Köllitscher Stallbautag

Was macht den „Schweinestall von morgen“ aus?

Einfach strukturierte Buchten in einer Anlage aus DDR-Zeit in Neudorf (Prignitz). Seit Längerem wird hier erfolgreich mit „Langschwänzen“ experimentiert. (c) Sabine Rübensaat
Überregional
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Die Antwort der Experten, die diese Frage auf dem Köllitscher Stallbautag diskutierten, lautet etwa so: Der „Schweinestall von morgen“ muss Kupierverzicht erlauben und wird meist eine Hülle nutzen, die heute schon steht.

Neue Ställe werden an den Möglichkeiten gemessen, den Kupierverzicht zu ermöglichen. Dafür müssen Betriebsleiter im Spannungsfeld hoher gesellschaftlicher Erwartungen und fehlender Rechtssicherheit die richtigen Entscheidungen treffen, stellte Dr. Eckhard Meyer vom Sächsischen Landesamt für Umwelt, Landwirtschaft und Geologie eingangs fest. Für ihn sind Konzepte, die einen Kompromiss zwischen mehr Tierwohl, Bezahlbarkeit und technischer Vertretbarkeit bilden, ein großes Thema für die Zukunft.

Es geht um:

  • offensichtliche Funktionsbereiche innerhalb der Abteile, 
  • nachhaltige Beschäftigung mit organischem Material, 
  • Außenklima.

Alles soll mit vertretbarer Mehrarbeitsbelastung zu leisten sein. Das ist eine umso größere Herausforderung, weil die erwünschten Stallanlagen an Systemkomponenten überholt geglaubter Stallbausysteme nicht vorbeikommen. Diese Zeichen gilt es zu erkennen und bei Neu- sowie Umbauten zu berücksichtigen, meint Meyer.

Dr. Eckard Meyer
Dr. Eckhard Meyer

Mit dem Blick auf den Markt begann der fachliche Diskurs. Tölle konstatierte: Obwohl die Auszahlungspreise für Mastschweine und für Ferkel auf einem seit zehn Jahren nicht erreichten Niveau verlaufen, ist die Stimmung in der Branche alles andere als euphorisch und von Aufbruch geprägt. Zu groß sind die Sorgen um die Afrikanische Schweinepest (ASP) und um die fehlende Rechtsicherheit in der Gesetzgebung. Allein durch die drei großen K-Fragen (Kupieren, Kastrieren, Kastenstände) wird zurzeit ein Strukturwandel befeuert.

Dr. Karl-Heinz Tölle

Der Markt allein wird es an dieser Stelle nicht richten. Das gilt auch für die „Königsdisziplin im Stallbau“, den Kupierverzicht. Nicht zuletzt stellt sich die Frage, wie das alles zu finanzieren ist, ohne die Erzeugung ins Ausland zu verlagern. Vom Kompetenznetzwerk Nutztierhaltung gibt es seit Kurzem einen Vorschlag. Rechtssicherheit mit der Neufassung der Nutztierhaltungsverordnung wird dringend erwartet, wurde im Bundesrat jedoch auf den 15. Mai vertagt, bedauerte Tölle.

Auf eines der größten Konfliktthemen dieser Verordnung ging Dr. Eckhard Meyer anhand aktueller Forschungsergebnisse aus der Praxis ein: die Ausgestaltung der Kastenstände im Deckzentrum mit angemessenen Übergangsfristen sowie die Abferkelbuchten (Bewegungsbuchten) im Neubau. Mit dem Magdeburger Urteil wurde die lichte Weite konventioneller Kastenstände auf die Widerristhöhe der Sauen festgeschrieben. Und das, obwohl belastbare Versuchsergebnisse (unter anderem aus Köllitsch) vorlagen, die belegen, dass die lichte Weite der Stände um 15  cm, besser noch um 15  % unter der Widerristhöhe bleiben muss. Andernfalls sind ein bis drei Prozent Sauenabgänge durch Knochenbrüche oder Exitus durch Einklemmen beim Umdrehversuch programmiert.

Deshalb schlägt die Wissenschaft eine „möglicherweise gerade noch praktikable“ Dreifach-Differenzierung der lichten Weiten vor. Meyer empfiehlt die Formel 60–70–80 cm Weite für 25–40–35 % der Sauen einer Herde. Im vorliegenden Gesetzentwurf ist zwar eine dreifache Differenzierung vorgesehen, allerdings sind die lichten Weiten jeweils fünf Zentimeter höher. Das, machte Dr. Meyer deutlich, bedeutet keinen Fortschritt, sondern kann erhebliche Probleme mit sich bringen.

