Walnüsse: Eine Frau und ihr Kern-Geschäft
Herkunft: Chile, Kalifornien, China – doch Walnüsse „von hier“ suchst du vergeblich. Der heimische Anbau steckt noch im Keimstadium. Vivian Böllersen will das ändern. Ein Wagnis?
Von Jutta Heise
„Wir hatten uns etwas mehr erhofft.“ Den diesjährigen Ertrag, einen der ersten auf ihrer 4,5 ha großen Walnusspflanzung, bilanziert Vivian Böllersen, Inhaberin der Walnussmeisterei nüchtern. Einer der Faktoren, die in Summe Erwartung ergeben, muss aus der Reihe geschert sein. Böllersen wird rauskriegen, wer. Natur ist nicht hundertprozentig programmierbar. Sowieso: Die rund 200 Bäumchen in circa 30 Sorten (unterschiedlich etwa in Ertrag sowie Geschmack, Aussehen, Größe, Ölgehalt der Früchte) wurden in Velten, unweit des nordwestbrandenburgischen Herzberg, wo Böllersen ihr Domizil hat, in die Erde gesetzt. Sie haben erst fünf Winter erlebt. Ein Klacks für diese Kultur!
Erst in weiteren fünf, besser zehn Jahren bringt sie Vollertrag. Der wird in Breiten, wo die Walnuss zu den gängigen Kulturen zählt, etwa in Frankreich, auf 50 kg pro Baum angesetzt. Auf Bedingungen der Brandenburger Böden rechnet Böllersen mit etwa 20 kg Trockenertrag. Bis dahin heißt es bonitieren, Baumscheiben mähen, besonders in der Anfangszeit, auf die Walnussfruchtfliege, den wohl ärgsten Feind der Früchte, oder den Bakterienbrand achten und Spätfröste austricksen.
Anbau von Walnüssen braucht Durchhaltevermögen
Walnussanbau, ob als Hobby oder als Erwerbszweig betrieben, braucht Durchhaltevermögen, ist Generationensache; er ist aufwendig und nicht billig. Vivian Böllersen hat ihn nach ihrem Studium „Öko-Agrarmanagement“ an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zum Thema ihrer Masterarbeit gemacht. Die gebürtige Berlinerin erwähnt als Impuls den Charme des ausladend-knorrigen, alten Solitärs im elterlichen Garten, der so viele Früchte trug, dass man sie über den Zaun verkaufen konnte.
Emotionen als Entscheidungsfinder? Das wollen wir der zierlichen jungen Frau, die sachlich–strukturiert, detailliert–informiert auftritt, nicht abnehmen. Nun ja, es habe sie gereizt, der Dominanz der ausländischen Ware in den Supermärkten die Juglans regia entgegenzusetzen, wie die einheimische Walnuss auf Botanisch heißt. Und auch die Herausforderung, Lücken zu füllen, nichts „von der Stange“ zu bearbeiten, sei Anstoß gewesen. Immerhin war der Wissensfundus, den es noch vor Jahren über den heimischen Anbau gab, eher spärlich.
In der letzten Zeit habe die Sache jedoch vor dem Hintergrund der Agroforst-Thematik, in der die Walnuss eine riesengroße Rolle spiele, an Fahrt aufgenommen. Ein Formel-Eins-Rennen ist sie noch nicht. „Es gibt im Grunde noch keinen wirtschaftlich erwähnenswerten Anbau in Deutschland“, so Böllersen, zugleich nehme die Nachfrage nach Nüssen als Bestandteil moderner Ernährungstrends dynamisch zu. Genaue Angaben zu den Anbauern liegen nicht vor. Böllersen schätzt sie auf etwa 50. Abgesehen von dem als Pionier des Anbaus in Mitteldeutschland geltenden Nestor (in Sachsen-Anhalt wirtschaftend, sehr medienscheu, über 80, Böllersens Mentor und Ratgeber), sind sie in Süddeutschland konzentriert: Vivian Böllersen kennt die meisten persönlich: durch Vor–Ort–Besuche oder die Interessengemeinschaft Nuss – Sektion Frucht, ein Netzwerk, das sie mit initiiert hat.
Wissensakquise
Was sie in der Theorie zusammengetragen hat, will die junge Frau nach dem Studium praktisch umsetzen. Sie kann besagte 4,5 ha über die Genossenschaft der Ökonauten erwerben. 2017 Umzug nach Herzberg, ein Dorf vor den Toren Neuruppins. Dort hat sie ihre Firma „Die Walnussmeisterei Böllersen“ gegründet.
Ihr Ansatz: Bevor der Vollertrag auf ihrer Anlage reift, kauft sie Nüsse von Kleinerzeugern und anderen Anbauern auf, verarbeitet sie selbst oder lässt in der Region veredeln. „Viele Leute verwerten ihre Nüsse nicht. Es ist ihnen zu aufwendig: Laub beseitigen, Nüsse aufsammeln, trocknen, da landen sie eher auf dem Kompost.“ Dass es eine andere Möglichkeit gibt, musste erst publik werden.
Böllersens Walnussmeisterei ist Praxisbetrieb ihrer ehemaligen Alma mater. Studierende betreiben auf ihrem Hof Wissensakquise, übernehmen die Bonitur der Anlage und gingen auch der Frage nach: Wie lässt sich der Haus-und-Hofbaum kartieren, wo kann man Standorte ansetzen. Man entschließt sich, oldschool, dort Flugzettel zu verteilen. Die Idee greift. Die Walnussmeisterei setzt eine strenge Auslese beim Ankauf an, das Kriterium „regional“ allein reicht nicht. Alterntiges und neue Ernte dürfen z. B. nicht vermischt werden, die Nüsse müssen frei von Schädlingsbefall und leicht zu knacken sein.
