Werden rote Gebiete wieder aufgemacht?

(c) Sabine Rübensaat

Die EU-Kommission gibt sich mit den Länderregelungen zur Düngeverordnung nicht zufrieden. Nun verlangt sie von Deutschland Erklärungen.

Aus Brüssel droht Ungemach: Wie die Bauernzeitung erfuhr, hegt die EU-Umweltkommission Zweifel, dass die erfolgte Ausweisung der Nitrat- und Phosphatgebiete zielführend ist. Am Dienstag trafen sich die zuständigen Staatssekretäre der Länder, um die Situation zu analysieren.

Zweifel am Modell 

Seit Februar prüfen die Brüsseler Beamten die einzelnen Länderverordnungen. Den der Bauernzeitung vorliegenden Informationen nach, zweifelt man in der Generaldirektion Umwelt  die in der „Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten“ (AVV) festgelegte Methodik „erheblich“ an. Zudem würden Bedenken bezüglich der darin formulierten Ausnahmen geäußert. Nach Brüsseler Lesart fielen in der Folge viele als mit Nitrat belastet geltende Gebiete aus den Kulissen heraus.

Phosphat-Kulisse fehlt

Auch die Ausweisung der Phosphat-Überschussgebiete soll die die EU-Umweltkommission nicht überzeugen. Dabei geht es in erster Linie um jene Länder, die keine Phosphatkulissen bestimmt und stattdessen „nur“ Abstandsregeln zu belasteten Gewässern erlassen haben. In Ostdeutschland betrifft dies Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Sachsen.

Ausweisung der roten Gebiete überprüfen

Unklar ist bislang, ob es sich „lediglich“ um ein Verständigungsproblem handelt oder Brüssel grundsätzlich an den AVV-Regelungen zweifelt. Wie es hieß, werde Deutschland unmissverständlich aufgefordert, die Ausweisung der roten Gebiete zu überprüfen. Brüssel erwarte „fundierte“ Begründungen für jene Flächen, die als belastet gelten, sich aber nicht im roten Gebiet befinden.

Das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) bestätigte am Dienstagnachmittag den Vorgang. Nach seinen Angaben zielt die Kritik der EU-Kommission darauf, zum einen die Ausweisung der mit Nitrat und durch Phosphat belasteten Gebiete zu überprüfen und zum anderen fundierte Begründungen für die Fälle vorzulegen, in denen belastete Überwachungsstellen außerhalb der ausgewiesenen Gebiete liegen.

Hat Brüssel die Binnendiffernzierung nicht verstanden?


Laut BMEL betreffen die geäußerten Bedenken „sehr technische Vorgänge“. Daher sei ein intensiver Austausch mit der Kommission erforderlich. Man werde gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium der EU-Kommission vorschlagen, zeitnah die Kritikpunkte zu erörtern, und auch Ländervertreter an diesen Gesprächen beteiligen. Nach Informationen der Bauernzeitung geht es bei den „sehr technischen Vorgängen“ vor allem um die Frage, warum nicht jede rote Messstelle mit einem roten Gebiet versehen worden ist. Das ließe darauf schließen, dass es den Vertretern der Bundesregierung in Brüssel noch immer nicht gelungen ist, die Prinzipien der Modellierung und der Binnendifferenzierung hinreichend verständlich zu machen.

Dessen ungeachtet macht das BMEL die Länder für die neuerlichen Nachfragen verantwortlich. In seiner Pressemitteilung verweist es darauf, dass sie für die Ausweisung der nitratbelasteten und durch Phosphat eutrophierten Gebiete zuständig gewesen seien. Sie hätten auf der Grundlage der Verwaltungsvorschrift zur Gebietsausweisung (AVV) die bundeseinheitliche und verursachergerechte Ausweisung der belasteten Gebiete sicherzustellen gehabt.

Thüringen wirft Klöckner schlechten Stil vor

Prof. Benjamin-Immanuel Hoff
Prof. Benjamin-Immanuel Hoff (c) Thüringer Staatskanzlei

Thüringens Agrarminister Benjamin-Immanuel Hoff wies den Vorwurf umgehend zurück. „Ich befürchte, Ministerin Klöckner hat vergessen, dass die Bundesrepublik ein föderaler Bundesstaat ist. Für die Verhandlungen mit der EU ist das BMEL zuständig. Wenn sie keine Lust mehr hat, Landwirtschaftspolitik im Sinne und Interesse der Landwirtinnen und Landwirte zu machen, kann sie hierzu nach dem 26. September eine Entscheidung treffen“, sagte der Linken-Politiker der Bauernzeitung. Bis dahin könne sie sich als Bundagrarministerin jedoch nicht aus der Verantwortung stehlen und muss gemeinsam mit den Ländern nach Lösungen suchen und diese gegenüber der EU vertreten.

Hoff erinnerte daran, „dass erst durch die zögerliche Haltung des Bundes der Prozess zur Novellierung der DüngeVO so lange verschleppt worden ist“. Erst die drohende Strafe der EU im Vertragsverletzungsverfahrens wegen mangelnder Umsetzung der Nitratrichtlinie habe dazu geführt, dass der Bund richtig aktiv wurde. Die Länder mussten dann unter erheblichen Zeitdruck die Verwaltungsvorschrift umsetzen und ihre Ausweisung der mit Nitrat und durch Phosphat belasteten Gebiete überprüfen und anpassen. Nun den Ländern die Verantwortung zuzuschieben, sei kein guter politischer Stil.

Niedersachsen „überrascht“ von der EU-Reaktion

Barbara Otte-Kinast
Barbara Otte-Kinast (c) Tim Jaworr

Dass nach Lesart der EU-Kommission 80 % der Überwachungsstellen mit mehr als 50 mg Nitrat je Liter außerhalb der ausgewiesenen roten Gebiete liegen, habe sie überrascht, sagte die niedersächsische Landwirtschaftsministerin, Barbara Otte-Kinast. Sie berichtete am Mittwochmorgen dem Landtag in Hannover über die neue Entwicklung. „Die Sichtweise der Kommission befindet sich in einem auffälligen Widerspruch zu der Einschätzung des Umweltbundesamtes“, teilte sie den Abgeordneten mit. Das Bundesamt habe auf Wunsch der Bundesregierung das Vorgehen der Länder einer kritischen Überprüfung unterzogen und für rechtskonform erachtet.

Während der Videokonferenz der Länder-Staatssekretäre am Dienstag sei die Vermutung geäußert worden, Kommission und Bundesländer gingen möglicherweise von unterschiedlichen Messstellennetzen aus, informierte die CDU-Politikerin weiter. Auch scheine es so, dass die Kommission im Wald oder an Wegesrändern liegende Messstellen als außerhalb der roten Gebiete liegend gewertet habe. Schließlich könnten zum Teil auch unterschiedliche Betrachtungszeitpunkte gewählt worden zu sein. Niedersachsen gehe selbstbewusst in die Gespräche mit der Kommission, so die Ministerin. Es habe seine Gebietsausweisungen fachlich fundiert vorgenommen und eutrophierten Gebiete bereits 2019 mit der Landesverordnung ausgewiesen.

(zuletzt aktualisiert 07/07/2021, 10:30 Uhr) red

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