Versuchsreihe Stallbau

Über zwei Jahre wurden im Lehr- und Versuchsgut 2.030 Einzeltierbeobachtungen und Frucht-barkeitsleistungen von 210 niedertragenden Sauen in unterschiedlich gestalteten Kastenständen unter Berücksichtigung von Alter und Durchgangseffekten ausgewertet. Die Stände variierten in der lichten Weite von 65 bis 90  cm mit Beinfreiheit innerhalb und außerhalb des Kastenstandes.

Die Erfahrungen mit den Systemen im Deckzentrum zeigen zunächst, dass wenige Zentimeter zu viel nicht nur in der Weite, sondern auch in der Höhe bzw. Bodenfreiheit der Kastenstände zu erheblichen Problemen mit Einklemmen und Verletzungen der Tiere führen können. Dagegen führen wenige Zentimeter weniger (z. B. 65 statt 70  cm) zu keinen nachweisbaren Veränderungen des Liegeverhaltens.

Stallbau: Schutz steht über Körperkontakt

Unterschiede im konstruktiven Aufbau der Kastenstände beeinflussen jedoch signifikant das Liegeverhalten. Wenn das Ausstrecken der Beine „barrierefrei“ möglich ist, wird diese Möglichkeit auch signifikant häufiger genutzt als wenn sie nicht vorhanden ist. Aus dem Vergleich der Systeme mit kurzfristiger (sieben Tage) und langfristiger Fixierung kann jedoch abgeleitet werden, dass die Beschränkung der Bewegungs-(Bein-)freiheit dem Schutzbedürfnis untergeordnet ist. Das Streben nach Schutz steht sogar über dem Bedürfnis nach Körperkontakt.

Obwohl die Sauen im Freilauf fast fünf Quadratmeter Platz zur freien Verfügung haben, wählen sie dreimal häufiger den Kastenstand (ohne vollständige Beinfreiheit) zum Liegen und ruhen dort auch entspannter als im Freilauf. Während Unterschiede in der Reproduktionsleistung nicht nach-weisbar sind, verlieren kurzfristig fixierte Sauen Körperspeck, während dauernd fixierte Sauen Speck aufbauen. 

Sollte die in einigen Eingaben der Bundesländer geforderte Beinfreiheit Bestandteil der Stallbauverordnung werden, spricht viel für ein System mit einheitlicher lichter Weite von 90  cm am Boden bei gleichzeitiger Begrenzung der Schulterweite auf 60  cm für Jungsauen und 65  cm für Altsauen. 

Die Abferkelbucht der Zukunft muss die Ansprüche von Sauen, Ferkeln, aber auch von Menschen miteinander vereinen. Die Konstruktionskriterien lassen sich auf nur drei wesentliche Punkte reduzieren:

  • Nicht maximaler Aktionsradius für Sauen, sondern optimales Verhältnis aus Fluchträumen (ringsherum) für die Ferkel und Bewegungsraum für die Sau (< 1:1,5).
  • Kein übertriebenes Platzangebot: 6–7  qm, weil größer nicht besser ist.  
  • Ein eher schmaler und langer (trapezförmiger) Aktionsraum für die Sau. Buchtengeometrie im Verhältnis Länge zu Breite von 3:2.

Ein größeres Problem könnte sich aus dem Wegfall eines einzigen Wortes in der künftigen Verordnung ergeben. Bisher sind dauerhafte Überschreitungen von gesetzlich zulässigen Schadgasanteilen (Schwefelwasserstoff 5  ppm, Ammoniak 20  ppm und Kohlendioxid 3.000  ppm) im Stall verboten – das heißt vor­übergehend an einzelnen Messpunkten noch zulässig. Je nachdem, wo und wie im Abteil gemessen wird, zeigen die Erfahrungen, dass Einzelmesswerte darüber liegen können. Sofern die Tiere ausweichen können, ist das kein Problem. Kommt der Antrag durch, das Wort „dauerhaft“ zu streichen, wären solche Überschreitungen zu keinem Zeitpunkt und an keiner Stelle des Stalls erlaubt. Deshalb, so die Empfehlung von Dr. Meyer, sollte sich die strengere Bewertung im Sinne und nicht im Wortlaut des Gesetzes immer auf den Mittelwert der Messwerte im Abteil beziehen. Diese liegen nach den Messungen erfahrener Stallklimaprüfer durchweg unter den Grenzwerten. 

