Schweinehaltung in Thüringen

Ungestört wirtschaften?

Zu viele gesellschaftliche Tierwohlwünsche beißen sich mit der politischen, marktwirtschaftlichen und rechtlichen Realität. (c) Sabine Rübensaat
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Das wünschen sich Thüringer Schweinehalter. Aber in diesen Zeiten lastet enormer Druck auf den Betrieben. Ihre Situation und die Herausforderungen beschrieben sie den Abgeordneten im Agrarausschuss des Landtags.

Von Frank Hartmann

Binnen eines Jahres ging in Thüringen die Zahl der Schweine um 100.000 Tiere zurück. Am Stichtag (3. Mai) erfasste die Agrarstatistik gerade noch 564.000 Stück. Der Rückgang der Schweinehaltung in Thüringen ist massiv – so wenige zählte man mit Abstand in den letzten 30 Jahren nicht.

Ob Zuchtsauen, Ferkel/Läufer oder Mastschweine: In jeder Produktionsstufe gehen die Zahlen der Schweinehaltung in Thüringen zurück – ein seit Jahren anhaltender Trend. Die 71 Sauenhalter (ab zehn Sauen) im Land reduzierten ihre Bestände um fast acht Prozent auf noch 65.000 Tiere. In den zurückliegenden acht Jahren gaben 42 Thüringer Betriebe ihre Sauenhaltung vollständig auf. Andere kappten ihren Sauenbestand um 25 bis 70 Prozent.

Bei den Mastschweinen ist der Trend nicht so extrem ausgeprägt. Doch in einigen Fällen wurde auch hier der Bestand deutlich zurückgefahren, schätzten der Thüringer Bauernverband (TBV) und die Thüringer Interessengemeinschaft der Schweinehalter (IGS Thüringen) Ende Mai bei einer Anhörung im Agrarausschuss des Landtags ein.

Rückgang bremsen

Der Bestandsrückgang in Thüringen sei nur aufzuhalten, wenn sich die wirtschaftliche Situation nachhaltig verbessere und es zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz der Nutztierhaltung komme.

Da es keine vertretbare Alternative zum Umbau der Nutztierhaltung nach den Vorstellungen des „Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung“ gebe, fordern beide Verbände eine Folgenabschätzung zu den Vorschlägen der Borchert-Kommission – und zwar für Thüringen. Bei der Anhörung machten die Schweinehalter sehr deutlich, dass es eine langfristige und verlässliche finanzielle Unterstützung brauche. Ansonsten wandere die Schweinehaltung aus Deutschland ab.

Konzerne sind Gewinner

In einer Rückschau berichteten die Verbände von der Markt- und Erlössituation 2020/2021, die von der Coronapandemie und den ASP-Ausbrüchen geprägt war (Bauernzeitung 21/2021, S.21). Für eine wirtschaftlich nachhaltige Schweinemast seien bei durchschnittlichen Leistungen Bruttomargen von mindestens 15 bis 20 Euro je Schwein notwendig. Davon war man meilenweit entfernt. Noch in diesem Mai, nach einer leichten Erholung, fehlten den Mästern gut 20 Euro je Schwein, um alle Kosten zu decken. Es sei, so die Bilanz, die verlustreichste und langanhaltendste Krise seit 2007 gewesen.

Zugleich habe das Preistief die Marktmacht der Schlacht- und Verarbeitungsunternehmen und des Einzelhandels zu absurden Auswüchsen geführt. So wurden überzogene Margen einbehalten und mit Corona-Schutzmaßnahmen begründet. Folge: Die Schweinepreise fielen, aber die Großhandelspreise reduzierten sich nicht im gleichen Maße. „Die Wertschöpfung für die Schlachtindustrie blieb also erhalten.“ Die aktuelle Marktsituation sei weiterhin instabil und könnte bei der kleinsten Störung kippen.

