Haben wir verlernt mit dem Wolf zu leben oder konnten wir das noch nie?
Am 11. Juni 2022, 13.15 – 15.15 Uhr findet unser nächster, hybrider und kostenfreier Praxis-Talk statt. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie der Herdenschutz von Weidetieren gelingen kann. Einer unserer Gäste ist Prof. Dr. Dr. habil. Sven Herzog. Die Prognose des Experten für Wildökologie und Jagdwirtschaft der TU Dresden: Aufgrund des aktuellen Wolfsmanagements werden Wölfe zunehmend weniger scheu und die Probleme und Konflikte zunehmen.
Das Interview führte Matthias Lech
Unser Experte
Prof. Dr. Dr. habil. Sven Herzog ist gelernter Förster und Arzt und derzeit als Vertreter des Faches Wildökologie an der Technischen Universität Dresden neben vielen anderen Themen immer wieder auch mit den Herausforderungen befasst, welche die Anwesenheit großer Prädatoren im unmittelbaren Umfeld des Menschen mit sich bringt.
Für ihn sind die zugrundeliegenden Probleme meist ähnlich, egal, ob es sich um Wölfe in Deutschland oder Tiger in Indonesien handelt.
Woher kommt ihre Begeisterung für Wildtiere?
Wenn man wie ich aus einem Tierarzthaushalt (beide Eltern sind Veterinärmediziner) stammt und der Vater auch noch zur Jagd geht, wächst man zwangsläufig zusammen mit Wildtieren auf. Diese kindliche und jugendliche Prägung hat sich wohl erhalten und verfestigt. Der Wolf ist zurück und die alten Konflikte werden neu befeuert. Dabei geht es nicht immer nur um den Wolf.
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„Unsere Vorfahren in geschichtlicher Zeit haben nie ´mit dem Wolf´ gelebt“
Haben wir verlernt mit dem Wolf zu leben oder konnten wir das noch nie?
Die Aussage, dass wir „wieder mit dem Wolf leben lernen müssen“ hört man oft. Sie zeugt allerdings nicht gerade von großer fachlicher Kompetenz.
Unsere Vorfahren in geschichtlicher Zeit haben nie „mit dem Wolf“ gelebt. Sie haben ihn verfolgt, auf die eine oder andere Weise. Und das war in einer klein- und kleinstbäuerlich geprägten Gesellschaft auch überlebensnotwendig. Wenn ein freier Bauer im 18. Jahrhundert fünf Hektar Land bewirtschaftete und eine Kuh und einige Schafe und Ziegen besaß, dann konnte der Verlust eines oder mehrerer Tiere bereits die Existenz bedrohen, das jüngste Kind verhungerte vielleicht.
Erst das „Gleichgewicht des Schreckens“ zwischen Wolf und Mensch ermöglichte beiden ein gewisses Miteinander. Dass es in einigen Regionen zur Ausrottung der Wölfe kam (z. B. in Deutschland), in anderen nicht (z. B. Italien) ist ein interessantes Thema, welches aber an dieser Stelle zu weit führen würde.
Wozu brauchen wir Wildtiere oder ist das die falsche Frage?
Wenn Sie so fragen, würde ich provokant antworten: Die meisten Wildtiere brauchen wir als Menschen für gar nichts. Die Vorstellung, dass jedes Wildtier seine „ökologische Planstelle“ besetzt und wenn es verschwindet, ganze Ökosysteme zusammenbrechen, wird gerne in der Umweltbildung vermittelt. Sie stimmt aber so nicht. Wir haben, gerade in der Agrarlandschaft, zahlreiche Insekten- und Wirbeltierarten verloren, ohne dass das jemandem aufgefallen wäre. Allerdings tragen wir als Menschen Verantwortung für das, was wir anrichten, also auch für Wildtiere. Und viele von uns wollen nicht ohne diese Tiere leben, nicht ohne die Feldlerche, nicht ohne den Kiebitz, nicht ohne viele Schmetterlingsarten und nicht ohne Wolf und Luchs. Daher müssen wir etwas tun, und zwar nicht nur für den Wolf. Diese Botschaft ist mir auch und gerade für die Leser der Bauernzeitung wichtig.
Was braucht der Wolf und was der Mensch?
Ganz einfach: Der Wolf kann im Grunde überall leben. Er ist weltweit unter den Wildtieren eine der häufigsten, vielleicht sogar die häufigste Raubtierart und kann alle Lebensräume vom Hochgebirge Zentralasiens bis in die Großstädte Mitteleuropas besiedeln. Wichtig ist, dass Nahrung vorhanden ist und keine unkontrollierte Verfolgung stattfindet.
Wir Menschen brauchen wiederum scheue Wölfe. Wölfe, die nicht von Generation zu Generation ein klein wenig mehr lernen, dass in der Nähe von Menschen am leichtesten Nahrung zu beschaffen ist, sei es in Form von Abfällen oder in Form von Nutztieren.
Wölfe: „Keine Bestien, aber auch keine heiligen Tiere“
Wie lässt sich beides zusammenbringen?
Das Wolfsmanagement in Deutschland ist derzeit ausgesprochen passiv aufgestellt. Man beobachtet und beobachtet und reagiert vor allem mit Entschädigungszahlungen und Zäunen. Das wird langfristig dazu führen, dass Wölfe zunehmend weniger scheu sein werden und die Probleme und Konflikte zunehmen. Über zwanzig Jahre Wolfsmanagements hat das gezeigt. Eine zentrale Aufgabe des Wildtiermanagement ist es aber, die Konflikte zu minimieren, auch durch aktives Handeln. Diese Komponente fehlt derzeit weitgehend.
Warum nehmen sie an der Diskussion teil bzw. warum braucht es diesen Austausch?
Es ist wichtig, dass wir faktenbasiert diskutieren und agieren. Ideologien und Stimmungsmache helfen hier nicht weiter. Wölfe sind keine Bestien, aber auch keine heiligen Tiere. Ich habe immer noch die Hoffnung, dass es gelingt, Wölfe irgendwann einmal als ganz normale Wildtiere zu betrachten und auch so zu behandeln.
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