Kupierverzicht bei Schweinen - darf der Schwanz dranbleiben?
Wer den Ringelschwanz will, bewegt sich in der Königsdisziplin von Stallbau, Management und Fütterung. (c) Sabine Rübensaat

Großthema Kupierverzicht

Im Nachmittagsteil drehte sich im Köllitsch alles um den Kupierverzicht. Das „Nationale Wissensnetzwerk Kupierverzicht“ vermittelt wissenschaftliche Erkenntnisse in Modell- und Demonstrationsbetrieben (MUD). Damit sollen in der Praxis Erfahrungen und Erkenntnisse gewonnen werden, um sie in weitere Praxisbetrieben zu verbreiten. Den Wissenstransfer organisiert unter anderem die ISN Projekt GmbH. Mittlerweile gibt es einen öffentlich zugänglichen Online-Leitfaden zum Kupierverzicht. Dieser Leitfaden startet mit einer Online-Selbsteinschätzung und führt den Benutzer über einen interaktiven Entscheidungsbaum zu einer Empfehlung. Er bietet Hilfe und Informationen zu allen Themen rund um Verhaltensstörungen und Kupierverzicht. Dazu gehört die gezielte Ursachenanalyse basierend auf Fragen zur Haltung, Fütterung, Tiergesundheit und Tierbeobachtung. Darüber hinaus wird eine sogenannte Packliste für einen Notfallkoffer bereitgestellt, der im akuten Havariefall mit Schwanzbeißen hilft. 

Um die Beratungsempfehlungen für Deutschland zu evaluieren, lohnt sich auch ein Blick über den Tellerrand, über Ländergrenzen hinweg. Dazu eignen sich insbesondere Länder, die schon seit vielen Jahren einen flächendeckenden Kupierverzicht realisieren, wie die skandinavischen Länder. Über die Ergebnisse einer Studienreise nach Schweden Ende 2019 informierte Dr. Meyer in seinem zweiten Vortrag. Ausführlich hatte er dar­über bereits in der Ausgabe 7/2020 der Bauernzeitung berichtet (-> zum e-Paper).

Dr. Simone Müller

Erfahrungen der Beratung zum Kupierverzicht stellte Dr. Simone Müller von der Thüringer Landesamt für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (TLLLR), Jena, vor. Die Ergebnisse stammen aus dem Thüringer Pilotprojekt, das zwischen 2016 und Mitte 2019 in 18  schweinehaltenden Betrieben mit insgesamt 30.000 Sauenplätzen durchgeführt wurde. 

Die Auflage, die Schwänze um maximal ein Drittel zu kupieren, erhöhte dort das Risiko für Schwanzbeißen und -nekrosen, den sächsischen Ergebnissen entsprechend um den Faktor 1,5. Über die Lehren aus dem bemerkenswerten Thüringer Pilotprojekt hatte die Bauernzeitung in Ausgabe 29/2019 im Beitrag „Ursachen für Schwanzbeißen sind viel komplexer“ zusammenfassend berichtet.

Ralf Remmert
Ralf Remmert

Erfahrungen zum Kupierverzicht in der Praxis sammelt Ralf Remmert nicht erst, seitdem es den Aktionsplan gibt. Am Standort in Neudorf werden 1.400 Sauen und 500 Jungsauen gehalten. Dabei steht nicht nur besonders tiergerechte Haltung im Vordergrund der Unternehmensstrategie. Zugleich geht es um die regionale Vermarktung in einer Fleischerei mit 15 Filialen. Auf diese Weise wird versucht, die Wünsche der Zeit mit dem für den Absatz nach wie vor wichtigsten Kriterium – der Preiswürdigkeit des Produktes – zu verbinden.

Der Betrieb umgeht mit seiner Direktvermarktung den komplizierten und ressourcenverbrauchenden Weg über die Labels des Einzelhandels. Eine Grundvor­aussetzung dafür ist sicherlich die Größenordnung mit 4.500 Mastplätzen. Eingesetzt wird ausschließlich Futter aus der Region. Die Kombination von Leistungs- und Strukturfütterung entspricht im Grunde dem in Köllitsch (weiter-)entwickelten Konzept einer Beschäftigungsfütterung. 

In der Ferkelerzeugung wird versucht, den Einsatz von Kastenständen auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Die Besamung in der Gruppe funktioniert auch ohne Kastenstände. Es bewährte sich aber nicht alles von Anfang an, wie etwa die Gruppenhaltung ferkelführender Sauen. Sie stellt nach Einschätzung Remmerts zu hohe Anforderungen an die Arbeitswirtschaft.

Das Prinzip, die Mitarbeiter in die Entwicklung tiergerechter Haltungsverfahren einzubinden, gehört zum Neudorfer Betriebskonzept. Um weniger Ammoniak an die Umwelt abzugeben, versucht der Betrieb eine Kot-Harn-Trennung.