Im Angesicht dieser Ausganglage versuchten die Landwirte, den Landtagsabgeordneten ein Bild von den wirtschaftlichen Herausforderungen zu zeichnen, die auf sie jetzt zukommen. Allein die Sauenhalter sehen sich infolge der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung mit enormen Investitionen konfrontiert. Nach Kalkulationen des Thüringer Landesamtes für Landwirtschaft und Ländlichen Raum (TLLLR) müssen im Freistaat über 35 Mio. Euro in Bewegungsbuchten, über 15 Mio. Euro in die Gruppenhaltung im Deckbereich und etwa 15 Mio. Euro in den Wartebereich für tragende Sauen verbaut werden.

Die finanziellen Auswirkungen der (mittlerweile beschlossenen) TA Luft seien momentan noch gar nicht abzuschätzen. Die dringende Bitte der Landwirte mit einer Schweinehaltung in Thüringen, dass sich die Landesregierung für harmonisierte Umsetzungsfristen bei der TA Luft einsetzt, verhallte zwar beim Agrarministerium nicht. Allerdings enthielt sich Thüringen letztlich bei diesen Abstimmungspunkten im Bundesrat, was dem rot-rot-grünen Koalitionsfrieden geschuldet sein dürfte.

ASP ist eine reale Gefahr
Sollten sich Hausschweine mit dem ASP-Virus infizieren, droht ein dauerhafter Erzeugerpreisverfall, warnten die Schweinehalter im Landtag in Erfurt. Deshalb müsse man den Schwarzwildbestand stärker reduzieren. Die Abschussprämie im Freistaat sei von 25 Euro auf 50 Euro je Wildschwein zu erhöhen, um Anreize für Jäger zu schaffen.

Gefordert wird der generelle Einsatz von Nachtzielgeräten für die Schwarzwildjagd. Neben der Vorbeugung in Thüringen müssten Brandenburg und Sachsen unterstützt werden. Immerhin: Auf der jüngsten Agrarministerkonferenz (AMK) bestand Einigkeit, sich an den Kosten solidarisch zu beteiligen. Und Ende Juni passierte ein von Thüringen unterstützter Antrag den Bundesrat, der u. a. Lösungen für Schweinehalter in ASP-Gebieten im Blick hat. Vernünftig wäre es, entlang der Autobahnen von Nord nach Süd die teilweise schon bestehende Wildzäunung auszubauen, lautete zudem ein Vorschlag der Tierhalter.

Risiko von Investitionen

Heute stünden Betriebe aufgrund der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vor der Situation, dass ein erst kürzlich gebauter Stall bis 2036 schon wieder geändert werden muss. Fehlinvestitionen, so beide Verbände, „können und dürfen wir uns hier nicht leisten“. Zitiert wurde die Leiterin des Thünen-Instituts für Betriebswirtschaft, Prof. Hiltrud Nieberg: „Ein junger Landwirt, der heute einen neuen Schweinestall bauen will, hat ein Risiko von 50 Prozent, eine Fehlinvestition zu tätigen.“

IGS und TBV stellten klar, dass schweinehaltende Betriebe 20 bis 30 Jahre benötigen würden, um das eingesetzte Kapital abzuschreiben. „Betriebe sollten nach einer baulichen Veränderung zur Anpassung an aktuelle Tierwohl-/Umweltstandards 20 bis 30 Jahre ohne schlechtes Gewissen und mit einer hohen Wertschätzung ungestört wirtschaften können“, so die klare Botschaft an die Landtagsabgeordneten. Wer aber investiere in seine Tierhaltungsanlage, wenn er nicht verbindlich weiß, was in fünf, zehn oder 20 Jahren wirklich Standard ist?

Und schon waren die Landwirte bei der Umsetzung der Nutztierstrategie. Die Borchert-Kommission formulierte im vorigen Jahr für die Schweinehaltung folgende Ziele: bis 2025 mindestens 50 Prozent der Produktion in Tierwohlstufe 1 oder höher und mindestens 10 Prozent in Tierwohlstufe 2; bis 2030 wird Stufe 1 gesetzlicher Mindeststandard und mindestens 40 Prozent der Produktion in Stufe 2 oder höher; bis 2040 wird Stufe 2 zum gesetzlichen Mindeststandard. Nach wie vor sei völlig offen, wie der Umbau der Nutztierhaltung finanziert werden soll.

