort Deutschland zusammen, denn dessen Perspektive hänge im Wesentlichen von der Kreativität, der Innovationsfreude und dem Engagement der Branche selbst ab. Seiner Meinung nach wird es für jeden Standort und Betriebstyp einen erfolgreichen Weg in die Zukunft geben, nur nicht für alle denselben. Die Vielfalt reicht vom Ökolandbau mit Direktvermarktung bis zu Getreideproduktion für den nordamerikanischen Markt. Doch von vorne. Die Veranstaltung stand unter der Überschrift „Agrarstandort Deutschland: Weltmarkt, Premiummarkt, Marktausstieg?“ Damit wurden auch gleich die verschiedenen Optionen angedeutet, die sich heute laut Deutscher Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) abzeichnen. 

Hubertus_Paetow-auf-der-DLG-Wintertagung-2020-in-Münster
DLG-Präsident Hubertus Paetow (c) DLG/F. Holland

Paetow analysierte, was die drei Alternativen für die deutschen Landwirte bedeuten. Marktausstieg bedeutet, nur noch die Nahrungsmittel selbst zu produzieren, mit denen man international wettbewerbsfähig sei.

Dabei gibt man sukzessive die Kompetenzen in anderen Feldern auf. Unter anderem habe die Gesellschaft es nicht mehr in der Hand, unter welchen Standards die Nahrungsmittel erzeugt werden. Unter Tier- und Klimaschutz- oder Biodiversitätsaspekten bietet der Marktausstieg also keine Lösung.

DLG-Wintertagung: Nur das Wesentliche

Als Beispiel nannte er Großbritannien. Der Selbstversorgungsgrad mit Nahrungsmitteln liegt dort nur bei 60 %. 60 % des in Großbritannien verbrauchten Schweinefleisches werden importiert, auch wegen der durch hohe Auflagen teuren inländischen Produktion. Aufgrund eines funktionierenden Handels sind die Engländer trotzdem noch nicht verhungert. Auch in Deutschland wurden schon Kompetenzen abgegeben. Zum Beispiel werden nur noch 60 % der hierzulande gemästeten Ferkel auch hier erzeugt. Mit immer mehr Auflagen wird der Anteil der

Importe noch weiter steigen. Weltmarkt bedeutet, dass die Produktion in ihren Rahmenbedingungen nicht wesentlich aufwendiger organisiert sein darf als dies in anderen Regionen der Welt der Fall ist. Laut DLG-Präsident Hubertus Paetow besteht gerade im Moment in Deutschland darin die Gefahr und er erläuterte: „Mit suboptimaler Nährstoffversorgung, einem stark eingeschränkten Werkzeugkasten bei Pflanzenschutz und Züchtungsverfahren und hohen Ansprüchen an eine artgerechte Tierhaltung lassen sich keine exportfähigen Produkte mehr herstellen, im Gegenteil das eröffnet Chancen für andere Spieler auch auf den inländischen Märkten.“ 

Damit wir weiterhin im internationalen Agrarhandel mitspielen können, müssten wir laut dem DLG-Präsidenten weiterhin versuchen, möglichst viele von den Fortschrittstechnologien zu nutzen. Dazu gehören seiner Meinung nach neue Pflanzenschutzmittel ebenso wie neue Züchtungstechnologien, mit denen das Spektrum der marktfähigen Kulturarten erweitert werden kann. Dabei sollte die Nachhaltigkeit der Produktion gleich mit verkauft werden. Als Beispiel nannte er die deutschen Milchprodukte in China, die nach diversen Skandalen um einheimische Produkte dort hoch im Kurs stehen. Die Agrarproduktion für den Weltmarkt sieht Paetow als ein sinnvolles Ziel.

Der Premium-Markt ist für Paetow die Zwischenstufe. Das sei das Segment, was in der Gesellschaft heute als der Weg einer zukunftsfähigen Landwirtschaft angesehen werde. Die meisten Verbraucher wünschen sich ökologisch erzeugte, regionale Produkte, doch den Premiumpreis für die Premium-Produkte zu bezahlen, sind nur ein Bruchteil bereit. „Deshalb wird die Nachfrage nach Ökoprodukten nicht in den Himmel wachsen, zumindest nicht zu den heutigen Preisen“, erklärte Paetow. Die Lösung wäre für ihn, wenn es gelänge die Ertragslücke zwischen klassischem und ökologischem Anbau teilweise zu schließen, sodass die notwendigen Preisaufschläge und Subventionen langfristig sinken könnten. Eine solche Entwicklung sei im Moment allerdings nicht in Sicht, die Ertragslücke im Ackerbau werde aktuell eher größer. Sein Rat zum Schluss: Als landwirtschaftlicher Betrieb sollte man alle Optionen im Blick halten.

DLG-Wintertagung: Für die Gemeinschaft

„Wir haben es in der Hand“, findet auch Professor Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin in Bezug zu seinem Vortragsthema auf der DLG-Wintertagung: Was sind die Zukunftsmärkte für Deutschlands Agrarunternehmen? Neben dem Weltmarkt und den Premiummärkten gibt es für den Agrarökonomen mit der Bereitstellung von Gemeinwohlleistungen einen dritten Markt, den es sich lohnt zu erschließen. Solch ein Markt unterliegt anderen Honorierungsmechanismen als der Produktverkauf am Markt. 