Außenklimareize und einfache Buchtenstrukturierung

In Ferkelaufzucht und Schweinemast werden den Tieren durch den Stallbau zum Teil Außenklimareize angeboten. Dies erleichtert es nach Remmerts Erfahrungen, den Schweinen eine offensichtliche und einfache Buchtenstrukturierung anzubieten. Sie ist hier eine Grundvoraussetzung für die Aufzucht von unkupierten Ferkeln. So haben die Schweine die Wahl, in welchem Umfeld sie sich aufhalten wollen und können durch Wechseln auf stressige Haltungssituationen reagieren. „Zugluft wird für Schweine nur dann ein Problem, wenn sie ihr nicht ausweichen können“, schätzt der Betriebsleiter ein.


Schon von außen sichtbar: Diese Ställe lassen den Tieren dank hoher Decken besonders viel Luft. (c) Ralf Stephan
Stallbau - Außenklimakonzept
Außenklimareize lassen sich auch im Warmstall umsetzen. Ob das als Tierwohl akzeptiert wird, ist allerdings nicht sicher. (c) Ralf Stephan

Remmert versucht alles, um Stress zu reduzieren. Die Sauen bleiben beim Absetzen von Ferkeln in der Nachbarbucht in Sichtweite und – ähnlich wie in Schweden – als Wurfverband zusammen. Künftig möchte der Betrieb eine hofnahe Schlachtung von Familiengruppen erreichen, um auf weite Transporte möglichst zu verzichten. Bekanntlich werden auch die organoleptischen Verzehrseigenschaften von Schweinefleisch maßgeblich durch den Stress unmittelbar vor der Schlachtung verursacht. Dieser Weg ist ein weiterer Schritt zur konsequenten Umsetzung der Betriebsphilosophie „Tier und Umwelt im Mittelpunkt“.

Bedarfsgerechte Versorgung durch modernen Stallbau

Zukunftsfähige Stallbaukonzepte aus Sicht eines Stallausrüsters stellte Dr. Richard Hölscher vor. Seine Firma vertritt für die Schweinemast mit Sortierschleusen ein Haltungssystem, was systembedingt an Gruppengrößen von 250 bis 400 Mastschweine gebunden ist. Die Mastschweine müssen, um zum Futter zu gelangen, einen „Fangstand“ betreten, in dem sie optisch vermessen werden. Dann werden sie je nach Körpergewicht zu einer der beiden Fütterungen ausgeschleust. Im Vergleich zur Standardfütterung eines Abteils ist die Versorgung dadurch bedarfsgerechter. Mäster, die erfolgreich mit Sortierschleusen arbeiten, kaufen konditionell möglichst ausgeglichene Ferkelpartien ein.


Stallbau - Schleusensystem
Zum Fressen durch die Schleuse: Am beleuchteten Tor in der Mitte wird gemessen und sortiert. Das System erfordert Großgruppen, ermöglicht aber wie kein anderes für Schweine offensichtliche Funktionsbereiche. (c) Ralf Stephan
Stallbau - lange Tröge für die Schweine
Gefüttert wird in langen Trögen. Die Tiere können „wühlen“, sind beschäftigt und bauen dadurch Stress ab. (c) Ralf Stephan

Entscheidend ist aber das Aussortieren von vermarktungsfähigen Schweinen – heute in der Regel nach FOM (Körpergewicht) und weniger nach Auto-FOM Kriterien (Gewicht der Handelswert bestimmenden Teilstücke) – in eine Verkaufsbucht. Das hat arbeitswirtschaftlich und vermarktungsseitig solche Vorteile, dass die möglichen Nachteile der Großgruppe (ca. 50 g weniger Masttagszunahme, systemuntaugliche Tiere, eventuell größere Nachahmeffekte bei Verhaltensstörungen) in Kauf genommen werden. 

Die Probleme mit systemuntauglichen Tieren sind laut Hölscher beim Stallbau durch die Wahl von Einrichtungsdetails (Türen neben den Sortierstationen) deutlich reduziert worden. Die Quote soll unter einem Prozent liegen. Während in ostdeutschen Standardbetrieben die Sortierverluste (nicht optimale Sortierung nach Gewicht und Muskelfleisch) im Verlauf der letzten zehn Jahre häufig so hoch wie die möglichen Gewinne sind, betragen sie bei gut laufenden Sortierschleusen nur einen Bruchteil davon. Die Veränderungen in der Schlachtkörperbewertung nach Handelswert (Auto-FOM) lassen diesen Vorteil noch steigen. red