Für Schweinehaltung in Thüringen: 60 Euro mehr pro Tier

In der Vergangenheit hätten die Produktionskosten bei einem Schlachtschweinepreis von 1,60 €/kg gedeckt werden können. Für ein Mastschwein entspricht das 155 Euro Schlachterlös. Tatsächlich fehlten aber im Schnitt der letzten fünf Jahre bereits rund fünf Euro je Mastschwein.

Bei den Kosten – auch für die Schweinehaltung in Thüringen -, die mit den höheren Standards des staatlichen Tierwohlkennzeichens entstehen, reichten die 155 Euro je Mastschwein bei weitem nicht mehr aus (Grafik). Um mehr Platz, weiche Liegeflächen und eine Buchtenstrukturierung gewährleisten zu können (Stufe 1), benötigten die Tierhalter Mehrerlöse in Höhe von mindestens 30 Euro je Schwein. Demzufolge wären 185 Euro zu erlösen (ca. 1,95 €/kg Schlachtgewicht). Erhalten Schweine einen Außenklimareiz (Stufe 2), muss der Landwirt je Mastschwein 60 Euro mehr einnehmen, also mindestens 210 Euro pro Tier (ca. 2,20 € /kg Schlachtgewicht).

Dr. Britta Becke, die für die IGS vor dem Ausschuss Auskunft gab, zeigte anhand des von ihr verantworteten Mastbetriebes mit 9.250 genehmigten Tierplätzen, was der Umbau für die Stufe 3 kosten würde. Insgesamt acht Ställe zählen zur Anlage. Die Aufstallung in der gegenwärtigen Form entspreche den gesetzlichen Mindeststandards. In einer Machbarkeitsstudie sei ein Umbau untersucht worden.

Für die Tierwohlstufe 3 müssten aufgrund des höheren Platzangebots 20 Prozent der Tierplätze wegfallen. Die Investitionen würden sich nach derzeitigen Schätzungen auf fast 10 Mio. Euro (1.250 €/Tierplatz) belaufen. In Anbetracht der aktuell erzielbaren Preise für Schweine sei selbst bei einer hohen staatlichen Förderung eine Refinanzierung nur schwer zu realisieren.

Ungelöste Konflikte

Unabhängig vom Geld wiesen die Landwirte auf die genehmigungsrechtliche Sachlage hin. Nach wie vor bestünden ungelöste Zielkonflikte auf dem Weg zu mehr Tierwohl. Jede Investition in eine genehmigungsbedürftige Anlage, was für zwei Drittel aller Thüringer Betriebe ein Thema sei, müsse etwa ein Verfahren nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz über sich ergehen lassen. Mit der TA Luft gibt es etliche Hürden, die etwa dem gewünschten Außenklimakontakt mehrfach entgegenstehen.

Tierhalter seien bereit, zu höheren Tierwohlstandards zu produzieren. Es brauche aber Konzepte, um auch bestehende Stallanlagen weiterzuentwickeln. Aufgrund des derzeitigen Bau- und Genehmigungsrechts werde dies allerdings verhindert.

Ein nicht unwesentlicher Aspekt, der auf die regionalen Schweinehalter wirkt, ist die Schlachtsituation. Stünden tierhaltende Betriebe einem Nachfrage-Oligopol gegenüber, könnten die Schlachtunternehmen die Preise noch stärker als bisher zu ihren Gunsten beeinflussen. Der hohe Anteil der Materialkosten an den Gesamtkosten bedeute, dass die zugekauften Mastschweine von entscheidender Bedeutung für das Kostencontrolling sind. Die Schlachtkonzerne hätten daher ein Interesse daran, die Schweineeinkaufspreise möglichst niedrig zu halten.