Prof. Dr. Harald Grethe von der Humboldt-Universität zu Berlin (c) DLG/F. Holland

Das Dilemma ist laut Grethe, dass bei den öffentlichen Gütern der Markt versagt, die externen Effekte nicht berücksichtigt werden. Leider unterscheiden sich Verbraucherpräferenzen von Bürgerpräferenzen. Die Mehrheit der Konsumenten sind nur bis zu einem gewissen Grad bereit, höhere Preise für nachhaltige Produkte zu bezahlen. Deshalb ist ein umweltpolitisches, sozialpolitisches und tierschutzpolitisches Eingreifen notwendig. 

Nur freier Markt oder nur Ordnungsrecht funktionieren anscheinend nicht. Steigen die Anforderungen in Deutschland zu stark, wird die Produktion ins Ausland verdrängt. Grethe folgert daraus, dass die Gesellschaft bestimmte Leistungen, die sie gesellschaftlich haben will, die aber am Markt nicht hinreichend honoriert werden, und bei denen das Ordnungsrecht nur eingeschränkt wirkt, einkaufen muss. Die Gesellschaft muss diese Leistung honorieren in Form von Tierschutz- und Naturschutzprämien. Das kann staatlich oder privat erfolgen. Er nannte die Initiative Tierwohl (ITW) als ein erfolgreiches privates Beispiel.

Langfristige Strategien sind nötig

Da es eine Nachfrage nach Gemeinwohlleistungen gibt, sollten die Landwirte diese Märkte nicht liegen lassen. „Ohne diese Märkte wird es eng für die Landwirtschaft in Deutschland.“ betonte der Agrarökonom und führte weiter aus: „Die Anforderungen an den Sektor werden sowieso immer höher in den Bereichen Tier-, Klimaund Umweltschutz.“ Hier stellt sich die Frage, wie die Anforderungen an die Landwirtschaft formuliert werden. Geschieht dies eingebettet in langfristige Strategien, wie das zum Beispiel jüngst die Borchert-Kommission im Bereich Nutztierhaltung vorgeschlagen hat, oder kommen die Anforderungen ad hoc auf Druck von Volksbegehren, Normenkontrollklagen oder Klagen von Tierschutzverbänden. Für die deutsche Landwirtschaft wäre es laut Grethe am ungünstigsten, wenn die Entscheidungen weiterhin ad hoc und überwiegend ordnungsrechtlich fallen und ohne entsprechende Förderpolitik.

Für Grethe wäre das Modell von morgen eine zielorientierte Verwendung der Mittel. Folgende Mittel stehen laut Überschlagsrechnung des Agrarökonomen im Raum: 4 Mrd. € fürs Tierwohl, 2 Mrd. € Zweite Säule, 5 Mrd. von den Direktzahlungen, plus der zivilgesellschaftliche Vertragsnaturschutz und die Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen, von denen die Landwirtschaft profitiert. Insgesamt ergäbe das etwa 30–35 % des heutigen Produktionswerts der deutschen Landwirtschaft von 55 Mrd. €.

Abschließend erklärte der Agrarökonom, was notwendig sei, um diese Märkte zu erschließen. Erstens wäre ein gesellschaftlicher Aushandlungsprozess notwendig, was honoriert werden solle. Zweitens wären ein Umdenken im Berufsstand und drittens die konkrete Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen vonnöten. Grehte sieht in dem Bereich eine erhebliche Gestaltungslücke. Für ihn ist der Sektor Landwirtschaft ein vollbesetzter Bus ohne Fahrer.

Viele Fragen auf der DLG-Wintertagung 2020

Es muss geklärt werden, was Gemeinwohlleistungen sind. Im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ist die Landwirtschaft seiner Meinung nach schon relativ weit. Im Bereich Tierschutz hapert es noch etwas. Im Bereich soziale Landwirtschaft ist fast alles unklar. Small ist beautiful bzw. je kleiner, desto schöner könne ja nicht das Ziel sein. Was das Zielbild ist, muss dringend in der Gesellschaft ausgehandelt werden. Welche sozialen und kulturellen Leistungen der Landwirtschaft sind wichtig?

Das Feld „Umwelt“ wird weitgehend dem Ökolandbau überlassen. Grethe fragte: „Warum gelingt es der konventionellen Landwirtschaft nicht, eigene Nachhaltigkeitsansätze stärker zu kommunizieren und auch zu vermarkten?“ Es wird dringend ein Umbau der Rahmenbedingungen benötigt.

Grethe findet, dass der Zeitpunkt für den Umbau günstig sei: „Es ist viel in Bewegung, die Landwirte sind auf der Straße, man sieht, dass das gegenwärtige agrarpolitische System an die Wand fährt, die Landwirte werden getrieben und wenn man nicht rechtzeitig handelt, verliert man an Gestaltungsraum. Als zukünftige Hauptaufgaben nannte der Agrarökonom die Transformation der Tierhaltung und den Umbau der europäischen Agrarpolitik.