Vermarktet werden sie auf Märkten, online, über den Hofladen: Nüsse, pur und ungeknackt; Kerne, kandiert oder mit Salz; Öl, Shampoo, Senf, Likör aus grünen, im Frühsommer geernteten Nüssen, mit Aronia-Beeren-Saft angesetzt. Die Nachfrage ist groß. „Bis Weihnachten können wir noch Nüsse vorhalten. Danach muss ich mir etwas einfallen lassen.“
Wir kommen auf die „Generationenaufgabe“ zurück: Eine gemächliche Kultur hat auch Vorteile, sagt die Expertin. Du kannst über die Zeit empirisch Erfahrungen sammeln, von Anbau über Ernte und nachgeordnete Prozesse bis hin zur Vermarktung, zugleich neue Erkenntnisse einfließen lassen. Wissenschaft und Praxis schlafen in Sachen Juglans regia nicht mehr.
Beispiele sind schnell zur Hand: So knobelt die Branche derzeit an Maschinen, die nach dem Vorbild der Beerntung von Streuobstwiesen zum Einsammeln der reifen Nüsse einsetzbar sind und beispielsweise bisher gängige, nach dem Prinzip kleiner Straßenkehrmaschinen arbeitende Gerätschaften optimieren sollen.
Aber noch mehr ist echte Pionierarbeit: Wohin mit den Schalen, die in Größenordnungen anfallen? Verheizen? Nussschalen sind als Brennstoff in Deutschland nicht zugelassen. Böllersen stößt auf eine andere Möglichkeit: Schalen kann man mahlen, das grobe Pulver wird als Sandstrahlmittel eingesetzt. Es heißt, einen Abnehmer zu finden. Ein Teil der Nüsse wird in einer kleinen Ölmühle der Region verarbeitet. Wie lässt sich der Presskuchen, der noch einen recht hohen Ölgehalt hat, nachhaltig verwerten? Verfüttern? Gibt es andere Ideen? Ein Hofladenbesucher trägt ihr zu: Aus den Kämben, der Wand zwischen den Kernhälften, stelle man in Indonesien Tee her. Der Selbsttest fällt positiv aus, dranbleiben!
Beratung, Baumschule
Zwei feste Säulen des Betriebskonzepts sind die Beratung für Anbauwillige und die Baumschule. „Wir bieten Erst- und Einsteigerberatung an, Projektplanung und Realisierung mit Standort-Begehung, digitaler Pflanzplanung. Die Setzlinge holen wir aus Tschechien, Ungarn, Frankreich. Dort wird stärker gezüchtet als bei uns, wo es nur eine Handvoll Walnuss veredelnder Betriebe gibt.“
Das Pflanzgut ist teuer, gleichwohl ist es wieder gefragt: Die beste Zeit, einen (Nuss-)Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die zweitbeste ist – jetzt!, lautet ein geflügeltes Wort. Alles in allem: Das Team um Böllersen, zwei festangestellte Minijobber, eine FÖJlerin, braucht „Kern-Energie“. Last but not least hilft die Familie, wenn es, egal wo, knackig hergeht. Zumal sich für Böllersen im Moment vieles um ein kleines Zentralgestirn dreht: Ihr Sohn ist diesen März geboren.
In naher Zukunft wolle man die betriebliche Ausstattung optimieren, greift Böllersen voraus. Man plane Umbaumaßnahmen bei gleichzeitigem Erhalt der Altsubstanz des Hofes, einer alten Schmiede, bis vor wenigen Jahren noch voll in Betrieb. „Wir haben kein Kühllager, die Kunden fragen aber auch im Sommer Nüsse nach. Uns fehlen eine kleine Produktionsküche und eine Zuwegung. Bisher sind wir nach Süddeutschland gefahren, wo die einzige Knackmaschine in der passenden Größenordnung stand. Nun konnten wir selbst eine anschaffen, die wir auch zum Lohnknacken betreiben. Sie braucht eine ordentliche Halle.“ Ein kleines Café wäre ebenfalls denkbar.
„Sinnhaftigkeit des Tuns und Wertschätzung gegenüber Personen werden bei uns hoch gehalten, alle im Team sollen sich als Teil von etwas Besonderem sehen“, formuliert Böllersen den Kern der Unternehmensphilosophie. Zugleich müsse sie den Betrieb wirtschaftlich stabil aufstellen. Sie sei zufrieden: „Mit unseren Zahlen, aber auch mit der unerwartet großen Medienpräsenz. Die nehmen wir als Anerkennung unserer Arbeit und unseres Anspruchs.“ Genau so ist sie gemeint.
Kurz und knackig
„Walnüsse gehören zu den ältesten Kulturpflanzen und stammen aus Asien. Funde belegen, dass sie bereits vor 9.000 Jahren der menschlichen Ernährung dienten. Heute wird die Kultur weltweit in Ländern mit gemäßigtem Klima angebaut.
Der erste Walnussgarten in Kalifornien, einem bedeutenden Exporteur, wurde 1867 gepflanzt. Die Standzeit eines Baumes beträgt mindestens 50 bis 60 Jahre.
Die Walnuss gehört mit einem Fettanteil von durchschnittlich 62 Prozent zu den besonders energiereichen Nüssen. Es handelt sich um gesundheitlich positiv wirkende einfach und mehrfach gesättigte Fettsäuren. Das Holz des Baums zählt seit Langem zu den weltweit begehrtesten Hölzern.