Enorme Schlachtkosten bei der Schweinehaltung in Thüringen

Wurden 2007 in Thüringen mehr als 1,7 Mio. Schweine jährlich von sieben Schlachtunternehmen geschlachtet, sind es heute noch drei Unternehmen, die mehr als 200 Tiere je Woche schlachten. Den Bau eines neuen Schlachthofes sehen die Verbände skeptisch. Wichtig sei, die vorhandenen Kapazitäten auszulasten.

Gefordert wird daher ein Landesprogramm für Schlachtunternehmen bzw. für landwirtschaftliche Betriebe mit Hofschlachtung. Die Schlachtkosten bei der Schweinehaltung in Thüringen stiegen durch immer höhere Qualitäts- und Hygieneauflagen stark an. Für kleine und mittelständische Schlachtstätten sind die Gebühren für die Schlachttier- und Fleischbeschau sowie Entsorgung der Schlachtnebenprodukte je Schwein höher. Große Schlachtunternehmen generieren im Vergleich zu kleineren außerdem eine um etwa 15 Euro höhere Wertschöpfung, etwa durch den Export des „fünften Viertels“.

Mit Vorurteilen über Gülle aufräumen
Thüringen gehört mit 0,38 GVE/ha LN zu den vieharmen Regionen Deutschlands. Für die Tierart Schwein gelten 0,10 GVE/ha. IGS und TBV wiesen die Abgeordneten darauf hin, dass Gülle, Jauche oder Mist pflanzen- und umweltverträglich auf landwirtschaftlich genutzten Flächen ausgebracht würden. Dies geschehe oftmals erst, nachdem die Gülle in Biogasanlagen verwertet wurde.
80 Prozent der schweinehaltenden Betriebe in Thüringen arbeiten flächengebunden. Betriebe mit wenig oder keiner Fläche geben die organischen Dünger an viehlose bzw. vieharme Betriebe ab. Die umweltverträgliche Verwertung des anfallenden Düngers werde über Flächenbilanzen einzelbetrieblich nachgewiesen. Das Hauptproblem für die Ausbringung von Gülle sei das immer kürzere Ausbringungsfenster. Landwirte müssten infolgedessen verstärkt in teure Gülle-Lagerstätten investieren. Die Ausbringekosten hätten sich innerhalb von nur zehn Jahren verdoppelt. Je Mastschwein entstünden etwa 2,50 bis 3,00 Euro an Mehrkosten.

Reaktion erwartet

Für den TBV forderte Dr. Lars Fliege, dass das Land sich an den Entsorgungskosten für Schlachtabfälle, die im Vorjahr gleich mal verdoppelt worden waren, beteiligt. Dies bringe den kleinen und mittelständischen Schlachthöfen eine deutliche Entlastung. Eine überbetriebliche, thüringenweite Nutzung mobiler Schlachtanlagen halten TBV und IGS für sinnvoll. Aktuell entscheidet aber noch jeder Landkreis nach eigenem Ermessen über eine Zulassung von mobilen Schlachtanlagen. Zudem bremst noch das EU-Recht. Niedersachsen geht beim hofnahen Schlachten aber bereits in die Offensive.

Ob die Thüringer Abgeordneten auf den Situationsbericht angemessen reagieren, wird sich nächste Woche zeigen. Dann berät der Agrarausschuss, welche Handlungsempfehlungen er der Landesregierung gibt.


Online-Seminar TA-Luft: Mit der Neufassung der TA Luft und den sich daraus ergebenen Anforderungen für Tierhaltungsanlagen (Rind/Schwein/Geflügel) befasst sich am 13. Juli ein Online-Seminar. Dazu laden das Thüringer Landesamt für Landwirtschaft (TLLLR) im Rahmen des „Netzwerkes Fokus Tierwohl“, die IGS Thüringen und die Landvolkbildung ein.

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